Beschäftigungs- und Entlohnungsbedingungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus anderen EU-Mitgliedstaaten
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 10.05.2012 - TOP 22. Antwort vom Arbeitsminister Jörg Bode auf die mündliche Anfrage der Abgeordneten Olaf Lies und Petra Emmerich-Kopatsch (SPD)
Die Abgeordneten Olaf Lies und Petra Emmerich-Kopatsch (SPD) hatten gefragt:
Am 1. Mai 2004 und am 1. Januar 2007 sind der Europäischen Union (EU) insgesamt zwölf Staaten als neue Mitgliedstaaten beigetreten, darunter zehn osteuropäische Länder. Während einer Übergangsphase von bis zu sieben Jahren konnten die „alten“ EU-Mitgliedstaaten die Arbeitnehmerfreizügigkeit für Staatsangehörige der osteuropäischen neuen Mitgliedstaaten beschränken. Analog dazu konnten im Rahmen von Übergangsregelungen auch hinsichtlich der Dienstleistungsfreiheit zeitlich befristete Beschränkungen eingeführt werden. Deutschland hat diese Möglichkeiten bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit sehr weitgehend und bei der Dienstleistungsfreiheit teilweise genutzt.
Seit dem 1. Mai 2011 sind diese Übergangsregelungen für die 2004 beigetretenen Staaten ausgelaufen. Es ist nun allen EU-Bürgerinnen und -Bürgern (mit Ausnahme der 2007 beigetretenen Staatsangehörigen Rumäniens und Bulgariens) möglich, weitgehend ohne Einschränkungen in Deutschland zu arbeiten. Nach derzeitiger Sach- und Rechtslage ist allerdings nicht für alle Formen und Fälle der grenzüberschreitenden Mobilität von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sichergestellt, dass das in Deutschland geltende Arbeits- und Tarifrecht alle abhängig Beschäftigten - unabhängig von ihrer Herkunft - vollständig erfasst.
Neben der rein formellen Frage nach der geltenden Rechtslage stellt sich überdies die Frage nach der tatsächlichen Möglichkeit ausländischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sich über ihre Rechte zu informieren und diese gegebenenfalls durchzusetzen. Hier wäre an Hemmnisse wie mangelnde Sprachkenntnisse, eine mangelnde Vertrautheit mit dem Rechtssystem in Deutschland oder einen fehlenden Zugang zu Informationen zu denken. Diese Probleme betreffen dabei keineswegs nur entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern etwa auch sozialversicherungspflichtig oder illegal Beschäftigte und (Schein-)Selbstständige aus anderen EU‑Mitgliedstaaten sowie Beschäftigte im Rahmen der grenzüberschreitenden Arbeitnehmerüberlassung.
Wir fragen die Landesregierung:
- Über welche Kenntnisse verfügt die Landesregierung hinsichtlich der Anzahl, den Beschäftigungs- und Entlohnungsbedingungen sowie der entsprechenden Branchen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus anderen EU-Mitgliedstaaten, die sich in Niedersachsen aufhalten und die zur Erbringung von Dienstleistungen entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Scheinselbstständige, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in grenzüberschreitender Arbeitnehmerüberlassung oder Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in illegaler Beschäftigung sind, und welche Maßnahmen unternimmt oder plant die Landesregierung, um den Zugang zu diesen Informationen zu verbessern?
- Welche Maßnahmen unternimmt oder plant die Landesregierung, um die tatsächlichen Möglichkeiten zur Durchsetzung eigener Rechte dieser Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu verbessern?
- Zu welchen Erkenntnissen ist die Landesregierung möglicherweise im Austausch mit anderen Landesregierungen, mit Beratungseinrichtungen, mit Interessenverbänden der Arbeitnehmer- oder der Arbeitgeberseite oder mit Organisationen von Migrantinnen und Migranten rund um Fragen der Beschäftigungs- und Entlohnungsbedingungen der in Frage 1 aufgeführten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelangt?
Die Einhaltung der arbeits- und sozialrechtlichen Schutzbestimmungen des deutschen und europäischen Rechts für ausländische Beschäftigte in Niedersachsen ist auch für die Landesregierung ein besonders wichtiges Anliegen.
Die dafür erforderlichen Voraussetzungen hat der
Bundesgesetzgeber mit dem Arbeitnehmerentsendegesetz bzw. mit dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz sowie mit den dort enthaltenen Vorschriften zur Kontrolle der Einhaltung der Arbeitsbedingungen auch durch ausländische Arbeitgeber geschaffen.
Das gilt auch für die zur Arbeitsleistung nach Niedersachsen entsandten bzw. überlassenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus EU-Mitgliedstaaten, um die es in Ihrer Anfrage geht.
Die Landesregierung hat keinen begründbaren Zweifel daran, dass sich die übergroße Mehrheit aller ausländischen Arbeitgeber vorgenannter Beschäftigtengruppen bei der Gewährung und Einhaltung der Beschäftigungs- und Entlohnungsbedingungen so rechtstreu verhält wie deutsche Arbeitgeber. Ein Generalverdacht gegen ausländische Verleihfirmen oder Werkvertragsnehmer oder gegen deren deutsche Auftraggeber ist nicht gerechtfertigt.
Soweit Anhaltspunkte für Verstöße vorliegen, haben sie mit entsprechenden Kontrollen und Maßnahmen der nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz und dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz zuständigen Behörden (vor allem der Zollbehörden – Finanzkontrolle Schwarzarbeit -, der Bundesagentur für Arbeit und – im Falle von Scheinselbständigkeit - der Deutschen Rentenversicherung Bund) zu rechnen.
Die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen von illegal Beschäftigten und Scheinselbständigen sind der Landesregierung darüber hinaus nur so weit bekannt und können dies auch nur so weit sein, wie sie von den zuständigen Kontrollbehörden ermittelt und der Landesregierung entsprechende Informationen übermittelt worden sind.
Die Landesregierung sieht keine Veranlassung zur Erhebung eigener zusätzlicher Informationen, für die es im Übrigen einer Rechtsgrundlage bedürfte, die nicht in der Kompetenz des Landesgesetzgebers liegt.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
Die Beschäftigungs- und Entlohnungsbedingungen der in Ihrer Anfrage aufgeführten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beruhen auf den in Deutschland geltenden gesetzlichen Bestimmungen. Diese sind meiner Auffassung nach für einen angemessenen Schutz der Beschäftigten ausreichend. Zu den in Einzelfällen davon abweichenden tatsächlichen Bedingungen verweise ich auf meine Ausführungen in der Einleitung.
Es liegt in der Natur der Sache, dass der Landesregierung über die Anzahl der Scheinselbständigen und vor allem natürlich der illegal Beschäftigten keine Zahlen vorliegen. Im Übrigen wird bei der Deutschen Rentenversicherung, die für die Prüfung von Fragen der Scheinselbständigkeit zuständig ist, nicht einmal eine Statistik über die von ihr aufgedeckten Fälle dieser Art geführt.
Die Bundesagentur für Arbeit wiederum führt keine Statistik über die Branchen, in denen Beschäftigte aus anderen EU-Mitgliedsstaaten grenzüberschreitend tätig sind. Dort ist auch nicht bekannt, wie viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur Erbringung von Dienstleistungen nach Niedersachsen entsandt sind. Es gibt dazu nämlich – zu Recht, wie ich finde – keine Meldepflicht, weil innerhalb der EU Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit herrscht.
Die Landesregierung beabsichtigt nicht, sich für die Einführung zusätzlicher Melde-, Berichts- und Statistikpflichten einzusetzen.
Als Erlaubnisbehörde für Arbeitnehmerüberlassungen hat mir die Bundesagentur für Arbeit die Zahlen für die in der Entleihbranche beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus anderen EU-Mitgliedsstaaten mitgeteilt.
Danach gab es zum Stichtag 30. September 2011 in Niedersachsen 3918 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und 161 ausschließlich geringfügig Beschäftigte aus anderen EU-Mitgliedsstaaten.
Zu 2.:
Keine.
Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer kann seine Ansprüche auf gesetzeskonforme Entlohnung und Arbeitsbedingungen vor dem zuständigen deutschen Arbeitsgericht einklagen. Grenzüberschreitend entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können nach § 15 Arbeitnehmerentsendegesetz zusätzlich zu ihrer Klagemöglichkeit im Heimatland auch den Rechtsschutz deutscher Arbeitsgerichte in Anspruch nehmen.
Sie können sich dabei nach allgemeinem Prozessrecht bei der Prozessführung auch beispielsweise durch eine Gewerkschaft vertreten lassen.
Die Landesregierung wird sich aber dafür einsetzen, dass die Bundesagentur für Arbeit Merkblätter über die Rechte der ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in deren Heimatsprachen ins Netz stellt.
Zu 3.:
Zur Verfolgung und Ahndung von Verstößen gegen die zum Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erlassenen arbeitsrechtlichen Bestimmungen sind die Behörden des Bundes berufen, hier vor allem die Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Bundeszollverwaltung. Darüber hinaus prüft die Deutsche Rentenversicherung Bund zusammen mit ihren regionalen Stellen im ca. 4- bis 6-jährigen Turnus alle Betriebe, die sozialversicherungspflichtige Beschäftigte haben. Diese Prüfungen dienen der Klärung, ob ordnungsgemäße Sozialversicherungsleistungen abgeführt werden. Im Zuge der Prüfungen werden auch Fälle von Scheinselbständigkeit aufgedeckt und geahndet.
Die Landesregierung hat keine Veranlassung, an der gesetzeskonformen und angemessenen Arbeit der genannten Behörden zu zweifeln. Insbesondere liegen ihr keine Erkenntnisse darüber vor, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus anderen EU-Mitgliedsstaaten in einem Maße ungesetzlichen Beschäftigungs- und Entlohnungsbedingungen ausgesetzt wären, das eine grundsätzliche Änderung der geltenden rechtlichen Bestimmungen erforderlich machen würde.
Im Übrigen nehme ich auf meine Antwort zu Frage 1 Bezug.
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erstellt am:
11.05.2012