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Plenum 15. April 2016 - Mündliche Anfragen

Frage 49


Paradigmenwechsel bei Rot-Grün in Sachen Großschlachthöfe oder weshalb will die Landesregierung 1 200 Arbeitsplätze der „Fleischindustrie“ (Christian Meyer, 5. Dezember 2012) in Lohne retten?


Abgeordnete Jörg Bode, Gabriela König, Hermann Grupe, Christian Grascha, Christian Dürr, Horst Kortlang und Jan-Christoph Oetjen (FDP)


Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr namens der Landesregierung


Vorbemerkung der Abgeordneten


„Landesregierung will die Jobs bei Wiesenhof retten“ titelte die HAZ (31. März 2016) drei Tage nach dem Großbrand in Lohne. Bis vor Ostern wurden in der Großschlachterei täglich 370 000 Hähnchen geschlachtet und der Betreiber hatte eine Kapazitätsausweitung auf täglich 430 000 Hähnchen beantragt.


Zu Oppositionszeiten von SPD und Bündnis90/Die Grünen stand der Erhalt oder die Schaffung von Arbeitsplätzen in Großschlachthöfen weniger hoch im Kurs. Tendenziell haben die heutigen Minister Meyer und Wenzel die Branche eher in einem schlechten Licht dargestellt. Beispielhaft ist hier die Aktuelle Stunde vom 5. Dezember 2012 „Niedriglöhne und Inkaufnahme von Tierqual für Billigfleisch - geboren um zu schlachten?“ (Drucksache 16/5483) zu nennen. Minister Meyer rückte seinerzeit die Schlachtbetriebe in die Nähe der „italienischen Mafia“ (Protokoll Seite 19 717). Zu Oppositionszeiten waren es die „Fleischindustrie“ (Protokoll Seite 19 717) und die vermeintliche „einseitige Ausrichtung“ auf die sogenannte „Massentierhaltung“ (Protokoll Seite 19 718), die Tausende von Arbeitsplätzen gefährdeten. „Lohndrückerei, Billigfleischproduktion und massive Arbeitsplatzverluste - das ist die Schattenseite der industriellen Fleischproduktion“ (Christian Meyer, 5. Dezember 2012, Seite 19 718). „Die Fleischindustrie profitiert von einem weit verzweigten Netzwerk der Ausbeutung von Mensch und Tier. Niedersachsen ist in ihrer Regierungszeit (gemeint ist die CDU/FDP-geführte Landesregierung zwischen 2003 und 2013, Anmerkung der Fragesteller) zum Niedriglohnschlachthof Europas geworden“ (Christian Meyer, 5. Dezember 2012, Seite 19 717).


Der heutige Minister Wenzel sprach in einer Pressemitteilung (24. September 2012, Nr. 351) den Großschlachthöfen die Schaffung von gut bezahlten Dauerarbeitsplätzen ab und führte dann aus, dass „jeder weiß, dass in dieser Branche prekäre Arbeitsverhältnisse und schlechte Bezahlung an der Tagesordnung sind“.


Auch der heutige Wirtschaftsminister Lies äußerte sich seinerzeit mit Fragen zum möglichen Lobbyismus der Fleischindustrie und Einflussnahme auf die seinerzeitige Landesregierung (Protokoll vom 5. Dezember 2012, Seite 19 723).


In einer Pressemitteilung (1. September 2011, Nr. 289) von Bündnis 90/Die Grünen „Grüne: Politische Verbindungen von Geflügelkonzern Wiesenhof zu CDU offenlegen“ spekulierte der heutige Landwirtschaftsminister Meyer von finanziellen Abhängigkeiten und Interessenskonflikten zwischen der CDU und den „Machenschaften der Agrarindustriellen“.


Vorbemerkung der Landesregierung


In der Schlacht- und Zerlegebranche bestand um den Jahreswechsel 2012/2013 in Bezug auf die untragbaren Arbeitsbedingungen und Löhne in der Tat erheblicher Handlungsbedarf. Dies offenbarte nicht zuletzt die Berichterstattung in den Medien.


Die Landesregierung sah und sieht sich dem im Koalitionsvertrag zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen vereinbarten Leitbild guter und fair bezahlter Arbeit ebenso verpflichtet wie dem Grundsatz "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit". Sie verfolgte deshalb von Anfang an das Ziel, prekärer Beschäftigung in all ihren Erscheinungsformen entgegenzutreten. Dabei galt und gilt unsere Sorge nicht nur den betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sondern auch dem guten Ruf des Wirtschaftsstandortes Niedersachsen, der ernsthaften Schaden zu nehmen drohte.


Basierend auf einer starken landwirtschaftlichen Urproduktion hat sich in Niedersachsen im Laufe der letzten Jahrzehnte eine leistungsfähige Ernährungswirtschaft entwickelt. Sie ist Niedersachsens zweitgrößter Wirtschaftszweig nach der Automobilindustrie. Innerhalb der Ernährungswirtschaft erzielen allein die Fleischwaren herstellenden Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigen ca. 10 Mrd. Euro Umsatz. Große Schlachthöfe sind ein wesentlicher Bestandteil in dieser Produktionskette.


Im Übrigen weist die Landesregierung darauf hin, dass das o. g. genannte Zitat (s. Vorbemerkung der Abgeordneten) aus der Pressemitteilung vom 24. September 2012, Nr. 351 nicht vom heutigen Minister Wenzel, sondern vom heutigen Minister Meyer stammt.



1. In welcher Form haben sich die Bedingungen in den niedersächsischen Großschlachthöfen seit Dezember 2012 derart geändert, dass die rot-grüne Landesregierung heute für den Erhalt dieser Arbeitsplätze kämpft?


Im Bereich der Schlacht- und Zerlegebranche sind seit 2013 nicht zuletzt wegen der Initiative der Landesregierung Änderungen eingetreten.


Die Landesregierung führt seit Frühjahr 2013 kontinuierlich Gespräche mit niedersächsischen Schlacht- und Zerlegebetrieben sowie dem Verband der Ernährungswirtschaft e.V. Niedersachsen/Bremen/Sachsen-Anhalt und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, um gemeinsam nach Möglichkeiten zu suchen, die zum Teil unzumutbare Arbeits- und Wohnbedingungen zu verbessern. Auch soll der Umfang der Beschäftigung von Fremdpersonal auf der Grundlage von Werkverträgen zurückgedrängt und der Anteil der Stammbeschäftigten in den Betrieben erhöht werden.


Bei der Bekämpfung des Missbrauchs von Werkverträgen sind erste Erfolge erzielt worden. Zu nennen ist hier vor allem der Abschluss eines Tarifvertrages für die Fleischwirtschaft, der mittlerweile für alle in dieser Branche in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gilt und einen verbindlichen Mindestlohn von aktuell 8,75 €/Stunde vorsieht. Aber auch bei der Unterbringung von Beschäftigten durch die Einführung der Geltung arbeitsstättenrechtlicher Mindeststandards für Unterkünfte sowie die Erhöhung der Kontrolldichte in diesem Bereich konnten Verbesserungen festgestellt werden.


Im Juli 2014 hat die Fleischwirtschaft einen Verhaltenskodex erarbeitet, der sich vorrangig an Unternehmen der Fleischwirtschaft, die mit Werkvertragsunternehmen arbeiten, richtet. Mit der Unterzeichnung des Kodex verpflichten sich die Unternehmen zur Einhaltung von sozialen Standards, insbesondere im Bereich der Unterbringung Beschäftigter aus anderen Mitgliedstaaten. Mit diesem Kodex werden auch die Werkvertragspartner in die Pflicht genommen, unabhängig davon, in welchem Land diese Unternehmen ansässig sind. Das durch den Großbrand in Lohne besonders betroffene Wiesenhofunternehmen ist die Oldenburger Geflügelspezialitäten GmbH & Co. KG, die sich zur Einhaltung dieses Verhaltenskodexes verpflichtet hat.


Im Rahmen eines Termins bei Bundeswirtschaftsminister Gabriel im September 2015 haben sich wichtige Unternehmen der Fleischwirtschaft – darunter die Lohmann & Co. AG / PHW-Gruppe (Wiesenhof) – mit einer Selbstverpflichtung u. a. dem Ziel verschrieben, im Rahmen ihrer jeweiligen wirtschaftlichen Verhältnisse konsequent den Anteil ihrer Stammbelegschaft zu erhöhen und weiter auszubauen. Darüber hinaus ist es das Ziel, die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Fleischwirtschaft, die deutschem Sozialversicherungsrecht unterliegen, zu sichern und auszubauen.


Auch haben einige Betriebe bereits die Nutzung von Werkverträgen verringert sowie die Beschäftigung von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern zurückgefahren. Die Landesregierung strebt ein Verhältnis von 80 % Stammbelegschaft zu 20 % Fremdbeschäftigten an.



2. Vor dem Hintergrund, dass die Arbeitsbedingungen in den niedersächsischen Großschlachthöfen durch Rot-Grün tendenziell als schlecht eingeschätzt werden und angeblich jeder weiß, dass dort prekäre Arbeitsverhältnisse und schlechte Bezahlung an der Tagesordnung sind: Welche Regierungsmitglieder haben sich für den Erhalt der 1 200 Arbeitsplätze in der Großschlachterei in Lohne ausgesprochen und welche gegen den Erhalt?


Der Anteil der Stammbeschäftigung wurde bei der Oldenburger Geflügelspezialitäten GmbH & Co. KG in den letzten Jahren kontinuierlich erhöht und muss nach der derzeit gültigen Betriebsvereinbarung zum Einsatz von Fremdarbeitsfirmen in diesem Betrieb mindestens 60 % betragen. Dies zeigt, dass es im Wege sozialpartnerschaftlicher gemeinsamer Fortentwicklung der Beschäftigungsstruktur möglich ist, sich dem von der Landesregierung formulierten Ziel anzunähern.


Die Landesregierung hat sich daher für den Erhalt der Arbeitsplätze und gegen Entlassungen bei Wiesenhof in Lohne ausgesprochen.



3. Vor dem Hintergrund der Aussage von Christian Meyer „Lohndrückerei, Billigfleischproduktion und massive Arbeitsplatzverluste - das ist die Schattenseite der industriellen Fleischproduktion“ und „Landesregierung will die Jobs bei Wiesenhof retten“: Treffen die Feststellungen von Christian Meyer auch auf die Geflügelschlachterei Wiesenhof in Lohne zu, und wie steht die Landesregierung zu solchen fachlichen Einschätzungen?


Die Aussagen von Herrn Minister Meyer wurden vor dem Hintergrund der Situation Ende 2012 gemacht. Wie bereits in der Vorbemerkung ausgeführt, gab es damals erhebliche Missstände. Dies hat die Landesregierung bald nach Amtsantritt zum Anlass genommen, Gespräche mit der Schlacht- und Zerlegebranche zu führen, um diese Missstände zu beseitigen.


Allgemein haben sich die Umstände in der gesamten Schlacht- und Zerlegebranche seit 2013 verändert. Die Landesregierung setzt sich gemäß Koalitionsvertrag weiterhin für faire Arbeitsbedingungen und gute Arbeitsplätze auch in der Fleischproduktion ein.



Miniter Lies spricht im Landtag   Bildrechte: MW-Nds

Minister Olaf Lies spricht im Landtag

Artikel-Informationen

erstellt am:
15.04.2016

Ansprechpartner/in:
Pressesprecher: Christian Haegele und Sabine Schlemmer-Kaune

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