Wie bewertet die Landesregierung die Hartz-Gesetze?
Die Abgeordnete Sylvia Bruns (FDP) hatte gefragt:
Wie bewertet die Landesregierung die Hartz-Gesetze?
Auf Basis der Vorschläge der „Kommission moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ unter Leitung von Peter Hartz wurden im Jahr 2002 Arbeitsmarktreformen, die sogenannten Hartz-Gesetze, entwickelt und in den folgenden Jahren eingeführt.
Grundgedanke war dabei, mittels durchgreifender, technisch-organisatorischer Verbesserung der Arbeitsvermittlung und stärkerer Anreize zur Aufnahme einer Beschäftigung die eigene Integrationsleistung des Arbeitslosen zu unterstützen. Nach dem Motto „Fördern und Fordern“ sollte jedem die Möglichkeit (zurück-) gegeben werden, sein Leben auf Erwerbsarbeit zu gründen.
Ich frage die Landesregierung:
- Wie bewertet die Landesregierung die Hartz-Gesetze heute mit Blick auf die vor zehn Jahren festgehaltenen Ziele der arbeitsmarktpolitischen Reformen (bitte mit Zahlenmaterial belegen)?
- Welche der oben beschriebenen Maßnahmen haben in Niedersachsen Wirkung gezeigt (bitte mit Zahlenmaterial belegen)?
- Haben die 400-Euro-Jobs, die die einzige Möglichkeit für Arbeiter und Angestellte sind, sich legal ohne Abgaben etwas hinzuzuverdienen, auch tatsächlich diese Zielgruppe erreicht oder wurde die Möglichkeit des 400-Euro-Jobs eher als Teilzeitlösung für Arbeitnehmer oder von Firmen als Beschäftigungsmodell durch die ausschließliche Beschäftigung von 400-Euro-Kräften genutzt (bitte mit Zahlenmaterial belegen)?
Der Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr Olaf Lies beantwortete die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Von der Kommission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ sollten - unter der Leitung von Peter Hartz -Vorschläge unterbreitet werden, wie die Arbeitsmarktpolitik in Deutschland effizienter gestaltet und die staatliche Arbeitsvermittlung reformiert werden könne. Im August 2002 legte die Kommission ihren Bericht vor.
Das Konzept wurde als Hartz-Paket bezeichnet, da es ein Bündel von verschiedenen Maßnahmen enthält. Zur besseren Umsetzung im Gesetzgebungsverfahren wurden die Maßnahmen aufgeteilt in einzelne Gesetze zur Reform des Arbeitsmarktes mit den Kurzbezeichnungen Hartz I, Hartz II, Hartz III und Hartz IV; die einzelnen Gesetze traten schrittweise zwischen 2003 und 2005 in Kraft.
Wichtigste Ziele der Hartz-Reformen waren damals die zügige Senkung der hohen Arbeitslosenzahlen, eine professionellere, effizientere Arbeitsvermittlung und eine höhere Flexibilität am Arbeitsmarkt. Im Zusammenhang mit den aufgeworfenen Fragen ist besonders auf die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe in der Grundsicherung für Arbeitsuchende und dem damit verbundenen Prinzip „Fördern und Fordern“ einzugehen.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1. und zu 2.:
Die Fragen 1 und 2 werden zusammen beantwortet.
Die Landesregierung bewertet die Wirkungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende grundsätzlich positiv. Die Arbeitsmarktreformen haben dazu beigetragen, dass der Fokus der Agenturen für Arbeit und Jobcenter verstärkt auf die Vermittlung in den Arbeitsmarkt gelegt wurde. Das Konzept des Fördern und Fordern hat auch nach der Beurteilung des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) dazu beigetragen, dass unter den Arbeitslosen ein Mentalitätswandel eingesetzt hat. Jobsuchende müssten mehr Eigeninitiative zeigen als vor der Reform. Und das sei grundsätzlich zu begrüßen. Ferner wurde durch die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe erstmals der Gesamtumfang der Arbeitslosigkeit und der Hilfebedürftigkeit sichtbar gemacht und ein größerer Personenkreis in die Leistungen der aktiven Arbeitsförderung einbezogen.
Die Arbeitslosigkeit und die Hilfebedürftigkeit haben sich seit 2005 insgesamt rückläufig entwickelt. So konnte die Anzahl der Arbeitslosen in Niedersachsen von 457.100 (Arbeitslosenquote von 11,6 %) im Jahr 2005 um über 42 % auf 264.500 (6,6 %) im Jahr 2012 reduziert werden. Zwischenzeitlich konnte in Niedersachsen die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 20 Jahren verzeichnet werden, wozu neben der konjunkturellen Entwicklung auch die Arbeitsmarktreformen beigetragen haben. Auch die Anzahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten war in diesem Zeitraum rückläufig. So konnte die Anzahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in Niedersachsen seit 2005 um über 40.000 Personen oder rund 9 % gesenkt werden.
Gleichwohl sieht die Landesregierung in den kommenden Jahren die Notwendigkeit für eine Weiterentwicklung der Reformen. Insbesondere für den Personenkreis der Langzeitarbeitslosen bzw. Langzeitleistungsbezieher müssen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) eigene – auf die besonderen Problemlagen der Langzeitleistungsbezieher) zugeschnittene – Instrumente geschaffen werden. So haben die Länder in dem von Niedersachsen initiierten ASMK-Beschluss „Bekämpfung von Langzeitleistungsbezug und Langzeitarbeitslosigkeit im SGB II – Neue Wege für arbeitsmarktferne Personen“ die Bundesregierung aufgefordert, die Voraussetzungen für eine bundesweite Initiative für arbeitsmarktferne Langzeitleistungsbezieher und Langzeitarbeitslose im SGB II zu schaffen.
Darüber hinaus ist es unerlässlich, dass die Jobcenter mit einem ausreichend ausgestattenen Eingliederungstitel die Eingliederung – insbesondere von Langzeitarbeitslosen – weiter voranbringen können. Gerade in den letzten Jahren wurden die Eingliederungstitel von der Bundesregierung erheblich gekürzt, so dass nicht alle erforderlichen Maßnahmen von den Jobcentern durchgeführt werden konnten.
Zu 3.:
Die Zahl der geringfügig Beschäftigten hat seit den Neuregelungen im Jahr 2003 stark zugenommen. Während laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit im Juni 2003 rund 567.000 Menschen in Niedersachsen einen Minijob ausübten, waren es im September 2012 etwa 751.000 Menschen. Dabei hat sich die Zahl der ausschließlich geringfügig Beschäftigten von etwa 440.000 Personen im Juni 2003 auf rund 498.000 im September 2012 erhöht. Noch deutlicher fiel der Anstieg bei den im Nebenjob geringfügig Beschäftigten aus. Deren Zahl hat sich in Niedersachsen von rund 104.000 Personen im Juni 2003 auf über 252.000 im September 2012 drastisch erhöht. Hier hat der im Jahr 2003 erfolgte Wegfall der Abgaben für im Nebenjob geringfügig Beschäftigte zu ganz offensichtlichen Fehlanreizen geführt.
Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) vom Dezember 2012 sind Minijobs besonders häufig in kleineren Betrieben, in den Dienstleistungsbranchen, und dort vor allem im Einzelhandel und in der Gastronomie zu finden. Dabei gibt es insbesondere in kleinen Betrieben Hinweise auf Verdrängung von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung durch Minijobs. Hier lässt sich über fast alle Branchen hinweg ein negativer und signifikanter Effekt beobachten. Demzufolge gehen in diesen Betrieben der Aufbau von Minijobs und die Reduktion der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung Hand in Hand.
Nach Auffassung der Landesregierung fällt bei Minijobs der Umfang der Brückeneffekte in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erheblich geringer aus, als erhofft. Minijobs stellen im Gegenteil sogar eher eine Hürde für den Übergang in einen sozialversicherungspflichtigen Teilzeit- oder gar Vollzeitjob dar. Die Mehrheit der vor allem weiblichen Beschäftigten bleibt im Minijob „gefangen“. Minijobberinnen und Minijobbern werden laut einer Studie des Rheinisch-Westfälischen-Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) aus Dezember 2012 besonders niedrige Löhne gezahlt sowie oftmals elementare arbeitsrechtliche Ansprüche versagt.
Die Landesregierung hat daher im Mai einen Antrag zur Nachbesserung bei Minijobs in den Bundesrat eingebracht, der von der Mehrheit der Länder beschlossen worden ist. Damit sind Bundestag und Bundesregierung aufgefordert, bestehende Fehlanreize bei Minijobs zu beseitigen und eine bessere Durchsetzung der Arbeitnehmerrechte im Bereich der Minijobs sicherzustellen.Artikel-Informationen
erstellt am:
30.05.2013
Ansprechpartner/in:
Herr Stefan Wittke
Nds. Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung
Pressesprecher
Friedrichswall 1
30159 Hannover
Tel: (0511) 120-5427
Fax: (0511) 120-995427