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Werkverträge in der niedersächsischen Fleischindustrie - Handelt es sich hierbei aus Sicht der Landesregierung ebenfalls um Einzelfälle, für die kein Regelungsbedarf besteht?

Die Abgeordneten Renate Geuter, Olaf Lies und Claus Peter Poppe (SPD) hatten gefragt:

Der niedersächsische Wirtschaftsminister hat vor wenigen Wochen im Landtag erklärt, es sei derzeit nicht erkennen, dass beim Thema Werkverträge Regelungsbedarf bestehe. Für die Annahme, dass Unternehmen und Betriebe das Instrument Werkverträge über Einzelfälle hinaus zunehmend und systematisch missbrauchen, gebe es keine empirischen Belege. Nach Ansicht des Wirtschaftsministers gehörte es zur grundsätzlichen Freiheit des Unternehmers, selbst darüber zu entscheiden, ob er Werkleistungen durch eigene Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer oder aber im Rahmen von Werkverträgen durch andere Unternehmen erbringen lassen möchte. Allerdings ist der Missbrauch hart und kategorisch zu bekämpfen, so der Minister.

Andererseits werden Werkverträge insbesondere in der Fleisch verarbeitenden Industrie dazu genutzt, zentrale Aufgaben per Werkvertrag an Subunternehmen zu vergeben. Die Subunternehmen erledigen dann mit ihren Beschäftigten die gleichen Aufgaben wie ursprünglich die Stammbelegschaft, allerdings in der Regel zu einem deutlich niedrigeren Entgelt. Auch ausländische Unternehmen und ihre Beschäftigten dürfen in Deutschland im Rahmen dieser Werkverträge tätig werden. Finden keine anderen Vorschriften Anwendung, so gelten die Vorschriften des Entsendestaates; denn die Entsendungen von Werkvertragsbeschäftigten fallen unter den Geltungsbereich der europäischen Dienstleistungsfreiheit.

Formal unterliegt - unabhängig von der jeweiligen Werkvertragskonstellation - der einzelne Beschäftigte keiner oder nur der Weisung seines Werkvertragsunternehmers, nicht der des Auftraggebers. In Schlachtereien - vor allem im westlichen Niedersachsen - werden inzwischen ganze Schichten von ausländischen Arbeiterkolonnen eines oder mehrerer Werkvertragsunternehmen abgeleistet. Damit wird die Kernkompetenz (Schlachtung) der auftraggebenden Firmen ausschließlich durch Beschäftigte von Werkvertragsunternehmern erbracht. Es bestehen Zweifel, ob es möglich ist, Werkvertragstätigkeiten in einem derartigen Umfang durchzuführen, ohne in den Betriebsablauf eingebunden zu sein.

Außerdem kommt es zunehmend zu einer Verquickung der Aktivitäten als Werkvertragsunternehmen und gleichzeitiger Vermietungstätigkeit von Wohnunterkünften für die Werkvertragsarbeitnehmer. Vor diesem Hintergrund ist es nicht mehr nachvollziehbar, welcher Teil des erarbeiteten Lohnes tatsächlich bei den Arbeitnehmern ankommt. Mehrere Landkreise haben inzwischen systematische Kontrollen der Unterkünfte der Werkvertragsarbeitnehmer angekündigt und durchgeführt, weil sie Kenntnis von menschenunwürdiger Unterbringung zu Wucherpreisen erlangt haben. Auch Vertreter der katholischen Kirche vor Ort haben deutlich gemacht, dass sie die Situation der Werkvertragsnehmer in der Fleischindustrie vor Ort für nicht mit der Menschenwürde vereinbar betrachten.

Nach den EG-Verordnungen 853/2004 und 854/2004 dürfen nur Unternehmen Produkte tierischen Ursprungs in den Handel bringen, die auch eine EU-Zulassung haben. Diese EU-Zulassung liegt in der Regel beim Werkvertragsnehmer nicht vor.

Wir fragen die Landesregierung:

  1. Hält die Landesregierung Werkvertragskonstellationen wie in der Fleisch verarbeitenden Industrie für rechtlich zulässig, bei der Mitarbeiter eines oder mehrerer Drittanbieter die Schlachtung am Fließband komplett übernehmen, und, wenn nein, welche Maßnahmen hält die Landesregierung in derartigen Missbrauchsfällen für geboten?
  2. Ist die Landesregierung der Auffassung, dass Werkvertragsunternehmen, die in Schlachthöfen die Schlachtung vollständig übernehmen, eine EU-Zulassung nach den EG-Verordnungen 853/2004 und 854/2004 benötigen und, wenn nein, warum nicht?
  3. Welche Kontrollmöglichkeiten hinsichtlich der Arbeitnehmerunterbringung gibt es aus Sicht der Landesregierung neben der Kontrolle durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit, die ausschließlich für Regelungen der Arbeitnehmerentsendung zuständig ist, und wie ist in Niedersachsen die Zusammenarbeit der einzelnen Kontrollbehörden geregelt?


Wirtschaftsminister Jörg Bode beantwortete die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Die Äußerungen des Herrn Minister Bode zum Antrag der Fraktion Die Linke „ Missbrauch von Werkverträgen verhindern – Lohndumping eindämmen“ in der Sitzung des Niedersächsischen Landtags vom 09.11.2012 sind im vorliegenden Antrag korrekt wiedergegeben.

Die Landesregierung ist nach wie vor der Auffassung, dass der missbräuchlichen Nutzung von Werkverträgen und Dienstleistungsverträgen, d.h. der Nutzung von Scheinwerkverträgen bzw. der Beschäftigung von Scheinselbständigen mit allen zur Verfügung stehenden rechtlichen Mitteln zu begegnen ist.

Sie ist des Weiteren davon überzeugt, dass das dafür notwendige rechtliche Instrumentarium bereits jetzt vorhanden ist und von den zuständigen Behörden (Zoll - Finanzkontrolle Schwarzarbeit, Bundesagentur für Arbeit, Gewerbeaufsichtsbehörden) auch effektiv angewendet wird.

Die Landesregierung stellt sich aber im Interesse aller sich insoweit rechtstreu verhaltenden Unternehmen und Betriebe vehement gegen Versuche und Tendenzen, die Nutzung von Werk– und Dienstleistungsverträgen insgesamt und damit auch rechtlich zulässiger Vertragsgestaltungen – und deren Durchführung als rechtsmissbräuchlich zu stigmatisieren.

Die Anfrage vermittelt mit der Formulierung der Frage 1 „ …in derartigen Missbrauchsfällen“ den Eindruck, dass insbesondere in der Fleisch verarbeitenden Industrie immer dann, wenn „ ganze Schichten von ausländischen Arbeiterkolonnen eines oder mehrerer Werkvertragsunternehmen abgeleistet“ werden, eine missbräuchliche Nutzung vorliegt.

Das ist jedoch letztlich nur dann der Fall und nur nachträglich im Rahmen einer bewertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände feststellbar, wenn die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Werkvertragsmerkmale

  • Vereinbarung und Erstellung eines qualitativ individualisierbaren und dem Werkunternehmer zurechenbaren Werkergebnisses
  • unternehmerische Dispositionsfreiheit des Werkunternehmers ggü. dem Besteller
  • Weisungsrecht des Werkunternehmers ggü. seinen im Betrieb des Bestellers tätigen Arbeitnehmern, wenn das Werk dort zu erstellen ist
  • Tragen des Unternehmerrisikos, insbesondere der Gewährleistung, durch den Werkunternehmer
  • Erfolgsorientierte Abrechnung der Werkleistung

dem schriftlichen Vertrag zuwider bei der tatsächlichen Durchführung des Vertrages nicht gegeben sind.

Nicht nur für die diesbezüglich im Fokus der medialen Diskussion stehenden Branchen allgemein, sondern auch für die Annahme, dass dies in der niedersächsischen Fleisch verarbeitenden Industrie flächendeckend der Fall ist und in diesem Sinne Werkverträge systematisch missbraucht werden, fehlen nach wie vor empirisch belegte und belastbare Informationen.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1.:
Auf die Vorbemerkungen wird verwiesen.

Zu 2.:
Nein. Nach Artikel 4 der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 dürfen Lebensmittelunternehmer in der Gemeinschaft hergestellte Erzeugnisse tierischen Ursprungs nur in den Verkehr bringen, wenn sie ausschließlich in Betrieben bearbeitet und behandelt worden sind, die den einschlägigen Anforderungen genügen und von der zuständigen Behörde nach Artikel 3 der Verordnung (EG) 854/2004 zugelassen worden sind. Aus dieser Formulierung wird deutlich, dass sich die Zulassung auf die Betriebsstätte, nicht auf den Lebensmittelunternehmer oder ein von diesem per Werkvertrag verpflichteten Subunternehmer als natürliche oder juristische Person bezieht.

Zu 3.:
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 und 5 des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung hat die Zollverwaltung bei ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine Zuständigkeit hinsichtlich der Überprüfung von Arbeitsbedingungen. Der Zoll arbeitet dabei auch mit den für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden der Länder zusammen ( s.u.). Die Grundsätze der Zusammenarbeit sind in einer Zusammenarbeitsvereinbarung geregelt.

Die unteren Bauaufsichtsbehörden werden bei bekannten baulichen Missständen nach § 79 der Niedersächsischen Bauordnung tätig unabhängig von der Geltung der Arbeitsstättenverordnung und den abgeschlossenen Regelungen in den Arbeitsverträgen.

Die im Bundesrecht erlassene Verordnung über Arbeitsstätten (ArbStättV) verlangt abschließend in bestimmten Fällen die Bereitstellung von Unterkünften (vgl. § 6 Abs. 5 ArbStättV). Dies ist im Einzelfall in Eigenverantwortung vom Arbeitgeber zu prüfen. Nur wenn die Unterkünfte vom Arbeitgeber bereitgestellt werden, sind die Schutzziele der Arbeitsstättenverordnung maßgebend. Die Höhe des Mietzinses ist nicht Gegenstand der Schutzziele nach Arbeitsstättenverordnung.

Zuständige Überwachungsbehörden für die Arbeitsstättenverordnung sind in Niedersachsen die Staatlichen Gewerbeaufsichtsämter. Diese überprüfen solche Sachverhalte in der Regel anlassbezogen, z. B. bei Beschwerden. Die Vorgaben der Dienstanweisung zum Tätigwerden der Gewerbeaufsicht mit den vorhandenen Kapazitäten lassen nichts anderes zu.

Aufgrund der dargestellten Möglichkeit, unterschiedliche Rechtsnormen für eine Überprüfung heranzuziehen, wird im Einzelfall von den örtlichen Behörden geklärt, wie zu verfahren ist.

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Artikel-Informationen

erstellt am:
07.12.2012

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