Bahnprivatisierung
Niedersachsens Verkehrsminister Walter Hirche beantwortet die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Enno Hagenah (GRÜNE)
Es gilt das gesprochene Wort!
Der Abgeordnete hatte gefragt:
Der Kompromiss der Großen Koalition im Bund zur Bahnprivatisierung hat nach dem Ergebnis eines Gutachtens, das im Auftrag mehrerer Bundesländer an die Unternehmensberatung kcw vergeben wurde, verheerende Folgen für die Bahnkunden, weil damit ein Wegfall wesentlicher Teile der Flächenerschließung durch die Bahn droht. Der Einstieg in das Holdingmodell erscheint damit durch die vorläufige Begrenzung privater Anteilseigner auf 24,9 % keinesfalls verträglich, zumal keine Garantie dafür besteht, dass es langfristig bei dieser Minderheitsbeteiligung bleibt.
Die Studie von kcw zeigt auch für Niedersachsen erhebliche Angebotsverschlechterungen durch die Gewinnerwartungen der privaten Miteigentümer auf. Nicht nur 15 Mittelzentren bundesweit würden laut kcw kurzfristig vom Intercity abgehängt, sondern auch kleinere IC-Halte wie Northeim oder Kreiensen in Niedersachsen. Außerdem droht durch die Beibehaltung der Einheit von Netz und Betrieb im teilprivatisierten Unternehmen aufgrund des dann maßgeblichen Gewinnstrebens ein massiver Druck auf Streckenstilllegungen gerade in den dünner besiedelten Teilen von Flächenländern wie Niedersachsen.
Allerdings können die Bundesländer den Kompromiss im Bund zulasten der Bahnkunden und der Länder über den Bundesrat noch abwenden. Die Beschlüsse der Verkehrsministerkonferenz vom 16./17. April 2008 u. a. mit der Forderung eines Fernverkehrssicherungsgesetzes gäben dazu einen konkreten gemeinsamen Handlungsrahmen vor.
Ich frage die Landesregierung:
- Teilt sie die im kcw-Gutachten festgehaltene Kritik am nun von der Bundesregierung betriebenen Holdingmodell bei der Bahnprivatisierung, oder wie bewertet die Landesregierung das Holdingmodell hinsichtlich der damit verbundenen Folgen für Niedersachsens Bahnverkehrsangebot und die Entwicklung der Bahninfrastruktur?
- Welche Folgen für den in Niedersachsen in den vergangenen Jahren vorangetriebenen Wettbewerb auf der Schiene erwartet die Landesregierung durch die Zusammenfassung von Netz und Betrieb unter dem Dach einer Holding?
- Was wird die Landesregierung unternehmen, um den im Zuge der Bahnprivatisierung drohenden Fernverkehrsabbau und den Rückzug des IC aus der Flächenerschließung zu stoppen?
Verkehrsminister Walter Hirche beantwortete Namens der Landesregierung die Mündliche Anfrage wie folgt:
Der jetzt von der Regierungskoalition in Berlin gefundene Kompromiss zur Bahnreform wirft in der Tat Fragen auf. Das betrifft auch die Frage, inwieweit der Bund künftig seinem Verfassungsauftrag gerecht werden will, bei den Verkehrsangeboten, so auch dem Fernverkehr, dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, Rechnung zu tragen.
Dem wollen wir entschlossen und zügig nachgehen. Das haben die Verkehrsminister der Länder bereits auf ihrer letzten Konferenz am 16. und 17. April einmütig beschlossen.
Dieses vorausgeschickt beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
Die Aussagen im kcw-Gutachten sind ernst zu nehmen. Die Frage ist allerdings weniger, ob die Teilprivatisierung der Bahn richtig ist oder nicht. Die Frage ist vielmehr, wie die Teilprivatisierung seitens des Bundes flankiert wird, um den nach wie vor bestehenden Verfassungsauftrag nach gleichwertigen Lebensverhältnissen erfüllen zu können – also genau das, was wir Länder im Schienenpersonennahverkehr seit Jahren mit wachsendem Erfolg leisten. Die Verantwortung dafür liegt also weniger bei der Bahn als vielmehr beim Bund.
Deswegen haben wir Länder bereits im Zuge der Beratungen des Eisenbahnneuordnungsgesetzes im Bundesrat im Herbst letzten Jahres ein Fernverkehrssicherstellungsgesetz vorgeschlagen, um die Einbindung raumordnerisch bedeutsamer Räume in den Fernverkehr abzusichern.
Zu 2.:
Netz und Betrieb sind seit Jahren unter dem Dach einer Holding zusammengefasst. Insofern erschließt sich der Sinn der Frage nicht.
Sofern der Fragesteller darauf abhebt, welche Folgen durch die nun beabsichtigte Einrichtung einer Zwischenholding für die Infrastruktur erwartet werden, so gilt auch hier – und zwar unabhängig von Art und Umfang einer Teilprivatisierung: Es müssen endlich klare und transparente Regelungen getroffen werden, wie das Netz künftig zu bewirtschaften ist.
Die Instandhaltung und der Zustand der Schienenwege sind ja kein neues Thema – dieses ist ein Dauerbrenner. Im Interesse aller Eisenbahnunternehmen, aber auch der Kunden und der Regionen als Betroffene brauchen wir endlich nachvollziehbare, verlässliche Vorgaben, wie das vorhandene Schienennetz zu bewirtschaften ist – einschließlich der Bereitstellung der dafür erforderlichen Ressourcen. Bei der Erarbeitung der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung müssen die Länder, nicht zuletzt wegen ihres erheblichen finanziellen Beitrages für die Infrastruktur, beteiligt werden.
Zu 3.:
Die Verkehrsminister der Länder haben, wie bereits gesagt, beschlossen, auf der Grundlage der Bundesratsbeschlüsse vom Oktober letzten Jahres schnellstmöglich ein Gesetz zur Sicherung des Fernverkehrs in den Bundesrat einzubringen. Niedersachsen hat sich im Vorfeld aktiv in die Erarbeitung dieses Gesetzentwurfes und die Formulierung der Länderposition zur Bahnprivatisierung insgesamt eingebracht.
Niedersachsen wird diese gemeinsame Position der Länder auch weiterhin aktiv vertreten
Artikel-Informationen
erstellt am:
09.05.2008
zuletzt aktualisiert am:
19.03.2010
Ansprechpartner/in:
Christian Budde
Nds. Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr
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