VW-Krise: Was ist „unverzüglich“ in Bezug auf § 15 des Wertpapierhandelsgesetz (WpHG)?
Plenum 15. Oktober 2015 - Mündliche Anfragen
Abgeordnete Jörg Bode, Gabriela König, Christian Grascha, Dr. Marco Genthe und Christian Dürr (FDP)
Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr namens der Landesregierung
Vorbemerkung der Abgeordneten
Die US-Umweltbehörde EPA hat aufgrund von Diskrepanzen bei Abgasmessungen bei Dieselmotoren, die auf Studienergebnissen der ICCT beruhen, im Mai 2014 Untersuchungen begonnen und den VW-Konzern auf diese Problemlage aufmerksam gemacht. VW hat sich unverzüglich nach der Veröffentlichung der Studie (15. Mai 2014) beim Direktor des ICCT gemeldet und nach der Betroffenheit von VW-Motoren gefragt. Ab jetzt wussten die Verantwortlichen bei VW von diesem Problem. VW versuchte daraufhin, die Ergebnisse der Studie nachzuvollziehen, und bot im Herbst 2014 eine Lösung an. Im Dezember 2014 erfolgte in den USA eine Rückrufaktion für 500 000 Pkws, um ein Software-Update aufzuspielen. Nach Ansicht von Experten stellt dies einen außergewöhnlich großen Umfang an Kraftfahrzeugen dar.
Die Umweltbehörde in Kalifornien setzte ihre Abgastests anschließend fort und stellte weiterhin fest, dass Grenzwertüberschreitungen der betroffenen VW-Fahrzeuge vorlagen. Dies wurde dem VW-Konzern und der EPA am 8. Juli 2015 mitgeteilt. Die Aufsichtsbehörden in den USA verlangten daraufhin Erklärungen von VW und koppelten die Problemlösung an die bevorstehende Zertifizierung von neuen VW-Modellen in den USA. VW erklärte bis in den September 2015, dass die unterschiedlichen Testergebnisse technische Ursachen hätten.
Am 3. September 2015 schließlich informierte VW US-Behörden über den Einsatz einer manipulierten Software bei Dieselmotoren.
Am 18. September 2015 hat die US-Umweltbehörde EPA offiziell mitgeteilt, dass an Fahrzeugen des VW-Konzerns Manipulationen festgestellt und Gesetze missachtet worden sind. Die EPA spricht von einem „sehr ernsten Fall“ (HAZ, 21. September 2015).
Am 20. September 2015 räumte der VW-Konzern öffentlich die Abgasmanipulationen in einer „Erklärung“ (http://www.volkswagenag.com/content/vwcorp/info_center/de/news/2015/09/statement_
ceo_of_volkswagen_ag.html) ein und kündigte die Zusammenarbeit mit den Behörden in den USA an. VW-Vorstandschef Winterkorn kündigte eine externe Untersuchung der Vorgänge an.
Am 22. September 2015 gab der VW-Konzern eine Ad-hoc-Mitteilung mit folgendem Inhalt heraus: „Volkswagen treibt die Aufklärung von Unregelmäßigkeiten einer verwendeten Software bei Diesel-Motoren mit Hochdruck voran“, das Gesamtvolumen der betroffenen Fahrzeuge betreffe weltweit 11 Millionen Fahrzeuge, und um das Vertrauen der Kunden zurück zu gewinnen, würden rund 6,5 Milliarden Euro ergebniswirksam zurückgestellt (http://www.volkswagenag.com/content/vwcorp
/info_center/de/news/2015/09/Ad_hoc_US.html).
§ 15 WpHG bedeutet, dass ein Emittent von Wertpapieren zu einer unverzüglichen Veröffentlichung von Informationen verpflichtet ist, die das Potenzial haben, den Kurs des Wertpapiers erheblich zu beeinflussen. Der Vorstand der Volkswagen AG verfügte bereits seit Tagen oder Wochen, wenn nicht sogar seit Monaten, über konkrete Insiderinformationen, die den Aktienkurs und das Unternehmen unmittelbar betrafen. Diese konkreten Informationen über nicht öffentliche Umstände - im konkreten Fall geht es um den weltweiten Einsatz einer Steuerungssoftware zur rechtswidrigen Manipulation des Umweltverhaltens von Millionen von Kraftfahrzeugen - betreffen den Börsen- und Marktpreis der Volkswagen AG. In wenigen Tagen ist der Börsenkurs um über 40 % gefallen und damit erheblich beeinflusst. Diese Art von Skandal „ist weitgehend einzigartig, weil es sich nicht um ein technisches Problem, sondern um eine bewusste Manipulation handelt“ (http://www.faz.net/aktuell/finanzen/aktien/abgas-skandal-vw-aktionaere-brauchen-gute-nerven-13829928.html). Die Volkswagen AG hätte unverzüglich ihrer Publizitätspflicht über ihr Insiderwissen nachkommen müssen, um die Chancengleichheit sämtlicher Kapitalanleger zu wahren und Insidergeschäfte zu vermeiden. Es ist zu befürchten, dass nach § 37 b WpHG ein Schadensersatzanspruch für Kapitalanleger bzw. eine Schadensersatzhaftung der Volkswagen AG eingetreten ist. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen überprüft den Handel von Volkswagen-Aktien auf mögliche Insidergeschäfte (http://www.finanzen.net/nachricht/aktien/Insiderhandel-Nach-Kurseinbruch-der-Aktie-VW-im-Visier-der-Bafin-4526923).
1. Vor dem Hintergrund, dass der VW-Konzern eine Ad-hoc-Mitteilung über die Ereignisse, die den Aktienkurs erheblich beeinflusst haben, erst vier Tage nach der offiziellen Mitteilung der EPA veröffentlicht hat: Wie beurteilt die Landesregierung den möglichen Verstoß gegen das Wertpapierhandelsgesetz in Bezug auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung der Ad-hoc-Mitteilung, und welche Konsequenzen kann dies nach sich ziehen?
Die Landesregierung weist darauf hin, dass hier ein aufsichtliches Verfahren läuft, so dass sie keine Beurteilung abgeben kann.
2. Waren Ministerpräsident Weil oder Minister Lies an der Entscheidung über die verspätete Veröffentlichung der gesetzlich erforderlichen Ad-hoc-Meldung bzw. über den Inhalt der Formulierung der Ad-hoc-Meldung beteiligt? Wenn ja, wie und wann?
Nein.
3. Vor dem Hintergrund der einschneidenden Ereignisse bei der Volkswagen AG in Verbindung mit der chronologischen Entwicklung selbiger und der Tatsache dass das Land Niedersachsen ein Hauptaktionär des VW-Konzerns und im Aufsichtsrat vertreten ist: Wie beurteilt die Landesregierung die Inhalte und Aussagen des Konzernlageberichts, insbesondere zu „Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat“, „Risikolage und -management“, „Compliance“, „Corporate Governance“, „Ziele und Strategien“ und „Kommunikation und Transparenz“?
Der Aufsichtsrat hat am 25.09.2015 die US-amerikanische Anwaltskanzlei Jones Day mit einer sogenannten External Investigation beauftragt. Dabei handelt es sich um eine ebenso umfassende wie aufwändige Untersuchung, die sich mit allen derzeit in Frage stehenden Vorgängen auseinandersetzen wird. Im Rahmen dieser Untersuchung wird zu klären sein, wer die Manipulation veranlasste, wer davon wusste und warum bestimmte Kontrollmechanismen nicht funktionierten. Aufgrund der Ergebnisse der Untersuchung müssen die entsprechenden Konsequenzen gezogen werden.