Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung Niedersachsen klar Logo

Plenum 2. Februar 2017 - Mündliche Anfragen

Frage 58


Wie flexibel muss die digitalisierte Arbeitswelt der Zukunft sein?

Abgeordnete Almuth von Below-Neufeldt, Gabriela König, Jörg Bode und Horst Kortlang (FDP)

Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr namens der Landesregierung

Vorbemerkung der Abgeordneten

Das Thema „Arbeit und Digitalisierung“ beschäftigt zahlreiche Akteure, Verbände, Gewerkschaften und die Wissenschaft als solche. Vielfältige Visionen, Szenarien und Herausforderungen mit den unterschiedlichsten Ansätzen bestimmen das Zusammenwirken von menschlicher Arbeit und digitaler Technik. Die Frage, wie sich dies auf einzelne Berufsbilder und den Arbeitsmarkt auswirkt, kann nur eingeschränkt vorhergesagt werden. Bereits der Diskurs über diese Themen wirkt sich auf die Annahme, den Einsatz und die Umsetzung bzw. Implementierung der Digitalisierung in den Alltag und in die Arbeitswelt aus. Der Wandel der Arbeit ist hierbei „gestaltbar“, aber nicht aufhaltbar.

1. Welche Chancen und Risiken sieht die Landesregierung in der Digitalisierung der Arbeitswelt?

Die Landesregierung will die Chancen der Digitalisierung für Wirtschaft, Beschäftigung und gute Arbeit nutzen. Dafür müssen die Risiken dieser Entwicklung, die in den Sorgen der Menschen um Arbeitsplatz- und Qualifikationsverlust, Arbeitsverdichtung und Entgrenzung ihren Niederschlag finden, ernst genommen werden. Daher ist es ein Ziel der Landesregierung aufzuzeigen, wo die Chancen liegen, und dass wir es in unserer Hand haben, in welche Richtung sich die Dinge entwickeln.

Zu den Chancen für eine weitere Humanisierung der Arbeitswelt zählen insbesondere ein fair ausgehandelter Kompromiss zwischen den Flexibilitätserfordernissen der Arbeitgeber und den Bedürfnissen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie eine Weiterbildungsoffensive und ein Recht auf Weiterbildung, weil sich auch bestehende Tätigkeiten in einem neuen Ausmaß verändern. Die Digitalisierung der Arbeitswelt bietet zudem das Potential, um die Teilhabe am Arbeitsmarkt und gerechte Löh­ne zu befördern. Eine große Chance dieser Entwicklung liegt in mehr Wahlarbeitszeitoptionen und einer innovativen Arbeitszeitgestaltung, die persönliche, familiäre und gesellschaftliche Zeitbedarfe neben der Erwerbsarbeit anerkennt und neue Vereinbarkeitslösungen unterstützt. Hierzu soll die verstärkt eingesetzte Technik beitragen, indem sie die Menschen entlastet. Dabei müssen jedoch Schutz­rechte für alle Beschäftigten und neue Wege, um gesundes Arbeiten zu unterstützen, beachtet und eingeschlagen werden. Dazu gehört ein Datenschutz, der sicherstellt, dass es den gläsernen Beschäftigten auch in Zukunft nicht gibt. Aus Sicht der niedersächsischen Landesregierung kommt bei der Nutzung der sich durch die Digitalisierung ergebenden Chancen der Mitbestimmung und Mitgestal­tung in den Betrieben durch die Tarifpartner entscheidende Bedeutung zu. Dabei soll auch die Gelegenheit wahrgenommen werden, eine bessere soziale Absicherung von Selbstständigen und faire Arbeitsbedingungen in der Plattformökonomie zu erreichen.

2. Welche Konsequenzen oder Anpassungen sind aus Sicht der Landesregierung im Bereich des Arbeitsrechts und der Arbeitszeitgestaltung mit Bezug auf eine erfolgreiche Implementierung der digitalisierten Arbeitswelt erforderlich?

Die unter Frage 1 dargestellten von der Landesregierung vertretenen Leitlinien gelten auch konkret im Bereich des Arbeitsrechts.

Um den Bund bei der Gestaltung der zunehmend digitalisierten Arbeitswelt konstruktiv zu begleiten, hat Niedersachsen an den ASMK-Anträgen zum Thema „Arbeit 4.0“ am 01./02.12.2016 mitgewirkt und alle dort erhobenen Forderungen unterstützt. Zu nennen ist hier in erster Linie der Leitantrag Arbeit 4.0 mit den damit verbundenen Fragestellungen zum Arbeitsschutz, zur Qualifizierung und Weiterbildung, aber auch zu einem sozialpartnerschaftlichen Miteinander bei der Gestaltung der digitalen Arbeitswelt.

Die Digitalisierung und der damit einhergehende Wandel der Arbeitswelt können nur mit einer starken Sozialpartnerschaft auf Augenhöhe gelingen. Das bedeutet, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bzw. ihre Interessensvertreter/innen an allen für die Arbeitsverhältnisse relevanten Entscheidungen im Betrieb und Unternehmen beteiligt werden müssen. Daher hat Niedersachsen im Dezember 2016 zusammen mit anderen Ländern die Entschließung: „Mitbestimmung zukunftsfest gestalten“ (BR-Drs. 740/16) in den Bundesrat eingebracht. Mit dieser Initiative wird die Bundesregierung aufgefordert, die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Betriebs- und Aufsichtsräten auch im Zeitalter der Digitalisierung zu sichern und auf arbeitnehmerähnliche Beschäftigte auszuweiten. Wenn derartige Beschäftigte in gleichem Maß und Umfang wie die Stammbelegschaft in die Unternehmensabläufe eingebunden werden, sollen sie auch in gleicher Weise von der Schutzfunktion des Betriebsverfassungsgesetzes erfasst werden, um eine Schutzlücke zu verhindern.

Gerade mit Blick auf die fortschreitende Digitalisierung der Arbeitswelt und die damit verbundenen unmittelbaren Auswirkungen auf jede Arbeitnehmerin und jeden Arbeitnehmer sind aber noch viele Fragen offen. So ist insbesondere zu klären, ob die bisher im Arbeitsrecht konsensual verwandten Begriffe und Definitionen auch zukünftig geeignet sind, die Vielfalt neu entstehender Beschäftigungsformen angemessen abzubilden. Als Beispiel sei der für die Betriebsverfassung maßgebliche Arbeitnehmerbegriff genannt, dessen Bedeutungsgehalt immer mehr verschwimmt, aber auch auf die Frage hingewiesen, ob und ggfs. wer beim sogenannten „crowd - working“ Arbeitgeber ist. Darüber hinaus gilt es, die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Privatleben sowie den Schutz der Beschäftigten vor „Selbstausbeutung“ auch unter den Bedingungen einer zunehmenden örtlichen und zeitlichen Entgrenzung der Arbeit sicher zu stellen..

Im Zuge der Gestaltung der digitalen Arbeitswelt ist für das Arbeitszeitrecht zu prüfen, welches Flexibilisierungspotential besteht. Eine Grenze der Flexibilisierung stellt die Gesundheit der Beschäftigten dar. Rechtliche Beschränkungen zum Schutz vor möglicher Überforderung durch Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und auch vor gesundheitsgefährdender Selbstausbeutung der Beschäftigten sind vorzusehen. Hierzu ist mit allen relevanten Partnern, insbesondere den Sozialpartnern, ein intensiver Dialogprozess zu führen.

Insgesamt ist zu gewährleisten, dass die Beschäftigten nicht nur Objekt und „stille Dulder“ des mit der Digitalisierung der Arbeitswelt verbundenen, auf Steigerung des Flexibilisierungsgrades ausgerichteten Wandels sind. Der digitale Wandel darf nicht dazu führen, dass notwendige Arbeitnehmerschutzrechte dem wirtschaftlichen Flexibilisierungs- und Effizienzerfordernis weichen müssen. Auch wenn die derzeit bestehenden arbeits- und arbeitsschutzrechtlichen Regelungen nicht für die Arbeitswelt 4.0 konzipiert worden sind und auf die neuen Strukturen hin (weiter)entwickelt werden müssen, darf diese Anpassung keine Preisgabe der über Jahrzehnte gewachsenen und den Erfolg des Wirtschaftsstandorts Deutschland mitprägenden Schutzstandards bewirken.

3. Welche Vor- und Nachteile sind mit der Digitalisierung für den Wirtschafts- und Industriestandort Niedersachsen verbunden?

Durch die Digitalisierung eröffnen sich für Standorte und Unternehmen gleichermaßen große Chancen durch die Vernetzung von Produktion, Produkten, Unternehmen und Märkten. In ihr steckt hohes wirtschaftliches Potenzialfür die deutsche Wirtschaft. Setzt sie diese erfolgreich um, könnte das BIP jährlich um etwa 1 Prozent steigen. Allein für die niedersächsische Wirtschaft könnte dies einen Zuwachs von 13,2 Milliarden Euro innerhalb der nächsten fünf Jahre bedeuten.

Die Stärke des Standorts Niedersachsen liegt in dem Portfolio aus Wirtschaft und Forschung. So bietet der Forschungsstandort Niedersachsen im Spezialisierungsfeld der Digitalwirtschaft ein diversifiziertes Angebot von grundlagen- und anwendungsorientierter Forschung.

Insbesondere für die Digitalwirtschaft in Niedersachen, die dynamischer und schneller als andere Branchen wächst, sind mit der Digitalisierung enorme wirtschaftliche Chancen im Hinblick auf Wachstum und Beschäftigung verbunden. Digitalisierung wird in vielen Bereichen der niedersächsischen Wirtschaft zu Produkt- und Prozessinnovationen führen. Mit branchenspezifischen IKT-Lösungen und IKT-bezogenen Dienstleistungen kann die Digitalwirtschaft in Niedersachsen nicht nur den Weg für eine Digitalisierung in allen Wirtschaftsbereichen bereiten, sondern auch selbst weiter wachsen. Dazu verfügt Niedersachsen über ein breites Spektrum innovativer Unternehmen, die passgenaue IT-Lösungen entwickeln und anbieten. Seit 2007 ist die Beschäftigung in der Digitalbranche um 22 Prozent gestiegen, im Vergleich zu 17 Prozent außerhalb des IKT-Bereichs. Insgesamt sind in den Digitalunternehmen inzwischen 56.324 Mitarbeiter oder 2 Prozent aller landesweit Beschäftigten tätig.

Der Landesregierung ist es wichtig, dass auch kleine und mittlere Unternehmen mit dem technologischen Fortschritt mithalten und die Vorteile der Digitalisierung für sich nutzen können. Der Digitalisierungsgrad in mittelständischen Unternehmen ist jedoch noch sehr unterschiedlich und variiert sowohl innerhalb der Branchen als auch bei den Unternehmensgrößen. Insgesamt überdurchschnittlich stark digitalisiert ist vor allem Niedersachsens Industrie. 60 Prozent der Firmen mit mehr als 500 Mitarbeitern zählen mehrheitlich zu den Fortgeschrittenen, wenn es um die Bereitschaft für Industrie 4.0, also die Vernetzung von Prozessen, Produkten und Unternehmen geht. Bei der Messung der Industrie-4.0-Readiness erreichen jedoch 70 Prozent der Unternehmen mit bis zu 99 Mitarbeitern nur Stufe 0 und gelten somit als „Außenstehende“.

Von allen Industriebranchen in Niedersachsen sind die Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie am weitesten digitalisiert. Ihr Reifegrad liegt bei durchschnittlich 7,5 Punkten, verglichen mit 4,8 Punkten für die Gesamtwirtschaft. Fast jedes dritte M+E-Unternehmen hat seine Strategie schon in hohem Maße auf die digitale Transformation ausgerichtet – ein doppelt so hoher Anteil wie im Bundesschnitt.

60 Prozent der niedersächsischen M+E-Industrie erwarten für die kommenden fünf Jahre einen höheren Umsatzanteil smarter, also digital angebundener, Produkte. Durchschnittlich soll dieser um 8 Prozentpunkte zulegen.

Dies dürfte auch dem Industriestandort Niedersachsen insgesamt nützen, indem er innovative und für die Zukunft gerüstete Betriebe vorweisen kann.
Minister Olaf Lies spricht im Niedersächsischen Landtag, Fotograf: Thiemo Jentsch   Bildrechte: MW-Nds

Minister Olaf Lies spricht im Niedersächsischen Landtag

Artikel-Informationen

erstellt am:
03.02.2017
zuletzt aktualisiert am:
06.02.2017

Ansprechpartner/in:
Pressesprecher: Christian Haegele und Sabine Schlemmer-Kaune

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