Parkerleichterungen für Menschen mit Behinderungen
Der Abgeordnete Klaus Schneck (SPD) hatte gefragt:
Im Jahr 2009 wurden Neuregelungen für Parkerleichterungen besonderer Gruppen schwerbehinderter Menschen beschlossen. Dabei wurde auch ein neuer Parkausweis eingeführt, der in der Umgangssprache mit „aG-light“ bezeichnet wird. Er berechtigt den Inhaber u. a. zum Parken im eingeschränkten Halteverbot und an weiteren festgelegten Stellen. Bei Vorliegen von bestimmten in der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) festgelegten Voraussetzungen kann ein Ausweis ausgestellt werden, der für das gesamte Bundesgebiet gültig ist. Dabei gibt es aber in der Praxis Probleme. So beschweren sich Betroffene darüber, dass die Zuständigkeiten nicht eindeutig geregelt sind und das Verfahren für den Erhalt des Parkausweises höchst intransparent sowie kräfteraubend sei.
In Niedersachsen sollen sich die Antragsteller an die Außenstellen des Niedersächsischen Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie (LS) wenden. Dort soll festgestellt werden, ob die Voraussetzungen für den Erhalt des Parkausweises gegeben sind. Die Außenstellen des LS treffen hierzu jedoch keine Feststellungen, sondern beschränken sich im Regelfall darauf, den Betroffenen mitzuteilen, dass die notwendigen Voraussetzungen für die Kennzeichnung „aG“ nicht erfüllt seien. Seit der Abschaffung des Widerspruchsverfahrens im Jahr 2009 führt dieses Vorgehen zu der Situation, dass ein Antragsteller, der sich dagegen wenden möchte, dass sein Antrag von der zuständigen Straßenverkehrsbehörde abgelehnt wurde, gezwungen ist, das Verwaltungsgericht anzurufen. Da in der Praxis über eine Klage erst nach langer Verfahrensdauer entschieden wird, stellt das Verfahren insbesondere für ältere Antragsteller eine große Kraftanstrengung dar. Sie können die Parkerleichterungen, die die StVO vorsieht, lange Zeit nicht in Anspruch nehmen, wodurch ihre Lebenssituation nachhaltig erschwert wird. Hinzu kommt, dass der Kläger - anders als im Sozialgerichtsverfahren - unmittelbar nach der Klageerhebung einen Kostenvorschuss zahlen muss, der im Regelfall 200 bis 300 Euro beträgt.
Ich frage die Landesregierung:
- Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit ein Parkausweis für die Nutzung von Behindertenparkplätzen bewilligt wird?
- Wie viele Anträge auf Ausstellung eines Parkausweises „aG-light“ wurden seit dessen Einführung in Niedersachsen gestellt und wie viele davon bewilligt?
- Welches sind die häufigsten Gründe der Ablehnung solcher Anträge?
- Aus wie vielen Fällen sind Gerichtsverfahren erwachsen?
- Welche dienstlichen Richtlinien gibt es für die Außenstellen des Niedersächsischen Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie zur Bescheidung der Anträge auf Ausstellung eines Parkausweises „aG-light“?
- Wie bewertet die Landesregierung die bisherigen Erfahrungen seit der Einführung des „aG-light“?
Bis zum Jahr 2009 galten in den einzelnen Bundesländern unterschiedliche Regelungen für Parkerleichterungen für Menschen mit Behinderungen. Weder der Kreis der Berechtigten noch die mit einer Parkerleichterung verbundenen Ausnahmen oder der Geltungsbereich waren abgestimmt. Die Probleme mit den unterschiedlichen Länderregelungen haben das Bundesverkehrsministerium im Jahr 2009 dazu veranlasst, bundeseinheitliche Parkerleichterungen einzuführen. Diese Neuregelung ersetzt alle bisherigen Länderregelungen.
Mit der Neuregelung sind sowohl die gesundheitlichen Voraussetzungen als auch der Umfang der Parkerleichterungen bundeseinheitlich verbindlich festgelegt worden. Die gesundheitlichen Voraussetzungen beruhen auf einem Beschluss der Arbeits- und Sozialministerkonferenz, die aufgrund medizinischer Empfehlungen beschlossen hat.
Das Verfahren für die Ausstellung eines Parkausweises zur Inanspruchnahme von Parkerleichterungen ist eindeutig geregelt. Da es sich um eine Ausnahme von straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften handelt, ist der Antrag bei den örtlichen Straßenverkehrsbehörden zu stellen, das sind die Landkreise, kreisfreien Städte, großen selbständigen Städte und selbständigen Gemeinden.
Die Straßenverkehrsbehörden selbst sind wegen fehlenden medizinischen Sachverstandes nicht in der Lage, eine eigenständige Beurteilung von gesundheitlichen Beeinträchtigungen vorzunehmen. Deshalb können sie nur anhand formaler Unterlagen prüfen, ob die gesundheitlichen Voraussetzungen vorliegen. Die Antragstellerinnen oder Antragsteller müssen deshalb mit ihrem Schwerbehindertenausweis nachweisen, dass bestimmte Merkzeichen eingetragen sind. Sofern sich daraus entnehmen lässt, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen erfüllt sind, kann der Parkausweis für die Inanspruchnahme von Parkerleichterungen sofort ausgestellt werden.
In bestimmten Fällen (siehe zu Frage 1) kommt es neben den Merkzeichen auch auf die Art und den dafür festgestellten Grad der Behinderung (GdB) an. In diesen Fällen ist der Straßenverkehrsbehörde zusätzlich der Feststellungsbescheid des Niedersächsischen Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie (LS) vorzulegen.Nur wenn sich auch aus dem Feststellungsbescheid die erforderlichen gesundheitlichen Voraussetzungen nicht erkennen lassen, ist eine Beteiligung des LS erforderlich. Das LS kann aufgrund seines medizinischen Sachverstandes beurteilen, ob die Antragstellerin oder der Antragsteller aufgrund ihrer/seiner konkret festgestellten einzelnen gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu dem Personenkreis gehört, der Parkerleichterungen in Anspruch nehmen kann.
Es ist vorgesehen, dass sich die Straßenverkehrsbehörde in solchen Zweifelsfällen - mit Zustimmung der Antragstellerin oder des Antragstellers - im Wege der Amtshilfe an das LS wendet. Nur wenn die Antragstellerin oder der Antragsteller damit nicht einverstanden ist, muss sie/er sich selbst an das LS wenden.
Die Stellungnahme des LS wird, ggf. unter Beteiligung des versorgungsärztlichen Dienstes, ausschließlich anhand der Aktenlage, also aufgrund der zuletzt getroffenen maßgeblichen Feststellung des GdB und/oder von Merkzeichen, abgegeben. Sie beinhaltet lediglich die Antwort auf die Frage, ob und ggf. welche der bei der Antragstellerin/dem Antragsteller vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen die gesundheitlichen Bedingungen zur Ausstellung eines Parkausweises (vgl. Antwort auf Nr. 1) erfüllen und stellt keine Entscheidung über den Antrag auf Erteilung eines Parkausweises dar.
Die Stellungnahme sendet das LS regelmäßig direkt an die anfragende Straßenverkehrsbehörde. Eine Mitteilung bzw. eine Durchschrift der Stellungnahme erhalten die Antragstellerin bzw. der Antragsteller im Regelfall nicht.
Probleme werden regelmäßig von solchen Antragstellerinnen oder Antragstellern gesehen, die die vorgeschriebenen gesundheitlichen Voraussetzungen für eine Parkerleichterung nicht erfüllen, gleichwohl aber geltend machen, diese zu benötigen. Dabei handelt es sich sowohl um schwerbehinderte Menschen mit anderen Behinderungen als auch um gesunde Menschen, die Erleichterungen für sich fordern, beispielsweise Betreuer von pflegebedürftigen Menschen oder Eltern mit (gesunden) Kindern usw. Die Entscheidung, ob bei anderen als den festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen eine Parkerleichterung erteilt werden darf, können die Straßenverkehrsbehörden nicht treffen, da es klare bundesrechtliche Regelungen gibt. Voraussetzung dazu wäre eine Änderung der Verwaltungsvorschriften zur Straßenverkehrsordnung.
Der Deutsche Bundestag hat daher zur Frage der Ausweitung des Berechtigtenkreises aus Anlass der Petition „Rübenack“ am 07.07.2011 beschlossen:
„Würde man allen Personengruppen, die ein berechtigtes Interesse an der Nutzung von Behindertenparkplätzen vorweisen können, die Benutzung von Behindertenparkplätzen ebenfalls zubilligen, würde sich der Kreis der Berechtigten um ein Vielfaches erhöhen. Die Konsequenz wäre, dass das Parkraumangebot zu Lasten derjenigen, die am dringendsten auf diese Erleichterung angewiesen sind, verringert würde.
Ob und inwiefern es zu vertreten ist, den Personenkreis in der VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 (Anmerkung: aG-light) bzw. in § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG (Anmerkung: Behindertenparkplätze) in Zukunft noch weiter auszuweiten, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschließend beurteilt werden. Zunächst sollte gemeinsam mit den Ländern beobachtet werden, wie sich die im Jahr 2009 erfolgte Erweiterung auf den ruhenden Verkehr auswirkt.
Der Petitionsausschuss hält es daher für sinnvoll, zunächst die weitere Entwicklung in dieser Angelegenheit abzuwarten. Vor diesem Hintergrund sieht er gegenwärtig keinen Anlass für parlamentarische Initiativen und empfiehlt, das Petitionsverfahren abzuschließen.“
Die in der Anfrage geschilderte Situation bezüglich der Klageverfahren gilt seit dem Jahr 2005 für alle Rechtsbereiche, in denen im Zuge der Verwaltungsreform das Widerspruchsverfahren weggefallen ist. Wenn die Antragsteller gegen eine ablehnende Entscheidung der Straßenverkehrsbehörde vorgehen wollen, müssen sie sich direkt mit einer Klage an die Verwaltungsgerichte wenden.
Statistiken über die Erteilung von Parkausweisen werden nicht geführt. Da die Zuständigkeit bei zurzeit 114 kommunalen Straßenverkehrsbehörden liegt, besteht mit vertretbarem Aufwand keine Möglichkeit, die erbetenen statistischen Angaben zu ermitteln.
Dieses vorausgeschickt, werden die Fragen namens der Landesregierung wie folgt beantwortet:
zu 1.:
Den Parkausweis für Behindertenparkplätze erhalten gem. § 6 Abs. 1 Nr. 14 des Straßenverkehrsgesetzes „schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung, mit beidseitiger Amelie oder Phokomelie oder mit vergleichbaren Funktionseinschränkungen sowie blinde Menschen“.
Neben diesem Personenkreis erhalten gem. VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 folgende schwerbehinderte Menschen eine Parkerleichterung (aG-light):
- Schwerbehinderte Menschen mit den Merkzeichen G und B und einem Grad der Behinderung (GdB) von wenigstens 80 allein für Funktionsstörungen an den unteren Gliedmaßen (und der Lendenwirbelsäule, soweit sich diese auf das Gehvermögen auswirken);
- Schwerbehinderte Menschen mit den Merkzeichen G und B und einem GdB von wenigstens 70 allein für Funktionsstörungen an den unteren Gliedmaßen (und der Lendenwirbelsäule, soweit sich diese auf das Gehvermögen auswirken) und gleichzeitig einem GdB von wenigstens 50 für Funktionsstörungen des Herzens oder der Atmungsorgane;
- Schwerbehinderte Menschen, die an Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa erkrankt sind, wenn hierfür ein GdB von wenigstens 60 vorliegt;
- Schwerbehinderte Menschen mit künstlichem Darmausgang und zugleich künstlicher Harnableitung, wenn hierfür ein GdB von wenigstens 70 vorliegt.
zu 2. und 4.:
Dazu liegen keine Statistiken vor.
zu 3.:
Ablehnungsgrund kann nur sein, dass die unter Frage 1 genannten gesundheitlichen Voraussetzungen für eine Parkerleichterung nicht nachgewiesen werden können.
zu 5.:
Für die Bescheidung der Anträge auf Erteilung eines Parkausweises sind ausschließlich die örtlichen Straßenverkehrsbehörden zuständig. Dienstliche Richtlinien zur Bescheiderteilung gibt es dementsprechend beim LS nicht.
Die Verwaltungstätigkeit der Außenstellen des LS folgt einem Erlass des MW vom 21.02.2011 an die Straßenverkehrsbehörden, in dem diese gebeten worden sind, in Zweifelsfällen im Wege der Amtshilfe eine Stellungnahme einzuholen.
zu 6.:
Die Anzahl der Beschwerden beim Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr sowie die Anzahl der Petitionen beim Niedersächsischen Landtag hat sich seit der Neuregelung der Parkerleichterungen nicht signifikant verändert. Standen in der Vergangenheit die Ungleichbehandlung gegenüber Antragstellern in anderen Bundesländern sowie die Probleme mit dem eingeschränkten Geltungsbereich der Parkerleichterungen im Vordergrund, überwiegen jetzt Beschwerden wegen der nicht erfüllten gesundheitlichen Voraussetzungen.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass Parkerleichterungen zeitlich befristetet ausgestellt werden, die Befristung der alten Parkerleichterungen sukzessive ausläuft und eine große Zahl von Personen, die eine Parkerleichterung nach den alten Vorschriften hatte, die neuen gesundheitlichen Voraussetzungen nicht erfüllen. Dieser Personenkreis neigt verstärkt dazu, sich zu beschweren, da die bisher gewohnten Parkerleichterungen künftig nicht mehr in Anspruch genommen werden können. Unter Berücksichtigung dieses Sondereffektes sind die Erfahrungen mit den neuen Vorschriften besser als mit den alten Regelungen.
Artikel-Informationen
erstellt am:
22.06.2012