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Stadt Göttingen

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 27.05.2011 - TOP 26. Antwort von Wirtschaftsminister Jörg Bode auf die mündliche Anfrage des Abgeordneten Stefan Wenzel (GRÜNE)


Der Abgeordnete Stefan Wenzel (GRÜNE) hatte gefragt:

Der Stadt Göttingen wurde im Herbst 2010 von der E.ON Mitte AG der Erwerb eines Gesellschaftsanteiles an der gemeinnützigen Energieeffizienz Aktiv Mitgestalten gGmbH (EAM gGmbH) angeboten. Die EAM gGmbH wurde von der E.ON Mitte AG als gemeinnützige Gesellschaft gegründet. Zwingende Voraussetzung für den Erhalt der Fördermittel von der EAM gGmbH sind die Beteiligung der Kommune an der Gesellschaft und der Betrieb von eigenen Strom- und Erdgasnetzen für Haushaltskunden durch die E.ON Mitte AG im Gebiet der Kommune. Der Konzessionsvertrag zwischen der Stadt Göttingen und der E.ON Mitte AG für das örtliche Stromnetz läuft bis zum 31. Dezember 2021. Aus Sinn und Zweck der Regelung des § 46 EnWG ergibt sich laut Landeskartellamt, dass der Neuabschluss von Wegenutzungsverträgen wettbewerblich auszugestalten und somit ein Wettbewerb „um das Netz“ zu initiieren ist. Zur möglichen Ausgestaltung des Verfahrens zur Bekanntmachung und zur Vergabe eines Wegenutzungsvertrages hat das Landeskartellamt im März 2010 Hinweise auf der Internetseite veröffentlicht.

Bei der Konzessionsvergabe hat der Konzessionsgeber insbesondere den Gleichbehandlungsgrundsatz, das Diskriminierungsverbot und die Transparenzpflicht zu beachten, die sich aus dem EGV (neu: AEUV) ergeben. Die Gemeinde als Konzessionsgeberin hat bei der Neuvergabe von Konzessionen einen Wettbewerb um Netze, d. h. Wegenutzungsrechte, zu eröffnen. Der Strom-Konzessionsvertrag zwischen E.ON und der Stadt Göttingen ist im Jahr 2001 jedoch vorzeitig um 20 Jahre verlängert worden, ohne dass ein wettbewerbliches Verfahren stattgefunden hat. Auch ist dieser Vertragsabschluss offensichtlich nicht bei der Kommunalaufsicht angezeigt worden.

Mit Schreiben vom 31. Januar 2011 an das niedersächsische Innenministerium hat die niedersächsische Landeskartellbehörde u. a. festgestellt: „Aufgrund der Tatsache, dass eine vorzeitige Verlängerung des Stromkonzessionsvertrages im Jahr 2001 erfolgte, ohne dass die Stadt Göttingen einen Wettbewerb um das Netz hergestellt hat und auch keine Bekanntmachung erfolgte, verstößt der Vertrag vom Zeitpunkt des Überschreitens der 20 Jahre des ursprünglichen Vertrages gegen § 1 GWB und wäre nichtig. Ganz offensichtlich versucht die E.ON AG jetzt mit der Beteiligungsmöglichkeit an der EAM gGmbH die Gemeinde weiter an sich zu binden. Denn die Stadt Göttingen erhält nur dann Fördermittel, wenn sie an der EAM gGmbH beteiligt ist und wenn die E.ON Mitte AG die Strom- und Erdgasnetze für Haushaltskunden in den Konzessionsgebieten der Stadt Göttingen betreibt. Ganz offensichtlich erfolgt diese ‚Bindung’, um bei der nächsten Vergabe des Konzessionsvertrages die Gemeinde gewogen zu ‚machen’, erneut den Konzessionsvertrag mit der E.ON AG abzuschließen.“

Der niedersächsische Innenminister hat mitgeteilt, dass sich die Kommunalaufsicht nicht zuständig fühlt und den Vorgang mittlerweile an das niedersächsische Umweltministerium und das niedersächsische Wirtschaftsministerium abgegeben habe. Weiter heißt es dort: „Da es sich um ein laufendes Verfahren handelt, in das auch die Landeskartellbehörde und das Bundeskartellamt involviert sind, verbietet sich eine Stellungnahme des MI bzw. der Kommunalaufsicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt.“

Ich frage die Landesregierung:

  1. Warum schreiten die Kommunalaufsicht bei Verstößen gegen die Veröffentlichungs- und Bekanntmachungspflicht und die Landeskartellbehörde bei Verstößen gegen die Wettbewerbspflicht im Zuge von Konzessionsverfahren nicht ein?
  2. Muss der Konzessionsvertrag der Stadt Göttingen aufgrund der Rechtsverstöße kurzfristig neu ausgeschrieben werden?
  3. Welche Konsequenzen ergeben sich aus der gewählten und nach Meinung von Fachleuten offensichtlich rechtswidrigen Konstruktion des Gesellschaftervertrages der E.ON-Tochter EAM gGmbH?
Wirtschaftsminister Jörg Bode beantwortete die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Entscheidungen der Gemeinde über die Beteiligung an Unternehmen und Einrichtungen in der Rechtsform des privaten Rechts sind der jeweils zuständigen Kommunalaufsichtsbehörde gem. § 116 Abs. 1 Nr. 2 NGO (Niedersächsische Gemeindeordnung) anzuzeigen. Im Rahmen der Anzeige hat die Kommunalaufsicht die Einhaltung der kommunalrechtlichen Vorgaben, insbesondere der §§ 108, 109 NGO zu prüfen. Soweit kartell- bzw. konzessionsrechtliche Belange betroffen sein könnten, erfolgt grundsätzlich eine enge Beteiligung des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr sowie des Ministeriums für Umwelt und Klimaschutz respektive eine Übernahme.

Entsprechend verhält es sich beim Abschluss, der Verlängerung und Änderung von Konzessionsverträgen, die ebenfalls gem. § 116 Abs. 1 Nr. 11 NGO der jeweils zuständigen Kommunalaufsichtsbehörde anzuzeigen sind. In diesen Fällen erfolgt gem. § 115 Abs. 2 NGO eine Prüfung der Kommunalaufsicht dahingehend, ob durch den Vertrag die Erfüllung der Aufgaben der Gemeinde gefährdet wird, und die berechtigten wirtschaftlichen Interessen der Gemeinde und ihrer Einwohner gewahrt sind.

Die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausgestaltung des Verfahrens zum Neuabschluss von Wegenutzungsverträgen nach § 46 EnWG (Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung - Energiewirtschaftsgesetz) obliegt dem Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr als Landeskartellbehörde sowie dem Ministerium für Umwelt und Klimaschutz als zuständige Energierechtsbehörde. Dabei sind insbesondere die Vorgaben des § 46 EnWG sowie der §§ 19, 20 GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) als auch die Vorschriften der Verordnung über Konzessionsabgaben für Strom und Gas (Konzessionsabgabenverordnung (KAV)) zu beachten.

In dem in Rede stehenden Fall der Stadt Göttingen wurde ein förmliches Kartellverwaltungsverfahren nicht eingeleitet, denn die Landeskartellbehörde hat im Rahmen ihres Aufgreifermessens von der Einleitung eines förmlichen Kartellverwaltungsverfahrens abgesehen.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1.:
Wie eingangs dargestellt, bewertet Fragen zum Konzessionsvergabeverfahren nach § 46 EnWG nicht die Kommunalaufsicht sondern die Landeskartellbehörde. Da das in der Sache zuständige Ministerium vorliegend keinen Rechtsverstoß festgestellt hat, besteht für ein Einschreiten der Kommunalaufsicht kein Raum.

Bei der weiteren Beantwortung der Frage ist zu unterscheiden zwischen a) der vorzeitigen Vertragsverlängerung im Jahre 2001 und b) dem Beitritt der Stadt Göttingen zur gemeinnützigen Energieeffizienz Aktiv Mitgestalten gGmbH (EAM gGmbH).

a) Die Landeskartellbehörde ist zu dem Ergebnis gekommen, die vorzeitige Vertragsverlängerung nicht zum Gegenstand eines förmlichen Kartellverwaltungsverfahrens zu machen. Denn in erster Linie scheinen Individualinteressen der Stadt Göttingen betroffen zu sein, die am Zustandekommen des in Rede stehenden Vertrages zumindest beteiligt war und nunmehr möglicherweise von der Feststellung der Nichtigkeit durch Abschluss eines für sie günstigeren Vertrages profitieren möchte. Es ist den Vertragsparteien unbenommen, die Nichtigkeit des Vertrages im zivilgerichtlichen Verfahren feststellen zu lassen. Das OLG Düsseldorf hat mit Urteil vom 12.März 2008 (VI-2U(Kart)8/07), dem ein vergleichbarer Sachverhalt zu Grunde lag, hierzu bereits wichtige rechtliche Anhaltspunkte dargelegt.

b) Die Verordnung über Konzessionsabgaben für Strom und Gas regelt neben den zulässigerweise zu vereinbarenden Höchstbeträgen für Konzessionsabgaben in § 3 die Zulässigkeit weiterer Leistungen im Zusammenhang mit Konzessionsverträgen.

Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 erster Halbsatz KAV dürfen neben oder anstelle der in § 2 KAV aufgeführten Konzessionsabgaben „…insbesondere nicht vereinbart oder gewährt werden sonstige Finanz- und Sachleistungen, die unentgeltlich oder zu einem Vorzugspreis gewährt werden; Leistungen der Versorgungsunternehmen bei der Aufstellung kommunaler oder regionaler Energiekonzepte oder für Maßnahmen, die dem rationellen und sparsamen sowie ressourcenschonenden Umgang mit der vertraglich vereinbarten Energieart dienen, bleiben unberührt, soweit sie nicht im Zusammenhang mit dem Abschluss oder der Verlängerung von Konzessionsverträgen stehen.“

Die im vorliegenden Fall von der E.ON Mitte AG angebotenen Maßnahmen zur Energieeinsparung, Energieberatung und sonstiger Klimaschutzaktivitäten könnten zulässig sein, soweit sie nicht mit konkreten Verhandlungen über den Abschluss und die Verlängerung von Konzessionsverträgen verbunden sind. Da die E.ON Mitte AG wohl allen Kommunen in ihrem Netzgebiet in Niedersachsen als auch in den benachbarten Ländern Thüringen und Hessen die Beteiligung an der „Energieeffizienz Aktiv Mitgestalten gGmbH (EAM gGmbH)“ angeboten hat, ist nicht erkennbar, dass hier ein ausschließlich auf die Stadt Göttingen ausgerichtetes Angebot vorliegt. Ein Verstoß gegen die Vorgaben des § 3 Absatz 2 der KAV, das ein aufsichtsbehördliches Eingreifen gemäß § 6 rechtfertigen würde, ist aus Sicht des Umweltministeriums nicht ersichtlich. Allerdings hat das Bundeskartellamt in einer Besprechung am 25.05.2011 erklärt, dass es aufgrund Überlagerung der Sachverhalte von einer eigenen Zuständigkeit in der Sache ausgeht.

Für die Beurteilung der wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit ist das Bundeskartellamt zuständige Behörde.

Zu 2.:
Verstöße wurden bisher nicht rechtsverbindlich festgestellt, so dass derzeit keine Verpflichtung zur Neuausschreibung besteht.

Zu 3.:
Wie bereits unter 1. ausgeführt, befasst sich das zuständige Bundeskartellamt derzeit mit der kartellrechtlichen Zulässigkeit der Tätigkeit der E.ON Tochter EAM gGmbH. Der Ausgang des Verfahrens bleibt abzuwarten.

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erstellt am:
27.05.2011

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