Hirche: „Geisterfahrt der Maut beenden“
Stichprobe belegt erhebliche Mängel - „Bilanz für realistischen Zeitplan ziehen“
HANNOVER. Eine erstmals in Deutschland flächendeckend durchgeführte Stichprobe des Wirtschaftsministeriums ergab erhebliche Rückstände bei der Ausstattung mit On-Board-Units (OBU´s). Dies teilte Wirtschaftsminister Walter Hirche heute mit. Lediglich 17 Prozent der Unternehmer rechnen mit einer Vollausstattung der Fahrzeuge in einem Monat. "Statt Schuldzuweisungen brauchen wir jetzt eine echte Bilanz über den Stand der Einführung", sagte Hirche. "Die Geisterfahrt der Maut muss beendet werden." Der Starttermin 2. November sei illusorisch, da selbst das dem Bund unterstellte Bundesamt für Güterverkehr (BAG) eine Testphase von sechs bis acht Wochen fordert. "Was wir jetzt brauchen sind Lösungen und keine Diskussionen über Schuldfragen", so Hirche. Hier müsse der Bund endlich seine Funktion als Auftraggeber ernst nehmen. Hirche hatte bereits im Mai den ersten Januar als frühesten Starttermin gefordert. "Ohne erfolgreiche Testphase darf es keinen Start geben", so Hirche.
Die bei Hirche eingehenden Beschwerden der Unternehmer standen im krassen Widerspruch zu den Erfolgsmeldungen des Betreiberkonsortiums. Hiernach sollte es sich bei den Beschwerden um Einzelfälle handeln. Deshalb lies Hirche am 17. September eine flächendeckende Stichprobe bei niedersächsischen Spediteuren über die tatsächlichen Stand der Ausstattung und die bisherigen Erfahrungen durchführen. Erfasst wurden 3091 mautpflichtige Fahrzeuge von geschätzten 40.000 in Niedersachsen. Die Ergebnisse widersprechen den optimistischen Aussagen des Bundes und des Betreiberkonsortiums. Zum Zeitpunkt der Befragung waren lediglich 36,6 Prozent mit OBU´s ausgestattet. Über zwei Drittel davon arbeiteten jedoch fehlerhaft, so dass nur 13,7 Prozent der Fahrzeuge mit einwandfrei funktionierenden Geräten ausgestattet waren. "Die Ausfallquote ist erschreckend", sagte Hirche. "Mit 14 Prozent kann kein echter Testbetrieb gestartet werden."
Die Unternehmen wurden ebenfalls befragt, wann sie nach den bisherigen Erfahrungen mit einer Vollausstattung rechneten. Für 83 Prozent der Fahrzeuge (79 Prozent der Unternehmen) sei eine Vollausstattung nicht absehbar. Zwar seien die Geräte seit langem bestellt, es gebe jedoch keine Aussagen über die Liefertermine. Dies gelte ebenfalls für den Austausch der defekten Geräte. "Bei diesen Ergebnissen sehe ich keine Möglichkeit in den Testbetrieb zu gehen. Der Bund muss endlich eine ehrliche Bilanz ziehen und einen realistischen Zeitplan aufstellen", sagte Hirche. Bei der Befragung traten aber weitere offene Punkte, wie falsche Mautbeträge, Probleme bei der manuellen Eingabe und falsche Streckenführungen zu Tage.
Imageschäden für die gesamte Wirtschaft
Längst sei die Mauteinführung eine Negativwerbung für den Standort Deutschland und die deutsche Wirtschaft geworden. "Deutsche Produkte und Dienstleistungen haben international bisher für Qualität und Zuverlässigkeit gestanden", sagte Hirche. Die andauernde negative Berichterstattung in den Medien könne einen langfristigen Imageschaden bewirken. "Jedes Unternehmen achtet peinlich genau darauf, dass die unterschiedlichen Geschäftsbereiche nicht das Markenimage beschädigen. Hier muss die Bundesregierung die Konsequenzen ziehen und das Projekt endlich in die richtige Spur bringen", sagte Hirche. Deutschland könne sich als Exportland einen weiter andauernden Imageverlust nicht leisten. Er erwarte ebenfalls einen Vorschlag zur Finanzierung der Verkehrsprojekte, die mit den Mauteinnahmen gebaut werden sollten. Es werde Zeit, alle mit dem Mautchaos verbundenen Probleme offen zu legen und anzupacken.
Auswahl offener Punkte beim Mautsystem:
Ausstattung mit On board units (OBU´s) völlig unzureichend
Von einem echten Testbetrieb kann nur dann gesprochen werden, wenn das System unter echten Bedingungen geprüft wird. Nur 14 Prozent aller mautpflichtigen Fahrzeuge verfügten über eine funktionierende OBU. Lediglich 6 Prozent der Unternehmen rechnen mit einer Vollausstattung ihrer Fahrzeuge in den nächsten 14 Tagen, nur 17 Prozent mit einer Ausstattung in einem Monat (Kumulierte Zahlen zur Aussage "in 14 Tagen" und "in einem Monat"), dem bisher angestrebten Mauttermin. Alle anderen Unternehmen bezeichneten den Termin für eine Vollausstattung als "nicht absehbar". Sie begründeten dies damit, dass keinerlei Aussagen zu den Lieferterminen der noch ausstehenden Geräte zu bekommen seien.
Streckenführung fehlerhaft
Bei im Internet oder manuell an den Maustellen vorgenommenen Buchungen sei die Streckenführung insbesondere im Fernverkehr fehlerhaft. Es würden Routen angegeben, die nicht einer üblichen Routenführung entsprachen, teilweise sogar für LKW´s nicht befahrbar seien. Um diese Routen manuell zu ändern, sei, sofern dieses überhaupt möglich war, ein erheblicher Zeitaufwand erforderlich.
Mautbeträge werden falsch angegeben
Die Mautbeträge werden teilweise falsch angegeben. Als besonders krasses Beispiel wurden erheblich abweichende Mautbeträge für die gleiche Tour bei Hin- und Rückfahrt genannt.
Abrechnungssystem unklar
Bisher hatten die Unternehmen keine Möglichkeit die (Probe)- Rechnungen des Betreibers zu prüfen. Noch offen ist, ob die Rechnungen eine detaillierte Prüfung überhaupt ermöglichen. Gerade bei den aufgetretenen Problemen in der Streckenführung und Mautberechnung sei dies in der Testphase aber zwingend erforderlich.
Internationale Anzeige der manuellen Eingabestellen unzureichend
Die manuellen Eingabestellen (auch die in Internet) sind in den Sprachen Deutsch, Englisch, Französisch und Polnisch möglich. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Fahrer aus dem gesamten restlichen osteuropäischen Raum, die Fahrer aus Spanien, Italien, und den skandinavischen Ländern zwingend eine dieser Sprachen ausreichen beherrschen. Hierdurch seien Staus und auch Schwarzfahrten vorprogrammiert.
Hier zeige sich, dass ein ausführlicher Testbetrieb mit der Möglichkeit der Nachbesserung durch den Betreiber zwingend erforderlich sei.