Welche Zwecke verfolgt das Wirtschaftsministerium mit der finanziellen Unterstützung der „Koordinierungsstelle Restrukturierung“?
Die Abgeordneten Gerd Will und Renate Geuter (SPD) hatten gefragt:
Laut einem Pressebericht der HAZ vom 17. November 2012 erhalten die Unternehmerverbände Niedersachsen (UVN) aus dem Landeshaushalt für zwei Jahre insgesamt 250 000 Euro, um eine „Koordinierungsstelle Restrukturierung“ aufzubauen. Die laut Medien von Staatssekretär Oliver Liersch initiierte Stelle soll neue Spielräume der Insolvenzordnung nutzen und gleichzeitig Ansprechpartner für Gläubiger und Insolvenzgerichte sein. Der Hauptgeschäftsführer der IHK, Horst Schrage, hält die zusätzliche Stelle für zu teuer und zu bürokratisch. Gleichzeitig verweist er auf das bestehende und aus Sicht der IHK ausreichende Beratungsangebot der Verbände und Kammern. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Entbürokratisierungsbemühungen der Landesregierung sei die Schaffung dieser zusätzlichen Koordinierungsstelle ein bemerkenswerter Schritt.
Ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums verteidigt die Finanzierung der Koordinierungsstelle und geht davon aus, dass sich die zur Verfügung gestellten Landesmittel schnell amortisierten, wenn Arbeitsplätze erhalten würden und gerettete Unternehmen weiter Steuern zahlten. Im zitierten Medienbericht werden persönliche Gründe für das Engagement des Wirtschaftsministeriums vermutet, da Wirtschaftsstaatssekretär Oliver Liersch vor seiner Laufbahn in der Landesregierung als Insolvenzverwalter tätig war.
Wir fragen die Landesregierung:
- Aus welchem Haushaltstitel werden die Mittel für die Einrichtung der „Koordinierungsstelle Restrukturierung“ gezahlt, und welche Maßnahmen waren in diesem Titel ursprünglich vorgesehen?
- Welche Erkenntnisse führen die Landesregierung zu der Annahme, dass eine neu zu schaffende Koordinierungsstelle bei einem Interessenverband bessere Insolvenzberatung gewährleisten kann als die Verbände und Kammern in Niedersachsen, die diese Beratungsleistung anbieten?
- Welche wirtschaftspolitischen Maßnahmen hat die Landesregierung auf den Weg gebracht, um Firmeninsolvenzen bereits im Vorfeld zu vermeiden?
Wirtschaftsminister Jörg Bode beantwortete die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) ist am 13.12.2011 verkündet worden (BGBl I, 2582) und zum 01.03.2012 in Kraft getreten. Mit dem Gesetz hat das deutsche Sanierungs- und Insolvenzrecht entscheidende Veränderungen erfahren. Der Gesetzgeber ist damit dem Ruf aus Wissenschaft und Praxis nach einer Optimierung der bereits 1999 eingeführten Sanierungsinstrumente gefolgt. Während bisher der Insolvenzantrag oftmals erst gestellt wurde, wenn das Vermögen des Schuldners weitgehend aufgezehrt war und keine Sanierungschancen mehr bestanden, sieht das Gesetz verschiedene Anreize zu einer möglichst frühzeitigen Stellung von Insolvenzanträgen vor. Hierzu gehört die Optimierung der Eigenverwaltung und des Insolvenzplanverfahrens, die Einführung des Schutzschirmverfahrens und die stärkere Einbeziehung der Beteiligten in den Verfahrensablauf. Schuldner und Gläubiger werden in die Auswahl der maßgeblichen Akteure einbezogen und alle Beteiligten erhalten eine größere Planungssicherheit hinsichtlich des Ablaufs des Verfahrens.
Erster Kernpunkt der Neuregelung ist die frühzeitige formelle Einbeziehung der Gläubiger. Das Gericht muss, soll oder kann, je nach Größe des Unternehmens, einen vorläufigen Gläubigerausschuss einsetzen. Zwingend ist der vorläufige Gläubigerausschuss, wenn die in § 22 a InsO genannten Merkmale erfüllt sind (mindestens 4,84 Mio. Euro Bilanzsumme, mindestens 9,68 Mio. Euro Jahresumsatz, mindestens 50 Arbeitnehmer im Jahresdurchschnitt, wobei mindestens 2 der genannten Kriterien erfüllt sein müssen). Da nur wenige Unternehmen in Niedersachsen diese Kriterien erfüllen, kommt der „Sollvorschrift“ eine größere praktische Bedeutung zu. Wird der Schwellenwert für die obligatorische Einsetzung nicht erreicht, soll die Einsetzung gleichwohl erfolgen, wenn ein Beteiligter dies beantragt und potentielle Mitglieder mit deren Einverständnis benennt.
Die Hauptaufgabe dieses vorläufigen Gläubigerausschusses liegt darin, den vorläufigen Insolvenzverwalter vorzuschlagen. Wenn er sich einstimmig auf einen Insolvenzverwalter geeinigt hat, soll das Gericht diesen auch bestimmen. Die Gläubiger haben damit die Möglichkeit, sich auf einen geeigneten Insolvenzverwalter zu verständigen, der mit Branchen- oder Unternehmensbesonderheiten tatsächlich vertraut ist.
Auch bei der Anordnung der Eigenverwaltung und des neu eingeführten Schutzschirmverfahrens spielt der vorläufige Gläubigerausschuss eine wichtige Rolle. Die Eigenverwaltung setzt neben dem Antrag des Schuldners nur noch voraus, dass keine Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird. Wird der Antrag des Schuldners von einem einstimmigen Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses unterstützt, so gilt die Anordnung nicht als nachteilig für die Gläubiger. Der vorläufige Gläubigerausschuss hat auch die Möglichkeit, das Schutzschirmverfahren vorzeitig zu beenden.
Das neue Recht sieht damit Instrumente vor, die ohne eine vorherige Koordinierung der Beteiligten praktisch nur unzureichend funktionieren können.
Um das Instrument des vorläufigen Gläubigerausschusses praktisch nutzen zu können, müssen die Insolvenzgerichte in der Lage sein, binnen sehr kurzer Zeit vorläufige Gläubigerausschüsse einzuberufen bzw. die Beteiligten vor Auswahl des Insolvenzverwalters zu befragen. Hierfür sollte man insbesondere wissen, welche institutionellen Gläubiger sich an einem solchen Gremium möglicherweise beteiligen würden.
Um das neu eingeführte Schutzschirmverfahren erfolgversprechend durchführen zu können, ist eine frühzeitige Antragstellung und eine vorherige Absprache mit den Hauptgläubigern ebenfalls Voraussetzung.
Um die anstehenden Koordinierungsaufgaben zu lösen, ist in Niedersachsen eine „Koordinierungsstelle Restrukturierung“ eingerichtet worden, die bei den Unternehmerverbänden Niedersachsen e.V. (UVN) angesiedelt ist und unabhängig von staatlichem Einfluss agiert. Ideell wird sie von den beteiligten Sozialpartnern, den UVN, dem Deutschen Gewerkschaftsbund Niedersachsen und nicht zuletzt vom Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr getragen, die sich in einer Zielvereinbarung auf die wesentlichen Parameter verständigt haben. Eine eigene Rechtspersönlichkeit ist nicht geschaffen worden. Als Anschubfinanzierung stellt das Land Niedersachsen die nötigen finanziellen Mittel für die ersten zwei Jahre (139.185EUR im ersten Jahr und 130.185 EUR im zweiten Jahr) zur Verfügung.
Vertreter verschiedener Institutionen unterstützen über einen Beirat die Arbeit der Koordinierungsstelle, insbesondere durch praktische Vernetzung der institutionellen Gläubiger.
Neben den UVN wirken u. a. die Interessenvertretungen der niedersächsischen Kreditinstitute (Banken- und Sparkassenverbände), der Genossenschaftsbanken und der Insolvenzverwalter sowie die Kammern und die Kreditversicherer im Beirat mit.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
Die Finanzierung der „Koordinierungsstelle Restrukturierung“ erfolgt aus bisher freien Mitteln bei Kapitel 5081 (Wirtschaftsförderfonds, Gewerblicher Bereich), Titelgruppe 68 (Verbesserung der Wirtschaftskraft und –struktur).
Zu 2.:
Hauptaufgabe dieser Stelle soll die Organisation eines Dialogprozesses mit den Hauptgläubigern sein. Zu diesen institutionellen Gläubigern zählen etwa Banken und Sparkassen, Kreditversicherer und Gewerkschaften.
Die Koordinierungsstelle soll in Fällen, in denen die Voraussetzungen für ein Insolvenzverfahren gegeben sein könnten, zeitnah die wesentlichen Beteiligten zusammenbringen.
Ziel ist es, eine gemeinsame Strategie für das Insolvenzverfahren zu entwickeln. Die Einrichtung eines vorläufigen Gläubigerausschusses könnte vorab koordiniert und von den Gläubigern auch die Anforderungen an einen vorläufigen Insolvenzverwalter definiert werden. Gleichzeitig könnte auch die Suche nach geeigneten Investoren beginnen bzw. über nötige Überbrückungskredite gesprochen werden.
Eine frühzeitige Insolvenzantragstellung und ein rechtzeitig strukturiertes Insolvenzverfahren versprechen eine Steigerung der Sanierungschancen in der Insolvenz und damit den Erhalt möglichst vieler Arbeitsplätze.
Damit die Koordinierungsstelle überhaupt in der Lage ist, diesen Dialogprozess in Gang zu setzen, ist eine gute Vernetzung zu den institutionellen Gläubigern zwingende Voraussetzung. Insbesondere sollten mögliche Mitglieder von vorläufigen Gläubigerausschüssen bekannt sein. Gerade in einem Flächenland wie Niedersachsen ist es wichtig, diese Informationen regional aufgeschlüsselt vorzuhalten. Die Koordinierungsstelle wird hierzu eine entsprechende Datenbank aufbauen.
Es gehört demgegenüber nicht zu den Aufgaben der Koordinierungsstelle Restrukturierung, Rechtsberatung durchzuführen, z.B. die konkrete Beratung zu der Erforderlichkeit der Stellung eines Insolvenzantrags. Auch die Begleitung des Verfahrens über die Antragstellung hinaus, insbesondere die Koordinierung der Tätigkeit des vorläufigen Gläubigerausschusses und die Empfehlung zur Bestellung bestimmter Insolvenzverwalter wird von ihr nicht wahrgenommen.
Zu 3.:
Die Landesregierung verfolgt bekanntermaßen eine konsequente Politik für Wachstum und Beschäftigung in Niedersachsen. Niedersachsen hat sich infolge dessen im bundesweiten Vergleich in den letzten Jahren gut entwickelt. Die niedersächsische Wirtschaft hat sich nicht nur von der Krise erholt, sie hat auch unerwartet stark zugelegt. Preisbereinigt ist das Bruttoinlandsprodukt in 2010 um 4,9 Prozent gestiegen, letztes Jahr waren es 3,3 Prozent. Zwei so starke Jahre hintereinander hat es seit mehr als 20 Jahren nicht gegeben. Und im ersten Halbjahr 2012 liegt Niedersachsen mit einem BIP-Wachstum von 1,6 Prozent deutschlandweit auf Platz 2 aller Bundesländer. Die Arbeitslosigkeit ist seit Frühjahr letzten Jahres durchgehend auf unter 300.000 gesunken. Mit fast 3,8 Mio. Menschen in Arbeit haben wir Rekordbeschäftigung. Rund 2,63 Mio. Menschen haben eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Das ist für Niedersachsen ein Allzeithoch. Besonders erfreulich ist, dass die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im ersten Halbjahr 2012 auf lediglich 1 093 Fälle gesunken ist. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum bedeutet dies einen Rückgang um 224 Anträge, entsprechend -17 Prozent. Die Zahl der Beschäftigten, deren Arbeitsplatz durch die Insolvenz ihres Unternehmens bedroht ist, sank um -15,9 Prozent auf 5 498. Die Stimmung in der Wirtschaft ist weiterhin gut. Auch wenn die Unsicherheit über die weitere Entwicklung in der Schuldenkrise zunehmend auf die Exporterwartungen drückt. Industrie und industrieller Mittelstand sind, was ihre Fundamente angeht, gut aufgestellt. Ein Wachstum von 1 Prozent ist für dieses Jahr zu erwarten.
Artikel-Informationen
erstellt am:
07.12.2012