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Die Bahn

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 21.01.2011 - TOP 27. Antwort von Verkehrsminister Jörg Bode auf die mündliche Anfrage des Abgeordneten Enno Hagenah (GRÜNE)


Der Abgeordnete Enno Hagenah (GRÜNE) hatte gefragt:

Im Sommer führte der hitzebedingte Ausfall von Klimaanlagen zur Evakuierung von Zügen, jetzt frieren die Weichen ein, oder andere Beeinträchtigungen durch den Frost bringen die Bahn zum Stehen. In den letzten Wochen fielen reihenweise Verbindungen aus oder waren deutlich verspätet. Sowohl bei den Regionalzügen als auch im Fernverkehr kam es zu zahlreichen Problemen. Im Harz wurde jüngst sogar ein Zug mit Polizeieinsatz wegen Überfüllung geräumt, weil die Nachfrage am Wochenende das Angebot der Bahn an Sitz- und Stehplätzen bei Weitem überstieg. Die Bahnkundschaft muss verärgert zur Kenntnis nehmen, dass sie sich immer häufiger nicht mehr auf vorhandene Fahrpläne und Zugangebote verlassen kann. Dieser Winter zeigt, dass die Bahn entgegen allen Aussagen nicht auf „besondere“ Wetterlagen vorbereitet ist. Die Lehren aus den erheblichen Schwierigkeiten im letzten Winter wurden bei der Bahn AG nicht gezogen, Verweise auf die Wettersituation helfen nicht weiter. Der frühere Wettbewerbsvorteil der Bahn, bei jeder Witterung pünktliche, bequeme und mit ausreichenden Kapazitäten ausgestattete Mobilität anzubieten, scheint im 21. Jahrhundert nicht mehr gegeben zu sein.

Mit der jetzigen Finanzausstattung der Bahn sind die dringlichen Anforderungen nicht zu finanzieren. Dies gilt insbesondere auch für die jährlichen Infrastrukturmittel im Bundeshaushalt.

Projekte wie die Hinterlandanbindung des JadeWeserPorts, der Bahnknoten in Hannover und der notwendige Ausbau der Hafenhinterlandanbindung der Nordseehäfen sind bislang auf die lange Bank geschoben, weil die notwendigen Finanzmittel fehlen. Angesichts dieser Lage steht besonders in Frage, ob die Dividende an den Bund in Höhe von 500 Millionen Euro weiter zum Stopfen von Haushaltslöchern verwendet werden muss. Investitionen zur Optimierung der Schieneninfrastruktur und für die Neuanschaffung von Zügen müssten eigentlich nun Priorität haben.

Ich frage die Landesregierung:

  1. Welche erheblichen Zugverspätungen von mehr als einer Stunde und/oder -ausfälle sind in den vergangenen zwölf Monaten in Niedersachsen, aufgeschlüsselt nach den vier möglichen Ursachen „Bauarbeiten“, „Materialversagen“, „Witterung“ und „Sonstiges“, aufgetreten?
  2. Sind die verschieden begründeten Ausfälle und Kapazitätsengpässe nur eine Folge der Sparmaßnahmen für den geplanten Börsengang und die Dividendenzahlungen an den Bund, oder ist moderne Zugtechnik auch zwangsläufig witterungsanfälliger?
  3. Welche Konsequenzen müssen aus den vielfältigen witterungsbedingten Zugproblemen der vergangenen Monate und der Unterfinanzierung von Infrastrukturerhaltung und bedarfsgerechtem Infrastrukturausbau jetzt gezogen werden, um dies zukünftig zu vermeiden?
Verkehrsminister Jörg Bode beantwortete die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Im Jahr 2010 kam es im Eisenbahnpersonenverkehr aufgrund verschiedener Wetterlagen (Hitze im Sommer, Eis und Schnee im Winter) zu massiven Störungen im Betriebsablauf, die über ein normales für jeden nachvollziehbares Maß hinausgingen. Generell ist festzustellen, dass die außergewöhnlichen Witterungsbedingungen alle Verkehrsträger stark gefordert haben.

Einwirkungsmöglichkeiten hat das Land lediglich beim von ihm bestellten Schienenpersonennahverkehr (SPNV). Der Fernverkehr dagegen wird seit der Bahnreform von der Deutsche Bahn AG (DB AG) eigenverantwortlich konzipiert und eigenwirtschaftlich betrieben. Die in Niedersachsen und auch deutschlandweit genutzte Eisenbahninfrastruktur wird überwiegend von der DB AG betrieben und befindet sich im Eigentum und der grundgesetzlichen Verantwortung des Bundes.

Störungsursachen sind sowohl im Bereich der Infrastruktur, als auch bei den Fahrzeugen und in der Rolle der Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) zu finden.

1. Infrastruktur:

Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Störanfälligkeit – witterungsunabhängig – allein dadurch steigt, dass die Grenze der Leistungsfähigkeit des Netzes in weiten Teilen erreicht ist und sich die Engpässe durch ein kontinuierlich steigendes Verkehrsaufkommen weiter verschärfen werden. In der Folge werden bereits geringe Störungen auf weitere Verkehre übertragen. Die winterliche Wettersituation verschärft diese Situation und offenbart den hohen Grad der Netz-Auslastung bzw. der daraus resultierenden Störanfälligkeit des Gesamtsystems. Problematisch ist in diesem Zusammenhang die drastische Unterfinanzierung des Bedarfsplans Schiene, dessen Maßnahmen den deutlich erkennbaren Engpässen entgegenwirken sollen. Jedoch werden zahlreiche notwendige Ausbauvorhaben nicht oder nur stark verzögert umgesetzt.

Eine weitere, allgemeine Entwicklung, die in der winterlichen Situation verstärkt offenkundig wird, ist die steigende Rationalisierung. Durch Zentralisierung von Aufgaben und Rationalisierungsmaßnahmen hat die Personalpräsenz in der Fläche abgenommen. Dadurch ist eine gerade in Störfällen notwendige rasche Disposition von Mitarbeitern beispielsweise zur Entstörung von Weichen erschwert. Dies gilt in weiten Teilen auch für die Flexibilität in der Betriebsabwicklung, weil z.B. Überholgleise zurückgebaut sind und damit Rückfallebenen fehlen, um eine Übertragung von Verspätungen auf weitere Verkehre minimieren zu können.

Ein Großteil der Winterprobleme (bei Weichen, Schienenbruch, Oberleitungen, Stellwerken, Absaugstationen für die Ver- und Entsorgung von Toiletten, Probleme mit Hubbrücken) wird vermutlich auf diese Qualitätsabsenkung der Bundesschienenwege zurückzuführen sein. Daraus resultieren die Ursachen für zeitweise Streckensperrungen und Verzögerungen im Betriebsablauf, also Zugverspätungen und –ausfälle.

2. Fahrzeuge:

Viele der technisch hochentwickelten Fahrzeuge wiesen bei den kalten Temperaturen Probleme auf, wie z.B.

  • Türstörungen
  • Toilettenprobleme
  • Beschädigungen des Fahrzeugs in Folge von vom Fahrzeug abbrechender Eisklumpen und dadurch aufwirbelnden Schotter

Die IC- und ICE-Fahrzeuge wurden außerdem zur Vermeidung von letztgenannten Beschädigungen nur noch mit gedrosselten Geschwindigkeiten gefahren. Die Fahrpläne konnten so in den seltensten Fällen noch eingehalten werden. Die Verspätungen im Fernverkehr zogen so aber auch Verspätungen im Nahverkehr nach sich, da z.B. Zugüberholungen nicht mehr wie geplant stattfinden konnten und die Nahverkehrszüge somit an geeigneten Orten warten mussten, um vom Fernverkehr überholt zu werden.

Diese Umstände führten vor allem zu weiteren Kapazitätseinschränkungen, aber auch wie beschrieben zu Zugverspätungen, zu kurzen oder schadhaften Zügen und Zugausfällen. Mehr Fahrzeuge als unter normalen Witterungsbedingungen üblich mussten daher unvorhergesehen gewartet und repariert werden. Aufgrund mangelnder Reservehaltung konnten die dadurch fehlenden Kapazitäten aber nicht ausgeglichen werden.

Wetterunabhängig sind die sog. Neigetechnik-Triebwagen der Baureihe 612 sehr störanfällig. Dies führte durch Hinzutreten weiterer, auch witterungsbedingter Umstände zur Räumung eines Zuges der Relation Hannover – Halle im Harz.

3. Rolle der EVU’s:

Zur Rolle der EVU’s gehören in erster Linie das Informationsmanagement und der Umgang mit Störungsfällen, insbesondere gegenüber Kunden, aber auch zwischen Infrastrukturunternehmen (DB Netz) und Eisenbahnverkehrsunternehmen (DB Regio, metronom, NWB etc.). Bei länger andauernden Problemen ist so beispielsweise der Schienenersatzverkehr zu organisieren.

Da die massiven Behinderungen im Schienenverkehr sowohl im Sommer als auch im Winter bundesweit, anhaltend und insbesondere bei der DB AG aufgetreten sind, hatten die Verkehrsminister der Länder bereits im Oktober des letzten Jahres einen an den Bund gerichteten Beschluss gefasst. Bund und DB AG wurden darin aufgefordert, die aufgetretenen Schwächen bei den Fahrzeugen, die bauart- und wartungsbedingte Ursachen haben, bis zum Beginn des Winters 2010/2011 zu beseitigen. Darüber hinaus hatte die Verkehrsministerkonferenz (VMK) den Bund aufgefordert, die DB AG anzuhalten, die von ihr im Herbst angekündigten Maßnahmen zur Vermeidung von Störungen an Fahrleitungen, Weichen, Stellwerken und übrigen Anlagen vor Beginn der Winterperiode konsequent umzusetzen.

Jedoch traten wie aufgeführt erneut seit dem Wintereinbruch im Dezember 2010 im Eisenbahnverkehr bundesweit massive Störungen auf, die zu Zugverspätungen, zu kurzen oder schadhaften Zügen und zu Zugausfällen geführt haben. Deshalb wurde die Thematik wiederum auf einer Sonder-VMK am 10.01.2011 erörtert. Im Ergebnis wurde festgestellt, dass die aufgetretenen Störungen systemimmanenter Art sind.

Auf Vorschlag des Landes Niedersachsens wurde von der Verkehrsministerkonferenz einstimmig ein umfassender Beschluss gefasst, der über die Forderungen aus Oktober 2010 weit hinaus geht. Gefordert werden von Bund und DB AG eine umfassende Fehleranalyse und Erarbeitung eines Maßnahmenkataloges von kurz- und mittelfristigen Aktivitäten. Ferner wurde auf die Notwendigkeit einer sachgerechten Reservevorhaltung hingewiesen. Weiterhin soll bis zur nächsten VMK-Sitzung im Frühjahr 2011 zwischen Bund, DB AG und Ländern ein Mindeststandard für die Aufrechterhaltung des Gesamtsystems Eisenbahn in Extremsituationen definiert werden (Festlegung der Prioritäten der Strecken für den Betrieb, Notfallfahrplan als Rückfallebene, Kundenbetreuung- und –Information, Konzentration des Fahrzeug-, Werkstatt- und Personaleinsatzes).

Wichtig ist außerdem insbesondere der Teil des Beschlusses, der sich direkt an den Bund als Eigentümer der DB AG richtet und an die finanzielle grundgesetzliche Verantwortung des Bundes appelliert. Der Bund wird aufgefordert, die für den Normalbetrieb erwarteten Qualitätsstandards sowie die für den in Extremsituationen definierten Mindeststandard notwendigen Finanzmittel dauerhaft bereitzustellen. Solange diese Mittelbereitstellung nicht gewährleistet ist, sollen eventuelle Gewinne der DB AG in Abstimmung mit dem Bund hierfür verwendet werden.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:

zu 1.:
Eine Aufbereitung von Daten in der gewünschten Form ist nicht leistbar. Dies beruht darauf, dass aus den von den EVU vorzulegenden Statusberichten nur die unmittelbare, aus deren Kenntnislage ersichtliche Ursache benannt werden kann. Ob beispielsweise eine Weichenstörung auf den Ausfall des Stellmotors oder eine Vereisung zurückzuführen ist, erschließt sich nicht; Gleiches gilt z.B. für das Merkmal „Triebfahrzeugstörung“.

Unter der Prämisse, dass als Zugausfall jeder Zug mit einer Verspätung > 60 Minuten bzw. jede S-Bahn-Verbindung mit einer Verspätung > 30 Minuten gewertet wird, ist die Zahl der Zugausfälle im Dezember 2010 zwar signifikant erhöht. Selbst wenn man alle infrastrukturell und fahrzeugseitig bedingten Zugausfälle als witterungsbedingt betrachten würde, wovon allerdings nicht ausgegangen werden kann, wären darauf aber nur etwa 60% aller Zugausfälle zurückzuführen. Der absolute Spitzenwert bei Zugausfällen im Jahr 2010 im Oktober war auf die seinerzeit hohe Intensität der Bauarbeiten zurückzuführen.

Zu den Monaten mit deutlich erhöhter Zugausfall-Rate zählen ferner noch der Januar, der März und der Juli 2010. In allen diesen Monaten ist die überwiegende Zahl der Ausfälle auf Bauarbeiten zurückzuführen; allerdings treten im Januar 2010 signifikant erhöht auch witterungsbedingte Störungen – fahrzeugseitig wie infrastrukturell bedingt – hinzu.

Für das Netz der S-Bahn Hannover wurde versucht eine exemplarische Zuordnung zu den geforderten Kategorien vorzunehmen. Hieraus ergibt sich die folgende Darstellung, die keine exakte Darstellung sein kann, da wie bereits dargestellt, in den jeweiligen Verkehrsverträgen andere Datenkategorien vereinbart sind.

  • Bauarbeiten = 10,5%
  • Materialversagen (bei DB Regio) = 15,2%
  • Witterung = 21,0%
  • Sonstiges = 53,3%

Die Kategorie „Witterung“ wurde gleichgesetzt mit dem Ausfallgrund „Höhere Gewalt“, wohl wissend, dass hierzu auch Tiere/Personen im Gleis, Suizide oder Bombendrohungen etc. gehören. Der Anteil an Suiziden, Bombendrohung usw. dürfte nach Einschätzung der Region Hannover aber eher gering sein.Unter der Kategorie „Sonstiges“ wurden außerdem eingeordnet: technische Störung bei DB Netz (22,6%); Dritte (21,8%); Personal DB Regio (1,6%); Sonstiges (7,3%).

zu 2.:
Wie bereits ausgeführt, kann die Verkehrssituation der zurückliegenden Wochen nicht auf eine einzige Ursache zurückgeführt werden. Wesentliche Ursachen aus Sicht der Landesregierung sind die Rationalisierungsanstrengungen der DB AG und der gerade bei der DB zunehmend zu Tage tretende Investitionsstau; dieses gilt für Fahrzeuge wie auch für die Infrastruktur, wobei für Letzteres maßgeblich der Bund verantwortlich ist.

Darüber hinaus muss konstatiert werden, dass der Einzug neuer Technik im Bereich der Fahrzeuge zwar für einen deutlichen Komfortgewinn gesorgt hat, dass mit dem Einsatz komplexer Steuerungs- und Sicherungssysteme aber auch die Störanfälligkeit der Fahrzeuge zugenommen hat. Die Dividendenzahlungen an den Bund werden nicht als Ursache der in 2010 aufgetretenen Ausfälle gesehen, da diese Zahlung erstmalig für das Haushaltsjahr 2011 vorgesehen ist.

zu 3.:
Veranlasst durch die massiven Zugausfälle und Verspätungen im Winter 2010/2011 werden momentan die Störungen noch von den drei niedersächsischen Aufgabenträgern des SPNV umfassend analysiert. LNVG wird beispielsweise mit den führenden SPNV-Unternehmen, die in Niedersachsen Leistungen anbieten, im Frühjahr Erfahrungen zusammentragen, Störungen und deren Auswirkungen analysieren und gemeinsam Strategien entwickeln, wie und mit welchen Maßnahmen die Situation im SPNV künftig verbessert werden kann.

Im Hinblick auf die bundesweiten Störungen im Netz und bei den Fahrzeugen der DB AG werden die Länder gegenüber dem Bund und der DB AG im Rahmen des Beschlusses der VMK und der daraus resultierenden Arbeitskreise, Besprechungen etc. auf eine baldige merkliche Verbesserung hinwirken.

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erstellt am:
21.01.2011

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