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Stichwort „Fracking“ - Welche Interessen vertritt die Landesregierung?

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 16.09.2011 - TOP 35. Antwort von Wirtschaftsminister Jörg Bode auf die mündliche Anfrage der Abgeordneten Karin Stief-Kreihe, Detlef Tanke, Sigrid Rakow, Rolf Meyer, Marcus Bosse und Brigitte Somfleth (SPD)


Die Abgeordneten Karin Stief-Kreihe, Detlef Tanke, Sigrid Rakow, Rolf Meyer, Marcus Bosse und Brigitte Somfleth (SPD) hatten gefragt:

In der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung wird am 26. August 2011 ausführlich über Erdgasbohrungen berichtet. Anlass sind die Genehmigungsverfahren, nach denen die Bohrungen mit Fracking-Technologie bewilligt werden. Hierüber bestehen der Berichterstattung zufolge ein heftiger Streit sowie tiefsitzende Meinungsverschiedenheiten: zwischen den Regierungen der Länder Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, zwischen den betroffenen Bürgern und den niedersächsischen Genehmigungsbehörden, zwischen den Mitgliedern der CDU-Fraktion im Niedersächsischen Landtag und dem FDP-Wirtschaftsminister Bode (Neue Osnabrücker Zeitung, 23. August 2011, „Landespolitiker beziehen in Lünne Stellung zum Fracking“) sowie auch zwischen dem Bundesumweltminister Röttgen (Westfälische Nachrichten, 29. August 2011, „Röttgen legt Fracking auf Eis: Ich werde kein Risiko eingehen“’) und dem niedersächsischen Wirtschaftsminister Bode, der die umstrittenen Bohrungen unterstützt (HAZ, 26 August 2011). Im Kern geht es um die Forderung nach einem standardisierten Genehmigungsrecht, wie im Entschließungsantrag der SPD, Drs. 16/3519, „Bergrecht an die gesellschafts- und umweltpolitischen Forderungen anpassen“ gefordert wird. Hier wird eine Umweltverträglichkeitsprüfung zwingend eingefordert, wie z. B. der Schutz des Trinkwassers.

Wir fragen die Landesregierung:

  1. Inwiefern hat sich Wirtschaftsminister Bode mit der Stellungnahme des Umweltbundesamtes vom 9. August 2011 zur konventionellen Erdgasförderung in Deutschland befasst, deren Kernpunkt die Forderung nach einem Verbot des Frackings in sensiblen Gebieten ist, die die Anordnung umfassender obligatorischer Umweltverträglichkeitsprüfungen umfasst sowie die Forderung nach der weiteren Erforschung potenzieller Auswirkungen des Frackings auf Grund- und Trinkwasservorkommen beinhaltet, und wie ist die Position der Landesregierung hierzu?
  2. Wie beurteilt die Landesregierung die Genehmigungspraxis in anderen Bundesländern, die z. B. Bohrungen durch trinkwasserführende Schichten untersagt (z. B. in Bayern), die grundsätzlich die Bohrungen in trinkwassergeeignet Gebieten verbietet (z. B. NRW), und warum sind in Niedersachsen diese Standards zum Schutz der Öffentlichkeit und der natürlichen Ressourcen in den Genehmigungsauflagen noch nicht vorgeschrieben?
  3. Die Firma Exxon Mobil ist sich der ausgelösten Kritik in der Bevölkerung und den Medien sehr wohl bewusst. Sie hat bereits reagiert und einen „Arbeitskreis“ zu diesem Konfliktthema eingerichtet. Inwieweit ist die Landesregierung hieran interessiert oder beteiligt, und ist ihr bekannt, was genau die Zielsetzung des Arbeitskreises ist?
Wirtschaftsminister Jörg Bode beantwortete die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

In Niedersachsen wird seit über 150 Jahren Erdöl und seit mehreren Jahrzehnten Erdgas gefördert. In diesem Zeitraum ist es den Unternehmen immer wieder gelungen, durch den Einsatz innovativer Technologien neue Lagerstätten zu erschließen. Dadurch wird ein wichtiger Beitrag zur Sicherung der Energieversorgung in Deutschland geleistet und Arbeitsplätze in strukturschwachen Gebieten gesichert. Zu den innovativen Technologien zählt die hydraulische Behandlung von Erdöl- und Erdgasbohrungen (Frac-Technologie), die vor über 35 Jahren erstmalig in Niedersachsen eingesetzt und bis heute in über 250 Projekten erfolgreich angewendet wurde.

Bis heute ist in Niedersachsen kein Fall bekannt geworden, bei dem der Einsatz der Frac-Technologie zu einer Beeinträchtigung von Grund- oder Trinkwasser geführt hat. Gleichwohl hält die Landesregierung aufgrund der wachsenden Bedeutung der Frac-Technologie für die Sicherung der heimischen Energieversorgung sowie der zunehmenden Dimensionen dieser Technologie eine Umweltverträglichkeitsprüfung für die Genehmigung von hydraulischen Bohrlochbehandlungen für zwingend erforderlich, soweit diese Vorhaben nachhaltige negative Umweltauswirkungen erwarten lassen. Für jede hydraulische Bohrlochbehandlung muss eine Umweltverträglichkeitsvorprüfung obligatorisch sein, um in Abhängigkeit von den geologischen Gegebenheiten, dem Standort, der Tiefe, dem Abstand zu trinkwasserführenden Schichten, dem Volumen der verwendeten Medien und den eingesetzten Additiven die Auswirkungen dieser Vorhaben auf die Umwelt zu bewerten. Sofern danach mit nachhaltigen negativen Umweltauswirkungen zu rechnen ist, muss für die Genehmigung dieser Vorhaben ein bergrechtliches Planfeststellungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung und integrierter Umweltverträglichkeitsprüfung verbindlich werden. Ein entsprechender Antrag auf Anpassung des Bergrechts ist im vergangenen Monat im Wirtschaftsausschuss des Bundesrates eingebracht worden und hat dort auch eine Ländermehrheit gefunden.

Im Rahmen der Genehmigungsverfahren und bei Aufsichtsmaßnahmen werden sensible Gebiete, wie Wasser- und Naturschutzgebiete, auf Grundlage der einschlägigen Rechtsvorschriften bereits umfänglich berücksichtigt. So regelt das Wasserhaushaltsgesetz für Wasserschutzgebiete, das Verbot bestimmter Handlungen oder nur deren eingeschränkte Zulässigkeit, sofern der Schutzzweck es erfordert. Auf der Grundlage von Schutzgebietsverordnungen sind – unter Berücksichtigung des Schutzzweckes - Befreiungen von Verboten und Beschränkungen möglich.

In den Verordnungen über Wasserschutzgebiete werden üblicherweise Regelungen für Bohrungen von mehr als 3 m Tiefe getroffen. Meist sind derartige Bohrungen, damit auch Erdgasbohrungen, in den Schutzzonen I und II verboten und in der Schutzzone III nur beschränkt zulässig. Entsprechende Befreiungen werden von der zuständigen unteren Wasserbehörde der Landkreise erteilt. Die bestehenden Regelungen, die es dem Verordnungsgeber ermöglichen sachgerecht im Einzelfall Verbote und Beschränkungen festzusetzen und im Falle einer Befreiung eine Einzelfallprüfung im Sinne des Schutzzweckes vorzunehmen, wird als zielführend eingeschätzt.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1.:
Der Landesregierung ist eine Stellungnahme des Umweltbundesamtes (UBA) zur konventionellen Erdgasförderung aus dem Jahr 2011 nicht bekannt. Allerdings hat sich die Landesregierung mit einem Papier des UBA beschäftigt, das unter dem Titel „Einschätzung der Schiefergasförderung in Deutschland – Entwurf“ auf der Internet-Seite des UBA veröffentlicht ist.

Nach Auffassung der Landesregierung basiert der Entwurf dieses Papiers sehr stark auf Informationen aus dem internationalen Raum und bezieht sich überwiegend auf Quellen der US Energy Information Administration. Deutlich wird dies u. a. an der schematischen Darstellung von konventioneller und unkonventioneller Erdgasförderung, die auf die USA zutreffende geologische Informationen darstellt. Die geologischen Verhältnisse in Niedersachsen weichen jedoch deutlich von dieser Darstellung ab.

Auch berücksichtigt der Entwurf bei den möglichen Umweltauswirkungen nicht nur die spezifischen Risiken, hervorgerufen durch den Einsatz der Fracing-Technologie bei der Erdgasförderung aus Schiefergaslagerstätten, sondern auch die generellen Umweltrisiken, die sich allgemein aus der Kohlenwasserstoffgewinnung (Erstellung der Bohrungen, Transport/Entsorgung von Lagerstättenwasser) ergeben und zumindest partiell auch für andere Nutzungen des tieferen Untergrundes wie zum Beispiel der Erdwärmegewinnung typisch sind.

Die in Deutschland bei Aufsichts- und Fachbehörden, wissenschaftlichen Institutionen und Unternehmen vorliegenden umfassenden Kenntnisse, Informationen und langjährigen Erfahrungen, die eine sachgerechte und ausgewogene Auseinandersetzung mit der Thematik erlauben würden, sind dagegen in den Entwurf nicht eingeflossen.

Bezüglich der Risikobewertung für das Grundwasser übernimmt das Papier in wesentlichen Teilen die Inhalte des sogenannten „Tyndall"-Reports und gibt diese weitgehend unreflektiert und aus Sicht der Landesregierung unausgewogen wieder. So bleiben beispielsweise vorangegangene Studien der US-Umweltschutzbehörde (Environmental Protection Agency), in der die Gefährdung von Trinkwasserressourcen durch die Fracing-Technologie bei der Erschließung und Gewinnung von Kohlegas nicht nachgewiesen werden konnte und eine Gefährdung ausgeschlossen wird, unberücksichtigt.

Deutlich wird aus dem Report weiterhin, dass es bei der großen Zahl an Erdöl- und Erdgasförderbohrungen in den USA zu einzelnen Schadensfällen aufgrund havarierter oder schadhafter Bohrungen gekommen ist. Dadurch wird deutlich, dass hinsichtlich der in den USA im Bereich der Erdöl- und Erdgasförderung grundsätzlich vorhandenen Qualitäts- und Überwachungsstandards Defizite bestehen. Die Historie und die entsprechenden Erfahrungen der Erdöl- und Erdgasförderung in Deutschland und speziell auch in Niedersachsen belegen, dass bei entsprechenden Qualitätsstandards generelle Risiken weitgehend ausgeschlossen werden können. Dies gilt auch für den Einsatz der Fracing-Technologie.

Hinsichtlich des in dem UBA-Papier formulierten Forschungsbedarfs bleibt festzustellen, dass bestimmte Themenkomplexe in Deutschland bereits Gegenstand von Genehmigungsverfahren waren und damit für jeden Einzelfall im Vorfeld von Frac-Arbeiten geklärt worden sind. So sind die notwendigen Wassermengen für jedes Frac-Vorhaben im Vorfeld bekannt. Auch werden die Auswirkungen einer Maßnahme auf Grund- und Oberflächengewässern, entsprechend den wasserrechtlichen Vorschriften, in der zu erteilenden wasserrechtlichen Erlaubnis geprüft und bewertet.

Die Landesregierung hat gegenüber dem Umweltbundesamt eine umfassende Stellungnahme zum Papier „Einschätzung der Schiefergasförderung in Deutschland – Entwurf“ abgegeben und die Überarbeitung des Papiers angeregt.

Zu 2.:
In den einschlägigen gesetzlichen Regelungen und Verordnungen sowie durch systematische Genehmigungsverfahren wird der Schutz der Umwelt berücksichtigt. Dies dient dem Ziel, die Öffentlichkeit und die natürlichen Ressourcen zu schützen. Die bundesrechtlichen Vorgaben finden in Niedersachsen ebenso Anwendung wie in anderen Ländern. Ergänzt werden diese durch landesrechtliche und kommunale Regelungen. Demnach sind Bohrungen auch in Niedersachsen üblicherweise in Wasserschutzgebieten grundsätzlich verboten. Lediglich in Zone III sind Ausnahmen möglich.

Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung verwiesen.

Zu 3.:
Die Landesregierung ist in dem Informations- und Dialogprozess der ExxonMobil durch das Ministerium für Umwelt und Klimaschutz und das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie beteiligt, die beide als Gäste an den Veranstaltungen teilnehmen. Die Ziele dieses Prozesses sind die Klärung und wissenschaftliche Überprüfung der Kriterien für die sichere und umweltverträgliche Aufsuchung und Förderung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten, die Untersuchung von Fragen zur Frac-Technologie im Sinne einer grundsätzlichen und grundlegenden Prüfung der Umweltverträglichkeit, die aktive Einbeziehung und Information der Bürger sowie die Schaffung von Transparenz für alle Sicherheits- und Umweltaspekte bei der Suche und Förderung von Erdgas aus nichtkonventionellen Lagerstätten.

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erstellt am:
16.09.2011

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