Was tut die Landesregierung gegen die zu erwartenden Folgen der Neukategorisierung der Wasserstraßen und die Strukturreform der niedersächsischen Wasser- und Schifffahrtsdirektionen?
Die Abgeordneten Wiard Siebels, Heinrich Aller, Marcus Bosse, Hans-Dieter Haase, Wolfgang Jüttner, Jürgen Krogmann, Olaf Lies, Roland Schminke, Klaus Schneck, Petra Tiemann, Sabine Tippelt und Gerd Will (SPD) hatten gefragt:
Bundesverkehrsminister Ramsauer hat dem Haushaltsausschuss des Bundestages am 22. Juni 2012 den 5. Bericht zur Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung vorgelegt. Danach zeichnet sich ab, dass die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes neu strukturiert werden soll. Kern der Regierungspläne ist - neben der umstrittenen Neukategorisierung der Wasserstraßen zulasten norddeutscher Binnengewässer -, eine neue „Generaldirektion für Wasserstraßen und Schifffahrt“ mit Sitz in Bonn zu schaffen. Sie soll die Aufgaben der heutigen Wasser- und Schifffahrtsdirektionen in Kiel, Aurich, Hannover, Münster, Mainz, Würzburg und Magdeburg übernehmen. Neben verfassungsrechtlichen Bedenken äußern Experten die Befürchtung, dass die neuen „Außenstellen“ ohne Entscheidungskompetenz mittelfristig personell massiv ausgehöhlt werden. Schon ab Januar 2013 sollen schrittweise mehrere Tausend Stellen in der WSV abgebaut werden. Der Bauindustrieverband Niedersachsen-Bremen hat in einer Presseinformation vom 7. November 2012 erklärt, dass die vorgesehene Organisationsstruktur nicht nachvollziehbar sei. Gleichzeitig fordert er einen küsten- bzw. hafennahen Standort für die Übernahme zentraler Aufgaben. Daneben fordert auch die Industrie- und Handelskammer für Ostfriesland und Papenburg Bundesverkehrsminister Ramsauer zur Änderungen an den aktuellen Plänen auf.
Der Landtag hat in seinen Beschlüssen vom 14. September 2011 - Drs. 16/4001 - und 22. März 2012 - Drs. 16/4645 - seine große Sorge über die geplante Neukategorisierung und die Verwaltungsreform zum Ausdruck gebracht. Der Landtag hat die Landesregierung in diesem Sinne u. a. gebeten, die Bundesregierung durch geeignete Maßnahmen auf die Bedeutung der regionalen Wasser- und Schifffahrtsdirektionen in Niedersachsen hinzuweisen und durch konstruktive Vorschläge die geplante Personalstrukturreform mitzugestalten. Ferner wurde die Landesregierung gebeten, sich mit Nachdruck dafür einzusetzen, dass die niedersächsischen Bundeswasserstraßen als seewärtige Zufahrten zu den Seehäfen und unverzichtbare Anbindungen ins deutsche Hinterland in die höchste Netzkategorie aufgenommen werden.
Wir fragen die Landesregierung:
- Hat die Landesregierung - gegebenenfalls in welcher Weise - eingedenk der Beschlüsse des Landtages Einfluss auf die derzeitige Diskussion zur Neukategorisierung der Bundeswasserstraßen und zur Umstrukturierung der Wasser- und Schifffahrtsdirektionen genommen?
- Wie beurteilt die Landesregierung die Pläne zur Schaffung einer „Generaldirektion für Wasserstraßen und Schifffahrt“ mit Sitz in Bonn vor dem Hintergrund der geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken?
- Von welchen investiven und verkehrlichen Auswirkungen hinsichtlich des weiteren Ausbaus und der Unterhaltung der niedersächsischen Bundeswasserstraßen geht die Landesregierung aus, wenn es zu einer unterschiedlichen Kategorisierung der Bundeswasserstraßen in Niedersachsen kommt?
Verkehrsminister Jörg Bode beantwortete die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Die Landesregierung hat sich von Anfang an für die Interessen der niedersächsischen Binnenwasserstraßen eingesetzt. Niedersachsen hat nach dem Bekanntwerden der Reformpläne in den politischen Gremien der Verkehrsministerkonferenz (VMK) wegen möglicher Auswirkungen auf die jeweiligen Wirtschaftsregionen eine stärkere Beteiligung vom Bund eingefordert. Auf Initiative der Landesregierung wurde der Bund mit dem VMK-Beschluss vom 05./06.10.2011 aufgefordert, die Forderungen der Länder und der Verbände stärker zu berücksichtigen und zu diesem Zweck ein gemeinsames Gutachten über die volkswirtschaftliche Bedeutung der Wasserstraßen mit zu erstellen.
Dieser Initiative aus Niedersachsen ist der Bund gefolgt. Auf der Grundlage des VMK-Beschlusses ist wiederum unter Federführung der Landesregierung (MW) der Auftrag an die Firma Railistics erteilt worden. Railistics hatte bereits zuvor - ebenfalls im Auftrag Niedersachsens - exemplarisch für das norddeutsche Wasserstraßennetz eine alternative Methodik entwickelt. Der neuerliche Auftrag ging nunmehr dahin, die alternativen Kriterien zur Netzkategorisierung der Wasserstraßen auf das gesamte deutsche Wasserstraßennetz auszudehnen. Im Unterschied zur Orientierung allein an Gütertonnen, wie vom BMVBS vorgesehen, sollten Kriterien für die Kategorisierung der Wasserstraßen erarbeitet werden, die vor dem Hintergrund der Haushaltszwänge des Bundes eine nach Auffassung der Länder sachgerechtere Kategorisierung der Wasserstraßen ermöglichen. An dem Auftrag haben sich 14 Länder sowie der Bund und der Bundesverband Öffentlicher Binnenhäfen beteiligt. Niedersachsen hat dabei die Sprecherrolle für die Länder übernommen und die unterschiedlichen Interessen der einzelnen Bundesländer koordiniert. Mit dem Gutachten wird den Kriterien der Erreichbarkeit der Wirtschaftsräume und dem Netzzusammenhang Rechnung getragen, wie es auch im Beschluss des Verkehrsausschusses des Bundestages gefordert worden ist.
Nach Auffassung der Länder und des Bundesverbandes Öffentlicher Binnenhäfen ist damit eine gute Grundlage geschaffen worden, eine alternative Kategorisierung der Wasserstraßen im Unterschied zur rein gütertonnenorientierten Klassifizierung vorzunehmen.
Als bisheriges Ergebnis ist festzustellen, dass das Railistics-Gutachten zu einer Verbesserung bei der Kategorisierung der Wasserstraßen in Norddeutschland gegenüber den ersten Entwürfen geführt hat.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
In einem Schreiben vom 10. Juli 2012 an Bundesminister Dr. Ramsauer hat die Landesregierung sowohl die Kategorisierung der Wasserstraßen nach Gütertonnen als auch die Strukturveränderungen in der WSV, die möglicherweise negative Auswirkungen auf die Weiterentwicklung des Wasserstraßennetzes haben können, kritisiert und Nachbesserungen angemahnt.
Als Ergebnis der Konferenz der Küstenwirtschafts- und –verkehrsminister und –senatoren am 24.09.2012 ist die Vorsitzende des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages gebeten worden, den Inhalt des Schreibens des Landes Niedersachsens vom 10.07.2012 und eines gemeinsamen Schreibens der Länder Bremen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg vom 03.09.2012, in denen die kritischen Punkte der Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung an Bundesverkehrsminister Dr. Ramsauer herangetragen worden sind, bei den Beratungen über den 5. Bericht zur Reform der WSV zu berücksichtigen.
Am 17./18. September 2012 hat sich die Gemeinsame Konferenz der Verkehrs- und Straßenbauabteilungsleiter der Länder (GKVS) und am 04./05. Oktober 2012 die Verkehrsministerkonferenz (VMK) mit den auf die Initiative Niedersachsens zurückzuführenden Vorschlägen zur WSV-Reform befasst.
Zu 2.:
Unter Bezug auf die ausführliche Antwort der Landesregierung vom 24.10.2012 zu der Entschließung des Landtages vom 22.03.2012 (LT-Drs. 16/4645) „Personalreform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes effizient und sozialverträglich gestalten“ zu Ziffer II. bewertet die Landesregierung die bisherigen Organisationsvorschläge wie folgt in Kürze:
Die Notwendigkeit einer Reform der Organisationsstruktur in der WSV selbst wird grundsätzlich anerkannt.
Es ist der Landesregierung bekannt, dass sich an die Gründung der Generaldirektion verfassungsrechtliche Erwägungen knüpfen. Diese Erwägungen müssen zunächst auf der Ebene der Bundesregierung bewertet werden. Erst wenn der Landesregierung die Entscheidung des Bundes zur Einrichtung der Generaldirektion vorliegt, kann beurteilt werden, ob sich aus Sicht des Landes verfassungsrechtliche Probleme ergeben. Ebenso kann die Landesregierung erst bei Gesetzesänderungen im Zusammenhang mit dem geplanten Übergang der Wasser- und Schifffahrtsdirektionen in die geplante Generaldirektion prüfen, ob sich daraus verfassungsrechtliche Fragestellungen bis hin zu einer Zustimmungspflichtigkeit durch den Bundesrat ergaben.
Aus Sicht der Landesregierung sollte die Reform so durchgeführt werden, dass seeverkehrsbezogene Maßnahmen einschließlich Seehafenhinterlandverkehr von Dienststellen an den deutschen Küsten realisiert werden.
Zur Verbesserung der Organisationsstruktur wurde von der Landesregierung vorgeschlagen, den Seehafenhinterlandverkehr und das hierfür wichtige Wasserstraßennetz in eine einheitliche, regional orientierte Betreuung zu legen, um so auch unter Beachtung der gegebenen Haushaltszwänge eine Netzoptimierung aus einer Hand für die Abwicklung der zunehmenden Verkehrsströme auf der Wasserstraße vornehmen zu können. Nach Vorstellungen der Landesregierung sollte eine solche „Investitionsbündelungsbehörde“ in Norddeutschland, vorzugsweise in Hannover, angesiedelt werden und im Bereich der Binnenwasserstraßen für alle Seehafenhinterlandverbindungen zum Mittellandkanal zuständig sein (Zuständigkeitsbereich: MLK einschließlich Stichkanäle, DEK, Mittelweser, ESK, Küstenkanal). In diesem Zusammenhang verweise ich auch auf die Antwort der Landesregierung vom 15.10.2012 – Drs. 16/5272 zu dem Beschluss des Landtages vom 21.03.2012 – Drs. 16/4639 (Die Maritime Wirtschaft – Wachstumsträger für Niedersachsen).
Zu 3.:
Die Landesregierung sieht die Finanzausstattung der Wasserstraßeninfrastruktur als unzureichend an. BMVBS beziffert die strukturelle Unterdeckung des Wasserstraßenhaushaltes mit ca. 500 Millionen € pro Jahr. Auch mit der vorgeschlagenen Prioritätensetzung kann nicht gewährleistet werden, dass volkswirtschaftlich notwendige Erhaltungsmaßnahmen und Ausbauprojekte realisiert werden. Dies kann an einigen Stellen dazu führen, dass bereits getätigte oder laufende Investitionen entwertet werden.
Dem Netzgedanken folgend und unter Berücksichtigung der fehlenden Haushaltsmittel auf Bundesebene drängt die Landesregierung die Bundesregierung, durch gezielte Ausbaumaßnahmen an den Engpässen im Wasserstraßennetz die Leistungsfähigkeit des Verkehrsträgers Binnenschifffahrt zu erhöhen. Neben den investiven sind dabei auch verkehrslenkende Maßnahmen in Betracht zu ziehen, um so die Durchgängigkeit der Wasserstraßen entsprechend ihrer Verkehrsbedeutung zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang wurde von der Bundesregierung zugesagt, auch für wichtige Wasserstraßen mit einer niedrigeren Kategorisierung den Status quo im Rahmen von Unterhaltungsmaßnahmen so zu erhalten, dass die Verkehrsfunktion sichergestellt ist.
Das langfristige Ziel für das norddeutsche Wasserstraßennetz ist, einen homogenen Ausbauzustand zur Gewährleistung der Durchgängigkeit auf den Magistralen zu erreichen. Der Zeitpunkt, wann dieses Ziel erreicht werden kann, hängt wesentlich von den zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln auf Bundesebene ab.
Artikel-Informationen
erstellt am:
07.12.2012