Trinkwasserversorgung in Niedersachsen - BGH-Urteil
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 18.03.2010 - TOP 29
Der Abgeordnete Abgeordneter Dieter Möhrmann (SPD) hatte gefragt:
Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 2. Dezember 2009 die Rechtmäßigkeit einer Preissenkungsverfügung der hessischen Landeskartellbehörde bestätigt. Die Stadt Wetzlar wurde verpflichtet, die Wasserpreise um 30 % zu senken.
"Anscheinend sah sich der BGH auf der Grundlage des bestehenden Rechtsrahmens nicht in der Lage, für die Überprüfung von Wasserpreisen, insbesondere für die Vergleichbarkeit von Wasserversorgern, spezifische Kriterien zu entwickeln", kommentierte der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU). Auch der Niedersächsische Städtetag wehrt sich gegen das BGH-Urteil und verweist auf das Prinzip der Kostendeckung nach dem Kommunalabgabengesetz. Der Städte- und Gemeindebund warnte vor falschen Schlüssen und sieht eine mögliche Gefährdung der kommunalen Wasserversorgung.
Der VKU argumentierte weiter, dass in der örtlich gebundenen Wasserversorgung stark unterschiedliche, kostenrelevante Versorgungsbedingungen gelten. Er verweist dazu auf ein Gutachten "Trinkwasserpreise in Deutschland" der Universität Leipzig aus dem Oktober 2009. Anscheinend erkennt der BGH in seinem Urteil diese Kriterien nicht an, weil es dafür keine einschlägigen Rechtsvorschriften gibt. Nun werden die zuständigen Landeskartellbehörden auf der Grundlage des Urteils ihre kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht im Interesse der Trinkwasserkunden ausüben müssen.
Ich frage die Landesregierung:
- Wie wird das Urteil des BGH unter Würdigung der Hinweise der kommunalen Spitzenverbände und des VKU bewertet, und wie muss der Rechtsrahmen für die Bewertung unterschiedlicher Wasserpreise verändert werden?
- Welche Erkenntnisse zur Höhe von Wasserpreisen liegen den niedersächsischen Landeskartellbehörden unter Auswertung der von einer Arbeitsgruppe beim Umweltministerium erarbeiteten Kennzahlen (siehe LT-Drs. 15/1199) vor, und nach welchen Kriterien werden die Preise bisher und nach Auswertung des BGH-Urteils zukünftig geprüft?
- Welche Auswirkungen auf die örtliche Daseinsvorsorge/Wasserversorgung hat das Urteil des BGH vor dem Hintergrund, dass die Landtagsmehrheit in der Landtagsentschließung "Ganzheitlicher Ansatz im Trinkwasserschutz - Trinkwasserressourcen nachhaltig sichern" unter Punkt 4 formuliert: "Der Wettbewerb um einzelne (Wasser-) Versorgungsgebiete, im Regelfalle aber nicht der Wettbewerb innerhalb einzelner Versorgungsgebiete, ist ökonomisch und technisch sinnvoll und fördert die Effizienz der Versorgung. Eine in diesem Sinne verstandene Liberalisierung des Wassermarktes sichert nachhaltig eine preiswerte und verlässliche Trinkwasserversorgung in Niedersachsen", und soll hier zukünftig der Wettbewerbsgedanke anstelle des Grundsatzes der kommunalen Daseinsvorsorge im Vordergrund stehen?
Wirtschaftsminister Jörg Bode beantwortete die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
In der mündlichen Anfrage ist von einem Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 02.12.2009 die Rede. Es wird davon ausgegangen, dass der Beschluss vom 02.02.2010 (KVR 66/08) gemeint ist, mit dem der Kartellsenat des BGH eine Preissenkungsverfügung der Hessischen Landeskartellbehörde bestätigt hat.
Der BGH hat darin festgestellt, dass die enwag ihre marktbeherrschende Stellung missbraucht hat, indem sie ungünstigere Preise als gleichartige Wasserversorgungsunternehmen (WVU) forderte.
Die Zuständigkeit der Kartellbehörden ist auf WVU begrenzt, die auf privatrechtlicher Basis Wasserpreise erheben. Dementsprechend unterliegen Unternehmen, die auf der Grundlage kommunaler Satzungen Wassergebühren erheben, nicht der nachträglichen Missbrauchsaufsicht, sondern der Kommunalaufsicht.
Dieses vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
Der Entscheidung des BGH kommt erhebliche Bedeutung für die Missbrauchskontrolle von Wasserpreisen durch die Kartellbehörden zu, die auf der Grundlage von § 103 Abs. 5, § 22 Abs. 5 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 20.02.1990, die gem. § 131 Abs. 6 GWB in der aktuellen Fassung weiter gelten, tätig werden. Danach ist es WVU verboten, ungünstigere Preise oder Geschäftsbedingungen zu fordern als gleichartige Versorgungsunternehmen, es sei denn, das Versorgungsunternehmen weist nach, dass der Unterschied auf abweichenden Umständen beruht, die ihm nicht zurechenbar sind.
Die kartellrechtliche Missbrauchsprüfung erfolgt grundsätzlich in mehreren Stufen. Zunächst vergleicht die Kartellbehörde die Preise von Unternehmen mit einer vergleichbaren, d.h. möglichst ähnlichen Gebietsstruktur. Sind die Unternehmen miteinander vergleichbar, so kommt es darauf an, ob das betroffene Versorgungsunternehmen ungünstigere Preise als die Vergleichsunternehmen verlangt. Liegen ungünstigere Preise vor, so muss das betroffene Unternehmen im Einzelfall abweichende rechtfertigende Umstände darlegen und beweisen, welche ihm nicht zurechenbar sind. Als Rechtfertigungsgründe kommen dabei vor allem gebietsstrukturbedingte Umstände, wie z.B. ungünstigere Bodenverhältnisse, faktische und rechtliche Erschwernisse für die Leitungsverlegung wie felsiger Untergrund, Höhenunterschiede, Vorhandensein von Wasserstraßen und Naturschutzgebieten in Betracht.
Von besonderer Bedeutung bei dieser Prüfung ist die Beweislastverteilung. Den Kartellbehörden obliegt die Beweislast für die Gleichartigkeit der Vergleichsunternehmen, während das betroffene WVU darzutun und zu belegen hat, dass der Preisunterschied auf abweichenden, ihm nicht zurechenbaren Umständen beruht. Je geringer die Anforderungen an die Gleichartigkeit sind, desto stärker wirkt sich die Beweislast des Unternehmens zur Entkräftung des Missbrauchsvorwurfs unter Hinweis auf strukturbedingte Kosten aus.
In seinem Beschluss vom 02.02.2010 hat der BGH entschieden, dass nur geringe Anforderungen an das Merkmal der Gleichartigkeit zu stellen sind. Dazu heißt es in dem Beschluss auf Seite 12:
"Die mit der Beweislastverteilung bezweckte Verschärfung der Missbrauchsaufsicht im Bereich der leitungsgebundenen Versorgungswirtschaft würde verfehlt, wenn an das Merkmal der Gleichartigkeit zu hohe Anforderungen gestellt würden. Danach sind zwei Unternehmen jedenfalls dann gleichartig, wenn zwischen ihnen hinsichtlich der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen keine wesentlichen Unterschiede bestehen, die aus der Sicht der Abnehmer gemäß der Zielsetzung einer möglichst sicheren und preiswürdigen Versorgung mit Trinkwasser von vornherein eine deutlich unterschiedliche Beurteilung der Preisgestaltung rechtfertigen (vgl. BGHZ 129, 37, 46 f. - Weiterverteiler). Dabei kommt es - entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde - nicht auf eine umfassende Feststellung aller maßgeblichen Strukturdaten an."
Dies hat zur Folge, dass die von den kommunalen Spitzenverbänden und dem VKU angesprochenen spezifischen kostenrelevanten Versorgungsbedingungen nicht schon von der Kartellbehörde im Rahmen der Auswahl von Vergleichsunternehmen vollumfänglich zu werten sind. Vielmehr obliegt es dem betroffenen WVU selbst, im Rahmen seiner Darlegung nachzuweisen, dass ein höherer Preis aufgrund besonderer Umstände wie z.B. struktureller Unterschiede gerechtfertigt ist.
Eine Änderung des Rechtsrahmens für die Bewertung unterschiedlicher Wasserpreise ist somit nicht erforderlich, da spezifische Kriterien bereits jetzt hinreichend im Rahmen der Rechtfertigung Berücksichtigung finden. Insoweit ist der bestehende Rechtsrahmen ausreichend.
Zu 2.:
In Niedersachsen sind Wasserpreise traditionell niedrig. Im Jahre 2006 hatte Niedersachsen bundesweit die zweitgünstigsten Wasserpreise mit 1,35 €/m³ nach Schleswig-Holstein mit 1,34 €/m³ (Quelle: BGW-Wassertarifstatistik 2006). Nach vorliegenden Erkenntnissen unterliegen Wasserpreise sehr viel seltener Veränderungen als Energiepreise.
Die niedersächsische Landeskartellbehörde (LKartB) führt in regelmäßigen Abständen Wasserpreisvergleiche gemäß § 32 e GWB durch. Diese Untersuchungen der LKartB sind getrennt zu sehen von dem durch das niedersächsische Ministerium für Umwelt und Klimaschutz (MU) durchgeführten freiwilligen Benchmarkingprozess (Kennzahlenvergleich) zum Leistungsvergleich zwischen niedersächsischen Wasserversorgern.
Zuletzt im Jahr 2006 hat die LKartB 90 Versorgungsgebiete von ca. 60 WVU untersucht. Insgesamt versorgten zu diesem Zeitpunkt ca. 380 WVU in Niedersachsen Haushalts- und Kleingewerbekunden mit Trinkwasser. Daraus folgt, dass der weitaus überwiegende Teil der WVU Gebühren erhebt. Die WVU müssen Angaben zu Tarifen bestimmter Abnahmefälle als auch zur Erlössituation machen.
Es wurden keine Kartellverwaltungsverfahren eröffnet, weil WVU den gegen sie erhobenen Missbrauchsverdacht entkräften konnten. Die LKartB stellte gegen Zusagen der WVU, Preisreduzierungen vorzunehmen bzw. geplante Preiserhöhungen auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, die Verfahren ein. Die regelmäßigen Wasserpreisabfragen der LKartB tragen somit zur Dämpfung des Preisniveaus bei.
Die LKartB beabsichtigt zum Ende des Jahres 2010 eine weitere Wasser-preisuntersuchung durchzuführen.
Davon unabhängig ist der freiwillige Kennzahlenvergleich des MU. Anhand weniger, aber aussagekräftiger Kennzahlen, die das MU gemeinsam mit einer Arbeitsgruppe aus Vertretern der Wasserversorgungswirtschaft vereinbart hat, führt das MU in Zusammenarbeit mit den Verbänden der Wasserwirtschaft und den kommunalen Spitzenverbänden einen landesweiten Kennzahlenvergleich in der Wasserversorgung Niedersachsens durch (www.kennzahlen-h2o.de). Damit sollen den für die Daseinsvorsorge zuständigen Gemeinden und den Wasserversorgungsunternehmen Anhaltspunkte zur Standortbestimmung der örtlichen Wasserversorgung gegeben werden.
Kennzahlenvergleiche sind anerkannte Instrumente zur Identifizierung von Potenzialen und tragen damit zur Modernisierung und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit von Wasserversorgungsunternehmen bei.
Ziel des laufenden Projektes ist die Darstellung des aktuellen Leistungsstandes der niedersächsischen Wasserversorgungsunternehmen, die es den am Vergleich teilnehmenden Unternehmen erlaubt, sich einzuordnen sowie vorhandene Entwicklungspotenziale für eine nachhaltige Entwicklung und für eine weitere Effizienzsteigerung zum Wohle von Umwelt und Verbrauchern zu nutzen. Ebenfalls soll der niedersächsische Kennzahlenvergleich vor Ort eine sachgerechte Diskussion um Leistungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der Wasserversorgung unterstützen.
Mit dem niedersächsischen Projekt sollten die Gemeinden, Genossenschaften, Verbände und Unternehmen aller Größenordnungen erreicht werden. Die 90 teilnehmenden Wasserversorger repräsentieren rund 80 % der Wasserabgabe an Haushalte und Gewerbe.
Die Ergebnisse, die anhand anonymisierter, nicht aggregierter Daten im Mai dieses Jahres vorgestellt werden, bieten einen landesweiten Überblick über die Kennzahlen aller teilnehmenden Unternehmen.
Zu 3.:
Die Formulierung "Wettbewerbsgedanke anstelle des Grundsatzes der kommunalen Daseinsvorsorge" unterstellt einen Gegensatz, dem so nicht gefolgt werden kann.
Zielsetzung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen und der damit verbundenen Missbrauchsaufsicht innerhalb des durch monopolistische Strukturen geprägten Wassermarktes ist es, "ein Korrektiv für das Fehlen von Wettbewerb zu sein" (so BGH, Beschluss vom 2. Februar 2010 – KVR 66/08).
Der vom MU landesweit angesetzte freiwillige Kennzahlengleich erzeugt Transparenz und Öffentlichkeit und dient der Effizienzsteigerung als auch der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der WVU unter Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit bei gleichbleibend hohem Qualitätsstandard. Es besteht fachlicher Konsens zwischen den WVU und der Wasserwirtschafts-verwaltung, dass Kostenminimierung nur auf der Basis einer gesicherten Daseinsvorsorge und damit fußend auf allgemeingültigen Standards der Umwelt- und Gesundheitsvorsorge betrieben werden können.
Die Daseinsvorsorge wird somit nicht infrage gestellt.
Artikel-Informationen
erstellt am:
18.03.2010
zuletzt aktualisiert am:
19.03.2010