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Celler Erklärung: Wie schätzt die Landesregierung die Zukunft für die Beschäftigten der niedersächsi-schen Erdöl- und Erdgasindustrie ein?

Plenum 13. November 2015 - Mündliche Anfragen - Frage 45


Abgeordnete Jörg Bode und Gabriela König (FDP) und Dirk Toepffer (CDU)

Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr namens der Landesregierung

Vorbemerkung der Abgeordneten

Auf der Homepage des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr steht unter der Überschrift „Rohstoffe und Bergbau“: „Als Rohstoffland und Standort wichtiger Bohr-, Förder- und Serviceunternehmen der Erdöl- und Erdgasbranche hat Niedersachsen einzigartiges Know-how auf dem Gebiet der Erschließungstechnologien. Die enge Kooperation zwischen Industrie, niedersächsischen Forschungseinrichtungen und Fachbehörden bewirkt den nötigen Innovationsschub, mit dem zahlreiche hochqualifizierte Arbeitsplätze in diesem wichtigen Wirtschaftsbereich geschaffen und gesichert werden“ (http://www.mw.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=5590&article_id=
15105&_psmand=18).

In der Drucksache 17/4430, Seite 11, führt die Landesregierung aus, dass alleine in Celle rund 8 000 Menschen bei den vor Ort ansässigen Unternehmen der Erdöl- und Erdgasserviceindustrie beschäftigt und etwa 20 000 Menschen in Deutschland direkt oder indirekt von diesen Förderunternehmen abhängig sind. Seit Monaten herrscht Stillstand bei den Beratungen der Gesetzentwürfe der Bundesregierung, die diese bereits am 1. April 2015 beschlossen hat. Vor dem Hintergrund, dass sich die Auftragslage in den nächsten Monaten aufgrund politischer Vorgaben, gemeint sind das Moratorium bei Fracking-Bohrungen und Wirtschaftssanktionen, erheblich verschlechtern wird und bereits heute ein Investitionsstillstand von 1 Milliarde Euro vorherrscht, führt die Landesregierung aus, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen „schnellstmöglich“ weiterzuentwickeln sind, um der heimischen Erdöl- und Erdgasindustrie „eine belastbare Zukunftsperspektive zu eröffnen“.

Vorbemerkung der Landesregierung

Neben dem seit mehr als 4 Jahren andauernden Fracking-Moratorium in Niedersachsen und den EU-Sanktionen gegen Russland hat insbesondere der Preisverfall des Erdöls einen signifikanten Einfluss auf die derzeit sehr angespannte Auftrags- und Geschäftslage bei der Erdöl- und Erdgasindustrie und den angeschlossenen Service- und Zulieferbetrieben. Ergab sich im Jahresdurchschnitt 2014 noch ein Barrelpreis von 98 US-Dollar fiel dieser im Jahr 2015 auf einen Durchschnittpreis von 54 US-Dollar je Barrel dramatisch ab.

Als unmittelbare Folge werden weltweit Vorhaben zur Erkundung und Gewinnung von Kohlenwasserstoffen mit vergleichsweise hohen Produktionskosten neu bewertet und ggfs. auch verworfen. Ein international bekannt gewordenes Beispiel hierfür ist die Abkehr des Energiekonzerns Shell von einem Projekt zur Ölsandgewinnung in der kanadischen Provinz Alberta.

Da ein Großteil der in Celle angesiedelten Service- und Zulieferbetriebe international agiert (u.a. Baker Hughes INTEQ GmbH, ITAG Valves und Oilfield Products GmbH), leiden diese besonders unter den aktuellen Entwicklungen. Das Ergebnis einer Umfrage der Industrie- und Handelskammer (IHK) Lüneburg-Wolfsburg, an der sich 20 Unternehmen im Erdöl- und Erdgassektor aus der Region Celle beteiligt haben, zeigt, dass durch starken Ölpreisverfall zwei Drittel der befragten Unternehmen stark bis sehr stark betroffen sind. So sind die Auftragseingänge bei 2 von 3 Unternehmen deutlich zurückgegangen. Mehr als die Hälfte der Betriebe verzeichnete Auftragsstornierungen und erhebliche Umsatz- und Finanzrückgänge. Insgesamt 7 Betriebe haben daraufhin Mitarbeiter entlassen und 4 Firmen Kurzarbeit eingeführt. Drei Unternehmen sehen sogar den Fortbestand ihres Unternehmens in Deutschland gefährdet.

Da die Landesregierung weder den internationalen Rohölpreis noch das Ausmaß und die Dauer der EU-Sanktionen gegen Russland beeinflussen kann, setzt sie sich mit Nachdruck für die Schaffung neuer berg-, wasser- und naturschutzrechtlicher Rahmenbedingungen bezüglich der Fracking-Thematik ein. Dabei ist allerdings zunächst zu berücksichtigen, dass diese Anpassung in die Zuständigkeit des Bundes fällt. Darüber hinaus bedürfen Teile dieses Regelungspaketes der Zustimmung des Bundesrates, wobei zu erwarten ist, dass nicht alle Länder die Haltung der niedersächsischen Landesregierung unterstützen werden.

1. Wird die Erdölindustrie nach Erkenntnissen der Landesregierung irreversible Schäden durch weitere Entlassungen, Investitionsstaus und negative Auftragslage aufgrund des Fracking-Moratoriums und der Wirtschaftssanktionen erleiden?

Im Rahmen der Erdölförderung in Niedersachsen werden keine hydraulischen Bohrlochbehandlungen durchgeführt, weswegen das Fracking-Moratorium zunächst keinen unmittelbaren Einfluss auf die Entwicklung der Erdölindustrie nehmen kann. Einschneidend für diesen Industriezweig ist der Preisverfall beim Rohöl, da die Erdölförderung in Niedersachsen zumeist hohe Produktionskosten verursacht (z.B. Horizontalbohrungen, Dampffluttechnik), die sich aktuell auf die Wirtschaftlichkeit einzelner Vorhaben auswirken. Zwangsläufig wirkt sich die Entwicklung auch nachteilig auf die Auftragslage der Service- und Zulieferbetriebe aus.

Das Fracking-Moratorium betrifft vor allem die Erdgasproduzenten in Niedersachsen. Rund ein Drittel der niedersächsischen Erdgasförderung entstammt zurzeit aus gefracten Bohrungen. Zur Stabilisierung der Förderung in diesem Bereich ist die Umsetzung von neuen Frac-Vorhaben unabdingbar, die angesichts des Moratoriums nicht durchgeführt werden können. Jedoch herrscht aufgrund des Ölpreisverfalls eine gewisse Zurückhaltung der Unternehmen bei der Realisierung konventioneller Erdgasbohrungen.

Hinzu kommt, dass im Bereich der Untergrundspeicherung Großprojekte, wie der Neubau der Kavernenspeicher in Jemgum und die Erweiterung des Kavernenspeichers in Etzel nahezu abgeschlossen sind. Insbesondere dieser Zweig zählte in den letzten Jahren zu den großen Auftraggebern der Zuliefer- und Serviceindustrie.

Aufgrund des Zusammentreffens unterschiedlicher Faktoren kann zurzeit nicht ausgeschlossen werden, dass weitere Entlassungen innerhalb der E&P Industrie drohen und damit auch langfristig eine Konsolidierung der Service- und Zulieferindustrie stattfindet.

2. Vor dem Hintergrund der hohen Bedeutung der Erdöl- und Erdgasbranche für Niedersachsen und der „Celler Erklärung“ (http://celleheute.de/rohenergie-standort-krise-celler-erklaerung-fordert-unterstuetzung-vom-bund/): Was unternimmt die Landesregierung in diesen Tagen und Wochen für den Erhalt der vielen Tausend hochqualifizierten Arbeitsplätze und des einzigartigen Know-hows in unserem Bundesland?

Wie bereits im Rahmen der Beantwortung der Frage 2 der Mündliche Anfrage Nr. 8 „Wie viele Arbeitsplätze kostet die „Hängepartie“ beim Fracking?“ vom 15.10.2015 (Drucksache 17/4430) dargelegt, führt die Landesregierung fortlaufend Gespräche mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, politischen Entscheidungsträgern sowie weiteren Beteiligten und es werden Stellungnahmen sowie Schreiben gegenüber der Bundesregierung abgegeben. Im Zuge dessen weist die Landesregierung wiederholt auf die prekäre Situation und den fortschreitenden Arbeitsplatzverlust bei der niedersächsischen Erdöl- und Erdgasindustrie hin und fordert die Bundesregierung dazu auf, das Gesetzgebungsverfahren zum Fracking-Regelungspaket nun endgültig abzuschließen.

Im Übrigen wird auf die Vorbemerkungen verwiesen.

3. Vor dem Hintergrund der Aktivitäten der Landesregierung und der sie tragenden Regierungskoalition bei einzelnen Firmen zur Vermeidung von Arbeitsplatz- und Innovationsabbau (Continental AG, Madsack-Verlag, Meyer Werft, Nordseewerke GmbH …): Wird sich die Landesregierung mit den Betriebsräten der betroffenen Firmen (u. a. Baker Hughes INTEQ GmbH, Halliburton Company Germany GmbH, Bohrbetrieb Wietze der DEA Deutsche Erdöl AG, M-I SWACO Deutschland GmbH, ExxonMobil Production Deutschland GmbH, ITAG Valves und Oilfield Products GmbH und ITAG Tiefbohr GmbH) zusammensetzen und über deren Zukunftsperspektiven sprechen?

Die Landesregierung befindet sich bereits seit Monaten gemeinsam mit der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie im wiederkehrenden Austausch mit Vertretern und Betriebsräten der Erdöl- und Erdgasproduzenten sowie der Service- und Zulieferindustrie (z.B. ITAG Valves und Oilfield Products GmbH). Im Vordergrund dieser Gespräche stehen vor allem die aktuelle Entwicklung der Auftrags- und Geschäftslage der Unternehmen sowie die Schaffung nachhaltiger Perspektiven für den Fortbestand der Unternehmen in Niedersachsen.

Als ein Ergebnis dieser Gespräche hat sich Herr Minister Lies beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie dafür eingesetzt, die Dauer von Kurzarbeit auf 24 Monate auszudehnen, um drohenden Entlassungen entgegenzuwirken und Fachkräfte bei den betroffenen Unternehmen zu binden.

Selbstverständlich steht die Landesregierung auch in Zukunft für weitere Gespräche mit den Betriebsräten und Vertretern der betroffenen Unternehmen zur Verfügung.

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Artikel-Informationen

erstellt am:
13.11.2015

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