Fracking in Niedersachsen
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 27.02.2014 - TOP 18. Antwort vom Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr Olaf Lies auf die mündliche Anfrage des Abgeordneten Grant Hendrik Tonne (SPD)
Der Abgeordnete Grant Hendrik Tonne (SPD) hatte gefragt:
Die Gewinnung von Erdgas mittels des Einsatzes der Frackingmethode wird seit etlichen Monaten und Jahren von Teilen der Bevölkerung zunehmend kritisch hinterfragt.Diverse Studien haben auf Risiken und Gefahren durch den Einsatz der Frackingmethode hingewiesen, insbesondere beim Fracking im Schiefergestein. Je intensiver das Verfahren untersucht wird, desto mehr offene Fragen stellen sich (z. B. Sicherheit des Grund- und Tiefenwassers, zunehmende Erdbebengefahr, Langzeitsicherheit, obwohl das Fracking eine seit Jahrzehnten angewendete Methode zur Stimulierung konventioneller Gasförderstellen ist.
Nunmehr haben Aussagen von Herrn Christopher Kassotis von der University of Missouri in Columbia ergeben, dass die beim Fracking in den USA verwendeten Chemikalien auch mehr als 100 Substanzen enthalten, die bekannte oder vermutete endokrine Disruptoren sind.
Endokrine Disruptoren sind Chemikalien, die den Hormonhaushalt von Mensch und Tier stören, weil sie im Körper ähnlich wirken wie Hormone.
So soll aus Tierversuchen bekannt sein, dass beispielsweise östrogenähnlich wirkende Chemikalien zu Unfruchtbarkeit und erhöhten Krebsraten führen können. Als besonders gefährlich zeigen sich dabei die Substanzen
2-Ethyl-1-Hexanol und Ethylenglykol.
Untersuchungen in Garfield County im Bundesstaat Colorado haben ergeben, dass die endokrinen Disruptoren auch im Grund- und Oberflächenwasser im nahen Umfeld von Frackingstandorten enthalten sind. Vergleichsproben aus Regionen ohne Fracking enthalten diese Chemikalien nicht.
Ich frage die Landesregierung:
- Wie bewertet die Landesregierung diese neuen Erkenntnisse, und welche Schlussfolgerungen werden für den Einsatz endokriner Disruptoren für die niedersächsische Gasförderung daraus gezogen?
- Bei welchen Förderstellen werden endokrine Disruptoren eingesetzt, und welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, um die Verwendung von endokrinen Disruptoren zu verringern?
- Gibt es Untersuchungen bezüglich des Nachweises von Chemikalien im Grund- und Oberflächenwassers in Bereichen, in denen ein konventionelles Fracking stattgefunden hat? Wenn ja, welche Ergebnisse hat es gegeben?
Der Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr Olaf Lies beantwortete die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zahlreiche, wenn nicht sogar sämtliche Funktionen des menschlichen und tierischen Organismus werden über bestimmte Hormone gesteuert. Bei Hormonen handelt es sich um chemische Botenstoffe des Körpers. Das System der Gesamtheit dieser Hormone ist fein ausbalanciert und wird, zusammen mit den hormonbildenden Geweben, auch als endokrines System bezeichnet.
Als endokrine Disruptoren werden Stoffe bezeichnet, die durch Veränderung des Hormonsystems die Gesundheit schädigen können, wenn sie in einer wirksamen Dosis in den Körper gelangen. Diese endokrin wirksamen Stoffe können aus der Natur stammen (Phytohormone wie die Isoflavone in Sojaprodukten) oder synthetisch vom Menschen hergestellt sein. Endokrine Disruptoren können das Hormonsystem auf verschiedensten Wirkungspfaden beeinflussen. Manche von ihnen bewirken dadurch einen gesundheitlichen Effekt, indem sie sich direkt an einen Hormonrezeptor binden und dort eine hormonähnliche Wirkung verursachen. Andere endokrine Disruptoren blockieren Rezeptoren und damit die Wirkung von Hormonen. Wieder andere beeinflussen die Synthese von Hormonen oder deren Abbau. Auch der Transport von Hormonen im Körper kann gestört werden.
Eine Klassifikation von endokrinen Disruptoren in insgesamt 11 verschiedene chemische Stoffgruppen und ihre Anwendungsbereiche geben die Weltgesundheitsorganisation und das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (2013). Zu diesen Gruppen zählen die bekannten persistenten und bioakkumulierenden Stoffe (z. B. PCDDs/PCDFs, PCBs, HCB, PFOS, PBDEs, PBBs, Chlordan, Mirex), die geringer persistenten und bioakkumulierenden Stoffe, die als Weichmacher und Additive in Materialien und Gütern verwendet werden, halogenierte Phenole (z. B. 2,4-Dichlorophenol, Pentachlorphenol (ehemals Holzschutzmittel), Hydroxy-PCBs, Hydroxy-PBDEs, Tetrabrombisphenol A, 2,4,6-Tribromophenol, Triclosan), zugelassene und gegenwärtig genutzte Pestizide, Arzneimittel, Wachstumsbeschleuniger und Substanzen in Körperpflegemitteln sowie Metalle und Organometallchemikalien (Arsen, Cadmium, Blei, Quecksilber, Methylquecksilber, Tributylzinn und Triphenylzinn).
Die intendierte Anwendung von synthetischen endokrinen Disruptoren ist also breit gefächert und hat meist einen Ursprung, der längere Zeit zurückliegt und in der die möglichen adversen Effekte von endokrinen Disruptoren noch nicht bekannt waren. Die nachfolgenden Beispiele können nur exemplarisch sein. Zu den bekanntesten synthetischen Stoffen mit potentiell endokriner Wirkung in Verbraucherprodukten gehören Kunststoffmonomere (Bisphenol A), Additive für Kunststoffe und diverse Weichmacher (Phthalate) oder Organozinnverbindungen wie das Tributylzinn. Auch Tenside wie das Nonylphenol oder Flammschutzmittel wie die polybromierten Diphenylether (PBDE) können das Hormonsystem stören, vorausgesetzt, es ist eine Exposition des Menschen oder der Tierwelt tatsächlich gegeben. Beispiele für endokrin aktive Substanzen, die in Lebens- und Futtermitteln nachgewiesen worden sind, umfassen Pestizide sowie eine Reihe von in Lebensmittelkontaktmaterialien enthaltenen Substanzen wie Bisphenol A. Die Exposition des Menschen kann nicht nur über Verbraucherprodukte, sondern allgemein ebenfalls über ubiquitär vorkommende Umweltschadstoffe wie Dioxine und polychlorierte Biphenyle erfolgen. Einige endokrin wirksame Substanzen werden aufgrund ihrer endokrin aktiven Eigenschaften gezielt im medizinischen Bereich eingesetzt (z. B. in Antikonzeptionsmitteln (Ethinylestradiol) oder in Schilddrüsenhormon-Ersatzpräparaten).
Die EU-Kommission ermittelt aktiv endokrinen Disruptoren, die bei der Ergreifung unmittelbarer Maßnahmen vorrangig zu berücksichtigen sind. Diese Liste von Substanzen führte zur Entwicklung bzw. Fortentwicklung von europäischen Rechtsvorschriften zur Regulierung ihrer Verwendung in bestimmten Bereichen (Chemikalien, Pestizide, Biozide, Kosmetika und Qualität natürliche Gewässer).
Die in der Anfrage benannten Stoffe Ethylenglykol und 2-Ethyl-1-Hexanol gehören zu der Gruppe der Alkohole und sind als Gefahrstoffe in der Gefahrstoffdatenbank der Länder entsprechend ihren Eigenschaften eingruppiert. Insbesondere Ethylenglykol ist eine in großem Umfang eingesetzte Chemikalie, vorwiegend verwendet als Frostschutzmittel und Kühlflüssigkeit in Motorkühlsystemen.
Nach den hier vorliegenden Informationen werden eine anti-estrogene Aktivität in vitro für 2-Ethyl-1-hexanol (CAS-RN 104-76-7) und Ethylenglykol (CAS-RN 107-21-1) sowie eine anti-androgene Aktivität in vitro für 2-Ethyl-1-hexanol erstmals in der der Anfrage zugrundeliegenden Veröffentlichung beschrieben. Da es sich hier um erste in vitro-Tests (=Experimente, die in einer kontrollierten künstlichen Umgebung außerhalb eines lebenden Organismus durchgeführt werden) handelt, sollte die Beschreibung als Stoff mit endokriner Aktivität und nicht als endokriner Disruptor (mit der Konsequenz adverser Effekte) erfolgen.
Ergänzend ist festzuhalten, dass allgemein anerkannte Erkenntnisse aus Forschungsvorhaben zu Umweltauswirkungen der Frack-Technologie selbstverständlich bei der Beurteilung von Frack-Vorhaben berücksichtigt werden.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
Bei der Erdgasförderung in Niedersachsen werden die geltenden Vorschriften des Berg- und Umweltrechts beachtet. Dazu gehören auch die europäischen und bundesrechtlichen Vorschriften zum Einsatz von Chemikalien und Gefahrstoffen. Allgemein anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse führen zu einer Anpassung des Chemikalienrechts, die beim Vollzug der Vorschriften umzusetzen sind. Eine besondere Betroffenheit der niedersächsischen Erdgasförderung ist nicht erkennbar.
Im Übrigen wird auf die Vorbemerkungen verwiesen.
Zu 2.:
Vor dem Hintergrund der breit gefächerten Anwendung von synthetischen endokrinen Disruptoren ist davon auszugehen, dass diese auch bei der niedersächsischen Erdgasförderung anzutreffen sind. Bei möglichen zukünftigen Frack-Vorhaben erfolgt die Verwendung von Stoffen in Frack-Fluiden ausschließlich im Rahmen der umweltrechtlichen Vorschriften.
Im Übrigen wird auf die Vorbemerkungen verwiesen.
Zu 3.:
Eine systematische Untersuchung des Grund- und Oberflächenwassers beim Einsatz der Frack-Technologie wurde in der Vergangenheit aufgrund der Teufenlage und der darüberliegenden Barriereschichten nicht durchgeführt. Im Zusammenhang mit den hydraulischen Bohrlochbehandlungen an der Bohrung Damme 3 (2008) in einem vergleichsweise geringen Tiefenbereich von 1.100 m bis 1.500 m fand ein begleitendes Grundwassermonitoring statt, dessen Ergebnisse im Internet veröffentlicht sind (http://www.damme.de/templates/images/news/1272_1.pdf). Entsprechend diesem Untersuchungsergebnis konnte im oberflächennahen Grundwasser in keinem der 12 Grundwasseraufschlüsse ein analytischer Nachweis der Leitsubstanzen aus der Frack-Flüssigkeit erbracht werden.
Im Übrigen wird auf die Vorbemerkungen verwiesen.
Artikel-Informationen
erstellt am:
28.02.2014
Ansprechpartner/in:
Herr Stefan Wittke
Nds. Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung
Pressesprecher
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