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Bekommt die Ortsdurchfahrt Wettmershagen eine Geschwindigkeitsbegrenzung?

Die Abgeordneten Detlef Tanke und Klaus-Peter Bachmann (SPD) hatten gefragt:

Die Landesstraße 321 wird in dem Abschnitt zwischen Meine (Landkreis Gifhorn) und Fallersleben-Sülfeld (Stadt Wolfsburg) durch Pendlerströme und Zulieferverkehr von und zum VW-Werk stark in Anspruch genommen. Sowohl die Bürgerinitiative als auch die kommunalen Politiker vor Ort sprechen sich bei der Ortsdurchfahrt Wettmershagen aus Gründen der Verkehrssicherheit dafür aus, eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h anzuordnen.

Im Jahr 2012 sind für die kurze Strecke der Ortsdurchfahrt von 500 m in Wettmershagen bereits vier verletzte Menschen und acht Unfallfahrzeuge zu verzeichnen.
Seit dem Besuch eines Ministerialdirigenten aus dem Verkehrsministerium in Hannover (16. Januar 2012) sind inzwischen sechs (bekannte) Unfälle auf der Ortsdurchfahrt passiert:

Die von der Polizei vor Ort erfassten Unfälle im Einzelnen:

  • 21. Januar 2012: ein Verletzter, ein schwer beschädigtes Fahrzeug,
  • 23. Januar 2012: drei Verletzte, zwei schwer beschädigte Fahrzeuge,
  • 31. Mai 2012: Fahrer verlor Kontrolle und schleifte am Bürgersteig entlang, fuhr ohne zu halten davon,
  • 31. Mai 2012: Fahrer eines Smart verlor Kontrolle über sein Fahrzeug kam von der Fahrbahn ab und fuhr gegen die Wand eines Wohnhauses an der Fallerslebener Straße (L321), ein beschädigtes Fahrzeug,
  • 20. Juni 2012: Fahrerin verlor die Kontrolle über das Fahrzeug, kam von der Fahrbahn ab und rammte eine Gartenmauer, ein schwer beschädigtes Fahrzeug,
  • 22. Juni 2012: ein Verletzter, ein schwer beschädigtes Motorrad und ein beschädigtes Fahrzeug - Unfall ca. 20 m vor der Ortsdurchfahrt Wettmershagen, Ursache war ein Rückstau aus dem Ort an der Einmündung zur Straße „Am Hopfengarten“.

Ein weiterer Grund, warum es nach Auffassung der Anwohner einer Geschwindigkeitsbeschränkung bedarf, ist, dass die Schüler auf dem Weg zu den Haltestellen im besonders stark frequentierten Berufsverkehr die Landesstraße überqueren. Schüler und Kinder sind dadurch einem erhöhten Sicherheitsrisiko ausgesetzt.
Besonders gefährlich ist die Situation auch für den am Eingang der Ortsdurchfahrt liegenden Kindergarten. Die Kurvenführung der Ortsdurchfahrt macht ein rechtzeitiges Erkennen bei einer Annäherungsgeschwindigkeit von 50 km/h praktisch nicht möglich.
Als weiteres Argument für eine Geschwindigkeitsbegrenzung wird die zunehmende Verschlechterung der Straßenoberfläche bei der Ortsdurchfahrt infolge der starken Belastung und der seit 2011 ausgebliebenen Sanierung vorgebracht.

Wir fragen die Landesregierung:

  1. Auf der Grundlage welcher konkreten Werte und Rechtsgrundlagen ist im Hinblick auf die Ergebnisse der Begutachtungen der Verkehrssituationen vor Ort in Wettmershagen, Neindorf und Sülfeld die Ablehnung des Antrags des Landkreises Gifhorn zur Anordnung einer 30‑km/h-Geschwindigkeitsbeschränkung vom 19. September2010 (Nrn.: 2010O00051/36.1/36 72-01) erfolgt?
  2. Welche Referenzwerte in Bezug auf Gefährdung der Sicherheit im Straßenverkehr (z. B. Anzahl der Unfälle innerhalb eines bestimmten Zeitraums) müssen zur Errichtung einer innerörtlichen Tempo-30-Beschränkung erreicht werden, und auf welcher Rechtsgrundlage beruhen diese Werte?
  3. Wie schätzt die Landesregierung die Wirkung ihrer bisher ablehnenden Entscheidung auf die Entstehung von Politikverdrossenheit und das Erlebnis mangelnder Mitwirkungsmöglichkeiten von Bürgerinnen und Bürger bei der Gestaltung ihres Lebens vor Ort ein?

Verkehrsminister Jörg Bode beantwortete die Anfrage namens der Landesregierung am 17.10.2012 wie folgt:

Nach den Regelungen der Straßenverkehrsordnung (StVO) können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus sachlichen Gründen beschränken oder verbieten. Gem. § 45 Abs. 9 StVO sind Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen jedoch nur dort anzuordnen, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten ist. Insbesondere dürfen Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in der StVO genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt.

Ob die Voraussetzungen für Verkehrsbeschränkungen vorliegen, haben die Straßenverkehrsbehörden grundsätzlich in eigener Zuständigkeit zu prüfen und letztlich, auf Basis der vor Ort gewonnenen Erkenntnisse, über die Anordnung von Beschränkungen des fließenden Verkehrs zu entscheiden.

Im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens hat die Verkehrsbehörde die Belange der Wohnbevölkerung mit den Belangen des fließenden Verkehrs und der Verkehrsteilnehmer abzuwägen. Auf Bundesfern, Landes- und Kreisstraßen hat das Interesse des fließenden Verkehrs besonderes Gewicht, weil diese Straßen ihre Aufgabe, dichten Verkehr auch über längere Entfernungen zügig zu ermöglichen und das übrige Straßennetz zu entlasten, nur erfüllen können, wenn möglichst wenig Verkehrsbeschränkungen vorhanden sind. Nach ihrem Widmungszweck sind die klassifizierten Straßen dazu bestimmt, den überregionalen Verkehrsströmen zu dienen.

Die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften ist bundeseinheitlich durch die StVO für alle Kraftfahrzeuge auf 50 km/h festgelegt. Es steht somit nicht im freien Ermessen der zuständigen Straßenverkehrsbehörde, eine andere Höchstgeschwindigkeit festzusetzen. Verkehrsbeschränkungen sind nur zulässig, wenn sachliche Gründeder StVO dies rechtfertigen.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1.:
Anhand der Berichte des Landkreises Gifhorn, der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr sowie des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport wurde geprüft, ob gem. § 45 StVO eine Verkehrsbeschränkung auf 30 km/h in der Ortsdurchfahrt der Ortschaft Wettmershagen angeordnet werden kann. Dabei wurde eine Verkehrsbelastung von 9000 Fahrzeugen durchschnittlicher täglicher Verkehr mit einem Schwerverkehrsanteil von 5-7,5% zu Grunde gelegt. Die Verkehrszählung im Jahre 2010 und auch eine nochmalige Sonderzählung auf Veranlassung des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr von April bis Mai 2012 haben sogar eine wesentlich geringere tatsächliche Verkehrsbelastung ergeben.

Zu 2.:
Neben den allgemeinen Erkenntnissen der Polizei aus der Verkehrsunfallaufnahme und –bearbeitung, hängt die Bestimmung der Gefährdung und der Sicherheit im Straßenverkehr maßgeblich von der örtlichen Verkehrsunfalluntersuchung ab. Durch die Auswertung von Straßenverkehrsunfällen in straßenbaulicher und verkehrstechnischer Hinsicht werden Besonderheiten der Straße und des Verkehrsablaufes aufgedeckt, die die Entstehung von Verkehrsunfällen begünstigen. Grundlage für örtliche Unfalluntersuchungen ist die Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) zu § 44. Die Erhebungen dienen vor allem dem Ziel, zu ermitteln, wo sich die Unfälle häufen, worauf sie gerade dort zurückzuführen sind und welche Maßnahmen als angezeigt erscheinen, um erkannte Unfallquellen zu beseitigen. Gleichartige Unfälle weisen häufig darauf hin, dass die bauliche Beschaffenheit der Straße mangelhaft oder die Verkehrsregelung unzulänglich ist. Die Bekämpfung von Straßenverkehrsunfällen nach VwV-StVO zu § 44 hat in enger Zusammenarbeit zwischen Polizei, Straßenverkehrsbehörde und Straßenbaubehörde zu erfolgen. Dazu dienen in der Regel die so genannten Unfallkommissionen, deren Organisation und Zuständigkeiten in Ländererlassen geregelt sind.
Um im Rahmen der örtlichen Unfalluntersuchung Auffälligkeiten und Unfallhäufungen zu erkennen, zu analysieren und Maßnahmen zur Reduzierung von Verkehrsunfällen zu finden, werden in den Unfallkommissionen die Empfehlungen des Institutes für Straßenverkehr Nr.12, „Führen und Auswerten von Unfalltypen-Steckkarten“ angewandt. Demnach sind unfallauffällige Bereiche im Straßennetz wie folgt zu unterscheiden:

Unfallhäufungsstellen liegen vor, wenn an einer Straßenstelle mit nur geringer Längenausdehnung im Straßennetz gehäuft Unfälle auftreten, d.h., innerhalb eines Jahres fünf gleichartige Verkehrsunfälle oder innerhalb von drei Jahren entweder fünf Verkehrsunfälle mit Personenschaden oder drei Verkehrsunfälle mit schwerem Personenschaden zu verzeichnen sind.

Unfallhäufungslinien sind Unfallhäufungen entlang längerer Straßenabschnitte, die innerhalb von drei Jahren mindestens drei Unfälle mit schwerem Personenschaden aufweisen. Unfallhäufungsgebiete treten innerorts zumeist (in größeren Gemeinden und in Städten) im Netz der Erschließungsstraßen auf. Die wesentliche Grundlage

zur Bewertung des Unfallgeschehens (in Wohn-) Gebieten ist die Anzahl und Dichte der Unfälle mit Personenschaden in einem Dreijahreszeitraum. Für die Auffälligkeit von Unfallhäufungsgebieten lassen sich keine festen Grenzwerte nennen, die sachgerecht wären, weil die Unfallbelastung von Gebieten grundsätzlich beeinflusst wird von Art und Maß der baulichen Nutzung, der Aufteilung der Straßenräume, dem Abstand der Verkehrsstraßen, der Verkehrsregelung und der Art der Verkehrserschließung.

Zur Beseitigung der untersuchten Unfallhäufungen stimmen Polizei, Straßenverkehrs- und Straßenbaubehörden in den Unfallkommissionen die erforderlichen baulichen, verkehrsrechtlichen sowie polizeilichen Maßnahmen ab. Darunter fallen auch straßenverkehrsbehördliche Anordnungen über die ortsbezogene Reduzierung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.

Für die Ortsdurchfahrt Wettmershagen bestand in den vergangenen fünf Jahren zu keinem Zeitpunkt die Gefahr, Unfallhäufungsstelle/-linie zu werden. Auch für das laufende Jahr wird mit jeweils zwei aufgenommenen Verkehrsunfällen des Typs 1 (Fahrunfälle) und 6 (Unfälle im Längsverkehr) die Wahrscheinlichkeit als gering eingeschätzt, dass die Landesstraße 321 im Bereich der Ortschaft Wettmershagen Unfallhäufungsstelle/-linie werden könnte. Somit ist auch aus verkehrspolizeilicher Sicht die geforderte Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h im Bereich der Ortsdurchfahrt Wettmershagen nicht zu begründen.

Zu 3.:
Die Landesregierung orientiert sich in ihren Entscheidungen an den Rechtsgrundsätzen, wie sie u.a. auch in der Nds. Verfassung (Art. 2 NV) und dem Grundgesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) niedergelegt sind. Rechtssicherheit, politische Akzeptanz und Vertrauen in staatliches Handeln sind mithin am besten zu gewährleisten, wenn die nach diesen Grundsätzen einzuhaltenden Verfahren ordnungsgemäß durchgeführt werden.

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erstellt am:
09.11.2012

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