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Zugang für Migrantinnen und Migranten zum Führerschein

Die Abgeordnete Filiz Polat (GRÜnE) hatte gefragt:

Die Berechtigung zum Führen eines Kraftfahrzeugs hat unter integrationspolitischem Blickwinkel eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Mobilität ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, die ein Arbeitnehmer bzw. eine Arbeitnehmerin heute erfüllen muss, um die Aussichten auf Beschäftigung zu verbessern. Dies gilt auch für Menschen mit Migrationshintergrund, die als Taxifahrerinnen oder ‑fahrer, in Kurierdiensten oder anderen Tätigkeiten arbeiten, die mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs verbunden sind. Aber nicht nur in der Phase der Arbeitssuche kann der Führerschein ausschlaggebend sein. Nicht selten besteht das Problem, den neuen Arbeitsplatz auch zu erreichen, da Migrantinnen und Migranten häufig Tätigkeiten mit ungünstigen Arbeitszeiten akzeptieren müssen. Auch das schnelle, zuverlässige Erreichen bestimmter Wohnadressen, wie im Falle von Pflegediensten, ist nur mit dem Pkw gewährleistet. Für Migrantinnen kann der Führerschein darüber hinaus ein wichtiges Mittel sein, die häusliche Isolation zu überwinden. Auch für Migrantinnen in Teilzeitbeschäftigungen, die Kinder zu versorgen haben, bringt die Möglichkeit, zusätzlich zum öffentlichen Verkehrsmittel auf ein Fahrzeug zurückgreifen zu können, erheblich mehr an Alltagsbewältigung und damit Lebensqualität mit sich.

Viele Migrantinnen und Migranten in Niedersachsen besitzen einen Führerschein des Herkunftslands und haben bereits Fahrpraxis. Jedoch sind Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis mit Wohnsitz im Inland nur während der sechs Monate nach der Einreise fahrberechtigt. Danach ist eine Umschreibung in eine deutsche Fahrerlaubnis erforderlich. Diese Umschreibung setzt häufig die Ablegung der praktischen und theoretischen Fahrerlaubnisprüfung voraus. Viele Migrantinnen und Migranten wären problemlos in der Lage, die praktische Führerscheinprüfung von den Kenntnissen und Fähigkeiten her zu bestehen, jedoch verfügen sie nicht über ausreichende deutsche Sprachkompetenz für die Theorieprüfung. Selbst für viele Muttersprachler sind typische Begriffe des Führerscheindeutschs wie „Wechsellichtzeichen“, „Einsatzhorn“ oder „Ausfädelungsstreifen“ schwer zu verstehen, und auch einheimische Prüflinge scheitern häufig an den Subtilitäten des „Multiple-Choice“-Verfahrens. Es besteht zwar die Möglichkeit, die theoretische Prüfung in elf weiteren Sprachen abzulegen (Englisch, Französisch, Portugiesisch, Griechisch, Italienisch, Polnisch, Rumänisch, Russisch, Kroatisch, Spanisch und Türkisch), dieser Umstand schließt aber diejenigen Migrantinnen und Migranten aus, die beispielsweise Arabisch, Persisch, Albanisch oder andere oben nicht aufgeführte Sprachen als Muttersprache haben. Seit 2008 bzw. 2010 ist es ihnen auch nicht mehr möglich, eine gedolmetschte Prüfung oder eine computergestützte Prüfung in den sogenannten Minidisc-Sprachen (Albanisch, Arabisch, Persisch/Afghanisch, Tamilisch, Vietnamesisch) abzulegen. Demzufolge bestehen im Besonderen auch für die Personengruppe mit geringen Deutschkenntnissen, welche nicht zwangsweise die oben aufgelisteten elf Sprachen beherrscht und mit bis zu 25 % in der Gesamtzahl der Migrantinnen und Migranten in Niedersachsen vertreten ist (Stand 2010), weiterhin schwer zu überwindende Zugangsbarrieren.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

  1. Welche von niedersächsischen Migrantinnen und Migranten in ihren Herkunftsländern erworbenen Führerscheine werden hier anerkannt und unter welchen Bedingungen? Wie wird die Anerkennung bzw. die Nichtanerkennung begründet?
  2. In welchem Maße wurde von dem mehrsprachigen Theorietest im Jahr 2011 Gebrauch gemacht (Anzahl der Prüfungen in Herkunftssprache, bitte mit Angaben zu Altersgruppe,
    Geschlecht, Herkunftssprache, bestanden/nicht bestanden)?
  3. Wie viele Migrantinnen und Migranten, die anderer Muttersprache sind als die oben genannten elf Prüfungssprachen, wohnen in Niedersachsen und könnten eine Fahrerlaubnis nach Ablegung einer Fahrprüfung erlangen?
  4. Welche Alternativen gibt es für die Dolmetscherprüfung und die computergestützte Prüfung in den sogenannten Minidisc-Sprachen (Albanisch, Arabisch, Persisch/Afghanisch, Tamilisch, Vietnamesisch), die zum 01.05.2008 bzw. 01.01.2010 abgeschafft wurden?
  5. Welche Lehrmaterialien, Übungsfragebogen etc. sind für Migrantinnen und Migranten in welchen Herkunftssprachen erhältlich?
  6. Welche Erkenntnisse liegen über Schwierigkeiten und Probleme bei Sprachvermittlung im Rahmen von Führerscheinprüfungen in Niedersachsen vor?
  7. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung für das Bundesland Niedersachsen, den Zugang zum Führerschein für Menschen mit Migrationshintergrund zu erleichtern bzw. sie beim Erwerb der Fahrerlaubnis zu unterstützen?
Verkehrsminister Jörg Bode beantwortete die Anfrage namens der Landesregierung am 20.03.2012 wie folgt:

Die Anerkennung ausländischer Fahrerlaubnisse richtet sich nach den Bestimmungen der §§ 28 ff. der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV). Nach § 29 FeV dürfen Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis im Umfang ihrer Berechtigung grundsätzlich Kraftfahrzeuge im Inland führen, wenn sie hier keinen Wohnsitz haben. Auflagen zur ausländischen Fahrerlaubnis sind auch im Inland zu beachten.
Für Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland begründen, besteht diese Berechtigung weiterhin. Eine Umschreibung des ausländischen Führerscheines ist grundsätzlich nicht erforderlich. Auf die Fahrerlaubnisse finden die Vorschriften der FeV Anwendung.

Begründet der Inhaber einer Fahrerlaubnis aus einem Staat außerhalb der EU bzw. dem EWR einen Wohnsitz im Inland, besteht die Fahrberechtigung noch sechs Monate. Danach ist zum weiteren Führen von Kraftfahrzeugen im Inland die Umschreibung in eine deutsche Fahrerlaubnis erforderlich.

Nach § 31 Abs. 1 und 2 FeV setzt die Umschreibung einer solchen Fahrerlaubnis grundsätzlich die Ablegung einer Fahrerlaubnisprüfung (Theorie und Praxis) voraus. Hierauf kann ganz oder teilweise verzichtet werden, wenn die ausländische Fahrerlaubnis von einem der in Anlage 11 FeV genannten Staaten erteilt worden ist. Eine Aufnahme in diese „Staatenliste“ erfolgt, wenn in den genannten Ländern vergleichbare Ausbildungs- und Prüfungsbedingungen existieren und eine sog. Gegenseitigkeitsvereinbarung geschlossen worden ist, d.h., diese Länder den Inhabern deutscher Fahrerlaubnisse die gleichen Privilegien gewähren.

Einzelheiten zur theoretischen Fahrerlaubnisprüfung ergeben sich aus der Anlage 7 FeV in Verbindung mit der Richtlinie für die Prüfung der Bewerber um eine Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen (Prüfungsrichtlinie). Nach Zi. 1.3 der Anlage 7 FeV ist die theoretische Fahrerlaubnisprüfung grundsätzlich in deutscher Sprache abzulegen. Abweichend davon kann die Prüfung auch in folgenden 11 Fremdsprachen abgelegt werden: Englisch, Französisch, Griechisch, Italienisch, Kroatisch, Polnisch, Portugiesisch, Rumänisch, Russisch, Spanisch und Türkisch.

Darüber hinaus bestand für die Bundesländer nach der bis zum 31.12.2010 geltenden Rechtslage die Möglichkeit, sowohl weitere Fremdsprachen mit Audio-Unterstützung in Form sogenannter „Minidisc-Prüfungen“ (Übersetzung deutschsprachiger Fragebögen auf einen Tonträger/Abspielgerät) als auch die Hinzuziehung eines Dolmetschers zuzulassen.

Niedersachsen hatte von dieser Ermächtigung ebenfalls Gebrauch gemacht und weitere Fremdsprachen (Albanisch, Arabisch, Kroatisch, Persisch/Afghanisch, Tamilisch und Vietnamesisch) mit Audio-Unterstützung sowie die Hinzuziehung eines Dolmetschers zugelassen.

Aufgrund einer in diesen Bereichen deutlichen Zunahme von Manipulationsversuchen, teilweise unter Verwendung professioneller technischer Hilfsmittel, wurden in Niedersachsen die „Dolmetscherprüfung“ zum 01.05.2008 sowie die Prüfung in den genannten „Minidisc-Fremdsprachen“ mit Einführung der computergestützten Prüfung (PC-Prüfung) zum 01.01.2010 abgeschafft.

Diese Verfahrensweise entspricht der durch eine Rechtsänderung der FeV erfolgten Neuregelung der Anlage 7 Ziffer 1.3 FeV. Danach ist nur noch bei der Prüfung von Gehörlosen die Hinzuziehung eines (Gehörlosen-) Dolmetschers möglich sowie bei Bewerberinnen und Bewerbern mit Lese- und Schreibschwäche die Audio-Unterstützung (vgl. Frage 4). Weiterhin wurde die Anzahl der zulässigen Fremdsprachenprüfungen bundeseinheitlich auf die vorgenannten elf Sprachen reduziert. Diese am 01.01.2011 in Kraft getretenen Änderungen wurden insbesondere aus Gründen der Prüfungsgerechtigkeit und der Gleichbehandlung innerhalb der Bundesrepublik für notwendig erachtet. Den Bundesländern ist es seitdem verwehrt, hiervon abweichende Verfahrensregelungen treffen zu können. Das Oberverwaltungsgericht Berlin hat die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit der in der Anlage 7 FeV abschließend genannten elf Sprachen bestätigt.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1.:
Siehe hierzu die Vorbemerkungen.

Zu 2.:
Im Jahr 2011 wurden in Niedersachsen insgesamt 4348 fremdsprachliche Theorieprüfungen durchgeführt. Die nähere Aufteilung ist den beigefügten Übersichten zu entnehmen.

Informationen über die Herkunftssprache sowie über das Geschlecht der Prüflinge liegen nicht vor.

Zu 3.:
In Niedersachsen sind nach dem beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geführten Ausländerzentralregister insgesamt 470.683 Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit wohnhaft (Stichtag 31.12.2011). Die Herkunftsländer ergeben sich aus der beigefügten Anlage. In welchem Umfang diese Staatsangehörigen bereits im Besitz einer deutschen Fahrerlaubnis sind, ist nicht bekannt.

Zu 4.:
Es besteht die Möglichkeit der Audio-Unterstützung in Deutsch für Bewerberinnen und Bewerber mit einer Lese- oder Schreibschwäche. Der Prüfling erhält einen Kopfhörer und beim Anwählen der Frage oder der jeweiligen Antwort wird der Text vom Prüfsystem vorgelesen.

Zu 5.:
Für alle in Anlage 7 zur FeV aufgeführten Sprachen kann man sowohl Lehrbücher,

Testbögen als auch Lern-DVDs bei den entsprechenden Lehrmittelverlagen erwerben.

Darüber hinaus kann im Handel auch Lernmaterial in weiteren Sprachen, die nicht

Prüfungssprachen sind, erworben werden (z.B. www.lehrboegen.de): Albanisch (Kosovo), Amharisch (Äthiop.), Arabisch, Bengalisch, Bulgarisch, Chinesisch, Dari (Afghanisch), Eriträisch (Tigrinya), Hindi (Indisch), Indonesisch, Kurdisch (Sorani), Litauisch, Paschto (Afghanisch), Pakistanisch (Urdu), Persisch, Philippinisch (Tagal), Punjabi (Indisch), Tamilisch, Thailändisch, Tschechisch, Ungarisch, Vietnamesisch.

Zu 6.:
Die Fragen für die theoretische Führerscheinprüfung werden in einer Arbeitsgemeinschaft, der „VdTÜV-AG Theoretische Prüfung“, erarbeitet. Um sicherzustellen, dass die Übersetzungen für die Bewerber verständlich sind, werden die Fragen der theoretischen Führerscheinprüfung zum Teil von mehreren Dolmetschern unabhängig übersetzt, ins Deutsche rückübersetzt und von Personen aus dem jeweiligen Land getestet.

Dieses Verfahren hat sich in der Praxis bewährt. Der in Niedersachsen für die Durchführung der Fahrerlaubnisprüfung zuständigen Technischen Prüfstelle der TÜV Nord Mobilität GmbH & Co. KG sind keine aktuellen Probleme bekannt.

Lediglich in der Übergangszeit nach Abschaffung der „Dolmetscherprüfung“ sowie der „Minidisc-Fremdsprachenprüfung“ hat dies im Einzelfall zu Schwierigkeiten geführt.

Zu 7.:
Die Landesregierung sieht durch das Angebot, die theoretische Führerscheinprüfung neben Deutsch auch in elf Fremdsprachen ablegen zu können, schon jetzt eine Erleichterung bei der Erlangung der Fahrerlaubnis durch Migrantinnen und Migranten, weil bereits hierdurch die größte Zahl der Betroffenen erreicht wird. Darüber hinaus wird darauf aufmerksam gemacht, dass viele Migrantinnen und Migranten neben ihrer Muttersprache auch über englische oder französische Sprachkenntnisse verfügen.

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Artikel-Informationen

erstellt am:
11.05.2012

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