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Entwicklung der Glücksspielabhängigkeit in Niedersachsen

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 11.11.2010 - TOP 29. Antwort von Wirtschaftsminister Jörg Bode auf die mündliche Anfrage des Abgeordneten Ralf Briese (GRÜNE)


Der Abgeordnete Ralf Briese (GRÜNE) hatte gefragt:

Gegenwärtig beraten die Ministerpräsidenten der Länder über einen neuen Glücksspielstaatsvertrag. Geprüft werden zwei unterschiedliche Modelle: Variante 1 sieht vor, dass das staatliche Glücksspielmonopol konsequent weitergeführt wird. Variante 2 prüft, ob eine Konzessionierung im Bereich der Sportwetten unter Beibehaltung des staatlichen Lotteriemonopols rechtlich möglich ist.

Der geltende Glücksspielstaatsvertrag ist vom Europäischen Gerichtshof rechtlich als „inkonsistent“ bezeichnet worden, weil vor allem das suchtinduzierende Automatenspiel in den Spielhallen davon nicht erfasst ist. Spielhallen breiten sich insbesondere in den Kommunen in den letzten Jahren stark aus. Der Wirtschaftsjurist und Fachmann für Glücksspielrecht Professor Adams aus Hamburg geht davon aus, dass die Anbieter von Automatenspielen mit einer hohen Zahl von Spielsüchtigen kalkulieren, weil gerade diese Klientel hohe Umsätze generiert und damit die Gewinne der Betreiber erhöht. Adams geht davon aus, dass die Automatenindustrie ihr Geschäft mit Suchtkranken betreibt. In einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ist die hohe Zahl von Automatenspielsüchtigen für Staat und Gesellschaft laut Adams ein Negativgeschäft; denn viele Süchtige verspielen Haus und Hof und verlieren ihre Arbeitsstelle. Das führt oftmals zur Familienzerrüttung, sodass erhebliche soziale Kosten entstehen und entsprechende Transferzahlungen geleistet werden müssen. Die Kommunen beschweren sich daher bereits über die rasante Ausbreitung von Spielhallen und wollen bessere Planungsinstrumente, um gegen die Ausbreitung von Spielhallen vorgehen zu können.

Ich frage die Landesregierung:

  1. Wie hat sich die Zahl der Spielhallen in Niedersachsen in den letzten fünf Jahren entwickelt?
  2. Wie hat sich die Zahl der Spielsüchtigen in den letzten fünf Jahren entwickelt (bitte aufschlüsseln nach Zahl der Süchtigen und Glücksspielsparten)?
  3. Welche Position vertritt die Landesregierung hinsichtlich einer stärkeren Regulierung des Automatenspieles?
Wirtschaftsminister Jörg Bode beantwortete die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Am 22.10.2010 haben sich die Regierungschefin und die Regierungschefs der Länder in ihrer Jahreskonferenz einstimmig für den Erhalt des Lotteriemonopols ausgesprochen. Daneben haben sie eine Arbeitsgruppe beauftragt, bis zur nächsten Ministerpräsidentenkonferenz am 15.12.2010 zwei alternative Entwürfe von Änderungsverträgen zum Glücksspielstaatsvertrag unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) auszuarbeiten. In der einen Alternative soll auch das Sportwettenmonopol weiterentwickelt werden, in der anderen Alternative soll das Sportwettenangebot konzessioniert geöffnet werden.

Um die Regelungen zu Glücksspielen insgesamt so zu gestalten, dass sie den Anforderungen des EuGH zur Kohärenz genügen, sollen auch die für die jeweilige Alternative nötigen Änderungen des gewerblichen Automatenspiels und des Rechts der Pferdewetten aufgezeigt werden. Wegen dieser Änderungen haben die Regierungschefin und die Regierungschefs der Länder die Bundesregierung gebeten, an einer zeitlich und inhaltlich abgestimmten Neuordnung des Glücksspielrechts bis spätestens Anfang des Jahres 2011 mitzuwirken.

Weiterhin soll die Arbeitsgruppe prüfen, ob landesrechtliche Regelungen zum gewerblichen Automatenspiel in den Änderungsstaatsvertrag aufgenommen werden sollten. Die Möglichkeit von landesrechtlichen Regelungen besteht seit der Föderalismusreform im Jahre 2006, mit der den Ländern die Gesetzgebungskompetenz für das Recht der Spielhallen, deren Umfang im Einzelnen jedoch umstritten ist, übertragen wurde.

Ausweislich einer Protokollerklärung werden neben Niedersachsen die Länder Hessen, Bayern, Hamburg, Sachsen und Schleswig-Holstein ergänzend prüfen, ob bei Aufrechterhaltung des Lotteriemonopols mit einer zeitlich befristeten Experimentierklausel Konzessionen für Sportwetten erteilt werden könnten.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:

zu 1.:
Eine amtliche Statistik, die die Anzahl aller in Niedersachsen zugelassenen Spielhallen gem. § 33i Gewerbeordnung enthält, wird nicht geführt. Eine Abfrage bei den insgesamt 115 zuständigen Erlaubnis- und Überwachungsbehörden wurde vor dem Hintergrund der zur Verfügung stehenden Zeit und des damit verbundenen Aufwandes nicht durchgeführt.

Die nachstehenden Zahlen sind einer Studie des Arbeitskreises gegen Spielsucht e.V. – sogenannte Trümper-Studie – entnommen. Diese Studie enthält Erhebungen für Niedersachsen für die Jahre 2006, 2008 und 2010. Die fachliche Qualifikation der Studie ist weithin anerkannt und dient in den verschiedensten Fachkreisen als eine der maßgeblichen Erkenntnisquellen. Die Untersuchung bezieht Kommunen mit mehr als 10.000 Einwohnern ein. Dies waren zu den 3 erfassten Stichtagen jeweils 203 für Niedersachsen.

Danach waren am Stichtag 01.01.2006 in 198 in die Auswertung eingeflossen niedersächsischen Kommunen 1.212 Spielhallenbetriebe erfasst. Diese waren an insgesamt 936 Standorten tätig. Die Abweichung zwischen der Gesamtzahl der Spielhallenbetriebe zu den Spielhallenstandorten ergibt sich durch die Bildung von Mehrfachkomplexen. In den im Jahr 2006 erfassten Spielhallen wurden insgesamt 10.715 Geldspielgeräte betrieben.

Zum 01.01.2008 wurden in 198 erfassten Kommunen 1.200 Spielhallen an 896 Standorten mit insgesamt 12.156 Geldspielgeräten betrieben.

Am 01.01.2010 wurden in 198 erfassten Kommunen 1.425 Spielhallen an 965 Standorten mit insgesamt 14.766 Geldspielgeräten betrieben.

zu 2.:
Für Niedersachsen liegen keine verlässlichen Daten über die Zahl der Spielsüchtigen, die auf wissenschaftlicher Basis erhoben wurden, vor. Bundesweite Daten zum Glücksspielverhalten können dem Ergebnisbericht der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) vom Januar 2010 entnommen werden (Glücksspielverhalten in Deutschland 2007 und 2009 - www.bzga.de/studien). Daraus lassen sich Schätzwerte für Niedersachsen ableiten (12-Monats-Prävalenz). Die Zahlen für 2007 und 2009 unterscheiden sich nicht signifikant. Es muss von 10.000 bis 30.000 pathologischen Glücksspielerinnen bzw. Glücksspielern (Süchtige) und zusätzlich von 15.000 bis 34.000 problematischen Glücksspielerinnen bzw. Glücksspielern (Missbrauchsstadium) ausgegangen werden.

Eine Ausdifferenzierung nach Glücksspielarten ist auf dieser Grundlage für die Glücksspielsüchtigen in Niedersachsen nicht möglich. Anhaltspunkte über den Anteil der Spielformen an der Gesamtproblematik "Glücksspiel" in Niedersachsen geben jedoch die Daten der (freiwillig) Ratsuchenden, die in den 24 vom Innenministerium geförderten Beratungsstellen mit einem Präventionsteam Glücksspielsucht in den Jahren 2008 und 2009 um eine Beratung nachgesucht haben. 86% (518 Personen in 2008 (100 %) bzw. 87% (627 Personen in 2009 (100 %) der Klienten (in 9 von 10 Fällen Männer) hatten ein Problem mit den Geldautomaten in Spielhallen. Die Präventionsteams sind seit Januar 2008 im Einsatz, so dass Zahlen aus den Vorjahren nicht zur Verfügung stehen.

zu 3.:
Regelungen für das gewerberechtliche Automatenspiel enthalten die §§ 33c, e und f Gewerbeordnung und die danach gestaltete Spielverordnung. Die Spielverordnung ist zum 01.01.2006 wesentlich novelliert worden. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie ist aufgefordert, vier Jahre nach Inkrafttreten der Änderung der Spielverordnung über die Auswirkungen der Novelle – insbesondere auf das pathologische Spielverhalten - zu berichten. Zu diesem Zweck wurde das Institut für Therapieforschung (IfT), München, mit umfangreichen Erhebungen und Untersuchungen beauftragt. Der Bericht liegt dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie jetzt vor. Die Auswertung ist anhängig. Die Unterrichtung der Länder soll über den Bundesrat spätestens im Dezember 2010 erfolgen.

Die Landesregierung wird sich an der Auswertung der Erkenntnisse aus der IfT-Studie beteiligen. Sie wird danach ggf. vorzunehmende Rechtsänderungen im Einzelnen prüfen.

In diesem Zusammenhang werden auch Überlegungen zur Herstellung der bemängelten Kohärenz zwischen dem landesrechtlich gestalteten Lotterie- und Sportwettenangebot und dem gewerblichen Spielrecht in die Prüfung einfließen.


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erstellt am:
11.11.2010

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