Crowdfunding/-investing - ein Durchbruch für die Finanzierung über das Internet?
Der Abgeordnete Christian Grascha (FDP) hatte gefragt:
Jede neue Idee muss vor ihrer Umsetzung finanziert werden. Künstler, Unternehmer oder andere kreative Köpfe haben Ideen oder benötigen finanzielle Mittel für ein Projekt, ohne selbst über die nötigen Mittel zu verfügen. Crowdfunding, Crowdsourcing oder Crowdinvesting heißt die neue digitale Finanzierungsmöglichkeit, die genau dieses Problem erfolgreich aufgreift und eine Alternative zu einem Kredit bei einem Geldinstitut schafft.
Der Grundgedanke von Plattformen wie „Kickstarter“, „Indiegogo“ oder „Startnext“ ist, dass Mitbürgerinnen und Mitbürger diese Ideen unterstützen. Crowdfunding/-inversting setzt also auf die Wirkung der Schwarmintelligenz. Die als Vielzahl von Mikroinvestoren - sogenannte Companisten - auftretenden Internet-User investieren ihr Privatkapital in ein konkretes Projekt oder eine bestimmte Idee und erhalten somit Anteile am Unternehmen und je nach Finanzierungsart eine Beteiligung am potenziellen Erfolg (z. B. eine Danksagung, ein Exemplar des fertigen Produkts oder eine gewisse Rendite).
In Niedersachsen sind Projekte wie das „Freifeld“ Musikfestival, das Musik-Filmprojekt „Summer of dreams“ und der Online-Dessous-Shop „sugar shape“ Beleg für die steigende digitale Investitionsbereitschaft.
Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:
- Wie beurteilt die Landesregierung die Möglichkeiten und die Entwicklung der digitalen Finanzierung von Produkten und Projekten?
- Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung, um junge Unternehmen auch nach der Grundfinanzierung durch Mikroinvestoren zu unterstützen?
- Welche Auswirkungen werden nach Ansicht der Landesregierung Konzepte wie Crowdfunding oder Crowdinvesting in Zukunft auf die niedersächsische Wirtschaft und die Bankinstitute haben?
- Wird die Landesregierung auf die Potenziale, Möglichkeiten und Grenzen von Crowdinvesting-Portalen hinweisen?
- Welche Maßnahmen wird die Landesregierung ergreifen, um den verhältnismäßig kleinen Markt von Crowdinvesting-Portalen in Deutschland zu unterstützen?
- Welche mögliche Gefahren oder Grenzen erkannt die Landesregierung, die von Crowdinvesting-Portalen ausgehen können?
Wirtschaftsminister Olaf Lies beantwortete die Anfrage namens der Landesregierung am 28.04.2014 wie folgt:
Die Begriffe Crowdfunding /-investing bezeichnen Finanzierungsalternativen, bei denen klassische Fremdkapitalgeber wie Geschäfts- und Förderbanken nicht eingebunden sind. Kapitalgeber sind eine Vielzahl von Internetnutzern. Im Rahmen einer sogenannten Aktion können sich geschäftsfähige Internetnutzer mit niedrigen Geldbeträgen an Projekten beteiligen. Die Gegenleistungen sind häufig immaterieller Natur oder werden in Form von Sachleistungen (Bücher, Musik-CDs, Kinokarten, Namensnennung im Filmabspann, Mitwirken in einem Video, Privatkonzerte etc.) angeboten, deren Wert sich nach der Höhe der Beteiligungssumme richtet.
In Abhängigkeit von der Gegenleistung, welche die Internetnutzer für Ihr finanzielles Engagement erhalten, lässt sich der Begriff des Crowdfunding kategorisieren. Die Geldbereitstellung kann auf Spenden, auf Gegenleistung, auf Kredit oder Investing basieren.
Bei der auf Spenden basierenden Variante des Crowdfunding werben Projektinitiatoren um Spenden aus der Crowd, um ihre Vorhaben realisieren zu können. Spender erhalten keinerlei Gegenleistung für ihren monetären Einsatz. Entsprechend häufig wird diese Variante zum Finanzieren von wohltätigen Vorhaben genutzt.
Eine weitere Form des Crowdfunding ist das Einsammeln von Finanzmitteln unter Angebot einer Gegenleistung. In Abhängigkeit des zu realisierenden Projektes kann die Gegenleistung deutlich variieren. Zudem können Abstufungen nach Höhe des eingebrachten Geldbetrages vorgenommen werden.
Die Vergabe von Krediten durch die Crowd wird als Crowdlending bezeichnet. Hierbei werben Privatpersonen, Institutionen oder Unternehmen um die Vergabe eines Kredites, z.B. zur Realisierung eines Projektes oder zur Finanzierung von Gütern oder Dienstleistungen. Beispielsweise können sich Verbraucher von der Crowd finanzielle Mittel leihen, um ihre Wohnung zu renovieren oder ein Fahrzeug zu erwerben. Crowdlending zeichnet sich dadurch aus, dass das eingesetzte Kapital der Gläubiger zu festen Konditionen verzinst und im Erfolgsfall zurückgezahlt wird.
Es besteht allerdings ein echtes Ausfallrisiko. Je nachdem, wie die Kreditvermittlung seitens der Plattformen ausgestaltet und die Finanzmittel genutzt werden, fällt Crowdlending unter Umständen unter die Kontrolle der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Die BaFin behält sich das Recht vor, Geschäftsvorhaben einzelner Plattformen zu prüfen, um unerlaubte Bankgeschäfte auszuschließen.
Crowdinvesting beschreibt eine weitere Form des Crowdfunding, die allerdings ausschließlich renditeorientiert und somit auch mit gewissen Risiken verbunden ist. Sie wird zur Finanzierung von Start-Ups sowie kleinen und mittleren Unternehmen herangezogen, um insbesondere die Frühphasenfinanzierungslücken zu schließen. Wie schon beim Crowdlending geht der Investor beim Crowdinvesting Risiken ein, die zum Teil nur schwer einzuschätzen sind.
Beim Crowdinvesting partizipiert der Investor an künftigen Zahlungsströmen des Unternehmens (Cash Flows) oder an der Entwicklung des Unternehmenswertes. Renditehoffnungen für den Investor beruhen oftmals auf einem möglichen Exit-Erlös durch einen Unternehmensverkauf oder eine -übernahme. Eine derartige Investition kann durch eine Eigenkapitalbeteiligung oder durch Mezzanine-Kapitalformen durchgeführt werden. In Abhängigkeit des gewählten Beteiligungsinstruments und der Höhe der Finanzierungssumme fallen Crowdinvesting-Finanzierungen somit in den Regulierungsbereich der BaFin. Dies stellt einen weiteren elementaren Unterschied zu den spendenbasierten und auf nicht-monetären Gegenleistungen beruhenden Formen des Crowdfunding dar. Ähnlich wie beim Crowdlending können die Finanzierungsplattformen des Crowdinvesting unter die Aufsicht und Kontrolle der BaFin fallen. Die Klassifizierung ist von den Dienstleistungen der Plattform abhängig. Wird beispielsweise eine Anlagevermittlung vorgenommen oder werden Zahlungsdienste geleistet, ist eine Genehmigung der BaFin einzuholen. Bisherige Plattformmodelle erfüllen diese Tatbestände aber in der Regel noch nicht.
Erste deutsche nicht-renditeorientierte Crowdfunding-Projekte wurden im Jahr 2010 initiiert. Mit einem Finanzierungsvolumen von EUR 1,3 Mio. fand das Crowdfunding im Verhältnis zu klassischen Finanzierungsquellen allerdings in einer überschaubaren Dimension statt. In den Folgejahren stieg der Crowdfunding-Markt jedoch rapide an. In den Jahren 2012 und 2013 wurden dreistellige Wachstumsraten erzielt, sodass im vergangenen Jahr ein Volumen in Deutschland von ca. EUR 5,4 Mio. erreicht wurde. Im Bereich des Crowdfunding, das auf Spenden und Gegenleistungen basiert, verteilten sich die Projekte auf fünf Plattformen. Während der letzten Jahre konnten allerdings schon erste Marktkonsolidierungen beobachtet werden. Die wenigen deutschsprachigen Plattformen konkurrieren in einem relativ überschaubaren nationalen Markt, die Vermittlungserträge drohen weiter zu sinken, und die Wettbewerber aus den USA (z.B. Kickstarter) erfreuen sich einer weltweit agierenden und wachsenden Community. Nach dem Crowdfunding Monitor 2013 dominiert eine einzelne Plattform (Startnext) den deutschen Markt für klassisches, also nicht-renditeorientiertes Crowdfunding mit einem Anteil von rund 87% der eingesammelten Mittel. Experten schätzen das Marktvolumen im laufenden Jahr auf eine Summe zwischen EUR 8 bis 10 Mio. Weiterhin ist zu erwarten, dass die Zahl der Projekte sowie die durchschnittliche Projektgröße steigen wird.
Das deutsche Crowdinvesting als Unterkategorie des Crowdfunding hat im Jahr 2011 seinen Ursprung. Damals wurde allerdings nur für vier Projekte mit einem Gesamtvolumen von ca. EUR 0,5 Mio. erfolgreich Kapital eingesammelt. Ebenso wie im Bereich des nicht-renditeorientierten Crowdfunding ist auch das Crowdinvesting in den vergangenen Jahren stark (2013: +253%) gewachsen. Im vergangenen Jahr generierte die Crowd ein Investitionsvolumen von ca. EUR 15 Mio. Das Finanzierungsvolumen im Bereich Crowdinvesting verteilte sich im Wesentlichen auf vier Finanzierungsplattformen. Für das Gesamtjahr 2014 erwarten Experten im Bereich Crowdinvesting ein Marktvolumen von ca. EUR 20 bis 25 Mio. und rechnen auch mittelfristig mit steigender Tendenz.
Zum Marktvolumen im kreditbasierten Crowdfunding bestehen bisher keine statistischen Erhebungen. Schätzungen des Grimme-Instituts gehen davon aus, dass das Gesamtfinanzierungsvolumen bis 2013 ca. EUR 45 Mio. betrug.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
Die niedersächsische Landesregierung sieht im webbasierten Crowdfunding eine Alternative zur Kapitalbeschaffung für Unternehmen, Gründer und Freiberufler in der Kreativ- und Startup-Szene, aber auch zur Realisierung anderer Projekte, da es eine Alternative und Ergänzung zu bestehenden Finanzierungsinstrumenten darstellt und manche Finanzierung von Projekten erst ermöglicht. Dass das Prinzip der Crowdfinanzierung auch in der Gesellschaft anzukommen beginnt, zeigt sich in seiner Anwendung im öffentlichen Raum – so haben einige Kommunen und Sparkassen bereits lokale Projekte initiiert. Die Aufnahme von Crowdfunding in den Berliner Koalitionsvertrag unterstreicht diese Bedeutung.
Zu 2.:
Die NBank als Förderbank des Landes erhält regelmäßig Anfragen von StartUps und jungen Unternehmen, die Finanzierungsmöglichkeiten für ihre Ideen und Projekte suchen. Für den Fall, dass sich keine Investoren (z.B. Business Angels, öffentliche Beteiligungsgesellschaften) oder Geschäftsbanken finden lassen, die mit frischem Kapital zur Verfügung stehen, kann jungen, sich positiv entwickelnden Unternehmen im Anschluss an die Grundfinanzierung durch Crowdinvesting die Möglichkeit gegeben werden, über die NBank Anschlussfinanzierungen mit Finanzierungprogrammen aus Landes- oder Bundesmitteln zu erhalten.
Zu 3.:
Das Finanzierungsvolumen der Crowdfunding-Plattformen in Deutschland ist im Vergleich zu den Kreditvolumina klassischer Banken verschwindend gering. Laut Statistik der Deutschen Bundesbank verzeichneten die deutschen Banken im Jahr 2012 ein Kreditvolumen für Unternehmen und Selbstständige von insgesamt EUR 1,4 Billionen. Die niedersächsische Landesregierung geht davon aus, dass die Bedeutung von Crowdfunding in Niedersachsen und deutschlandweit in Zukunft gerade für Frei- und Kreativschaffende mit eher niedrigem Finanzierungsbedarf an Attraktivität gewinnen und noch zunehmen wird. Diese Form der Kapitalbeschaffung ist eine Alternative zur klassischen Bankfinanzierung.
Zu 4.:
Auf die Möglichkeit, über Crowdinvesting Finanzierungen einzuwerben, weist die NBank in der Förder- und Finanzierungsberatung hin, auch wenn Banken in diese Form der Finanzierung nicht eingebunden sind.
Zu 5.:
Die Anzahl an Crowdfunding/-investing-Portalen ist in den vergangenen Jahren auch ohne Maßnahmen durch Dritte nennenswert gestiegen. Die niedersächsische Landesregierung geht davon aus, dass die Plattformen erfolgreiche Aktionen entsprechend werbewirksam für sich im Internet vermarkten. In einer Studie aus dem Jahr 2011 zum Thema „Crowdfunding und andere Formen informeller Mikrofinanzierung in der Projekt- und Innovationsfinanzierung“ kommen die Autoren des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI in Karlruhe zu der Auffassung, dass regulatorische Maßnahmen nicht ergriffen werden sollten.
Die für die Kultur- und Kreativwirtschaft auf der Ebene der Länder zuständigen Referate haben sich ebenfalls schon frühzeitig mit dem Thema Crowdsourcing befasst, so u. a. in der Ad-hoc-Arbeitsgruppe „Kulturwirtschaft“ der Länder an denen das BMWi regelmäßig teilnimmt. Die Notwendigkeit für gesetzliche Änderungen wurde nicht gesehen. Der bestehende Erfahrungsaustausch wird fortgesetzt.
Zu 6.:
Die skizzierten Entwicklungen zeigen, dass Crowdfunding bzw. -investing eine weiter wachsende Finanzierungsalternative darstellt. In der Medienberichterstattung stehen die positiven Argumente der alternativen Kapitalbeschaffung häufig im Vordergrund. Kapitalgeber sehen oftmals nur gute Renditemöglichkeiten. Crowdinvesting ist jedoch Risikokapital. Laut Gründungsmonitor der KfW-Bankengruppe verschwindet jedes dritte StartUp-Unternehmen innerhalb der ersten drei Jahre vom Markt. Anleger haben erst nach vier bis sechs Jahren die Möglichkeit der Kündigung. Im Falle einer Insolvenz besteht für Kapitalgeber ein hundertprozentiges Ausfallrisiko des eingesetzten Kapitals. Vor allem im Bereich des Crowdinvesting stellt sich die Frage, ob die Investoren bei gängiger Praxis ein angemessenes Bewusstsein für die bestehenden Risiken einer Beteiligung entwickeln können. Aufgrund der langen Beteiligungsdauer und der weitgehend noch unerforschten und jungen Investitionsform ist bisher nicht absehbar, ob die durch Crowdinvesting finanzierten Unternehmen genügend Liquidität generieren, um ihre Verbindlichkeiten mittel- bis langfristig aus eigener Kraft begleichen zu können. Echte Erfolgsgeschichten auf Seiten der Investoren sind in Deutschland bisher noch nicht zu verzeichnen.
In rechtlicher Hinsicht ist die Materie sehr komplex. In Deutschland gibt es bislang kein Crowdinvesting-Gesetz. Die Landesregierung begrüßt deshalb die Ankündigung im Berliner Koalitionsvertrag, für neue Finanzierungsformen wie Crowdfunding die rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen.
Die Europäische Bankenaufsicht will gemeinsam mit der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde prüfen, ob eine Regulierung der Crowdfunding-Aktivitäten auf europäischer Ebene notwendig erscheint. Eine von der Europäischen Kommission durchgeführte Konsultation zeigt, dass die Mehrheit der Befragten einen angemessenen Anlegerschutz für notwendig hält. Ob der Konsultation regulatorische Handlungen folgen, bleibt abzuwarten. Zunächst schlägt die Kommisson die Bildung einer Expertengruppe vor, um die Entwicklung des Crowdfunding zu verfolgen, etwaigen Regulierungsbedarf festzustellen und die Kommission bei der Ausarbeitung eines Gütezeichens zu beraten und mit Fachwissen zu unterstützen.
Artikel-Informationen
erstellt am:
16.05.2014
Ansprechpartner/in:
Herr Stefan Wittke
Nds. Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung
Pressesprecher
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