Niedersächsischer Stahldialog: Krisengipfel für die Zukunft einer Schlüsselindustrie
Wettbewerbsfähigkeit erhöhen und Industriearbeitsplätze sichern
Das Niedersächsische Wirtschaftsministerium hat heute den 7. Niedersächsischen Stahldialog ausgerichtet. Rund 25 Vertreterinnen und Vertreter von Unternehmen der Stahlindustrie, Gewerkschaften und Verbänden berieten im Gästehaus der Landesregierung mit Wirtschaftsminister Grant Hendrik Tonne über Maßnahmen, um die Krise in der Stahlbranche abzufedern. Hierzu wurde ein gemeinsames Positionspapier verabschiedet. Ziel ist, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, die Branche vor unfairen Handelspraktiken zu schützen und so kurz-, mittel-, und langfristig hochwertige Industriearbeitsplätze zu sichern.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Im ersten Halbjahr 2025 ist die Rohstahlproduktion in Deutschland im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um fast 12 Prozent auf 17,1 Millionen Tonnen gesunken – und das nach einem bereits überaus schwachen Jahr 2024. Die Lage der Branche bleibt damit extrem angespannt. Billigimporte, hohe Energiepreise und unsichere Rahmenbedingungen belasten die Unternehmen massiv. Durch Schlupflöcher im geplanten CO₂-Grenzausgleich (CBAM) droht eine Wettbewerbsverzerrung. Besonders kritisch ist zudem, dass weiterhin monatlich rund 300.000 Tonnen russische Halbzeuge - halbfertige Produkte aus Stahl, die als Vorstufe in der industriellen Verarbeitung dienen - trotz Sanktionen in die EU importiert werden.
Die zentralen Forderungen des 7. Niedersächsischen Stahldialogs richten sich an die Bundesregierung und die Europäische Kommission:
- Wirksamer Handelsschutz: Einführung einer robusten Nachfolgeregelung für die 2026 auslaufenden Safeguards und sofortige Zölle auf monatlich rund 300.000 Tonnen russischer Halbzeuge, die trotz Sanktionen weiter in die EU gelangen.
- Klares Regelwerk für den CO₂-Grenzausgleich (CBAM): Schlupflöcher schließen, faire Wettbewerbsbedingungen für Exporte schaffen und die Ausweitung auf stahlintensive Folgeprodukte vorantreiben. Sollte dies bis Ende des Jahres nicht möglich sein: Erhalt der Freizuteilungen von Emissionszertifikaten, bis ein funktionierender CBAM in Kraft ist.
- Wettbewerbsfähige Energiepreise: Dauerhafte Senkung der Übertragungsnetzentgelte verlässlich über 2026 hinaus, Einführung eines verlässlichen Industriestrompreises im Korridor von 3 bis 6 Cent pro kWh sowie dauerhafte Sicherung der CO₂-Strompreiskompensation.
- Wasserstoffhochlauf absichern: Fertigstellung des Wasserstoff-Kernnetzes, verlässliche Förderbedingungen über 2030 hinaus und Absicherung der Großprojekte wie SALCOS in Salzgitter.
- Marktanreize für emissionsarmen Stahl: Öffentliche Beschaffung als Hebel nutzen und Vorgaben im geplanten Vergabebeschleunigungsgesetz verankern.
Wirtschaftsminister Grant Hendrik Tonne machte deutlich, dass Bundeskanzler Friedrich Merz und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nun gefordert sind, die Rahmenbedingungen für eine starke und klimafreundliche Stahlindustrie zu sichern: „Die Lage der Stahlindustrie ist ernst – es geht um die Zukunft einer Schlüsselbranche unseres Landes. Wenn wir jetzt nicht handeln, verlieren wir industrielle Wertschöpfung und hochwertige Industriearbeitsplätze. Am Ende geht es auch um die Fähigkeit, klimaneutralen Stahl in Europa zu produzieren und damit die Zukunft der Branche abzusichern. Dafür sind dringend verlässliche Rahmenbedingungen erforderlich: wirksamer Handelsschutz, faire Wettbewerbsbedingungen durch den CO₂-Grenzausgleich, wettbewerbsfähige Energiepreise und eine funktionierende Wasserstoffinfrastruktur. Niedersachsen sendet mit dem Stahldialog ein klares Signal: Wir kämpfen gemeinsam für den Stahlstandort – und wir erwarten, dass Bund und EU uns dabei unterstützen.“
Roderik Hömann, Leiter Energie- und Klimapolitik der Wirtschaftsvereinigung Stahl, erläutert: „Der Stahlstandort in Deutschland steckt in einer tiefen Krise: Eine katastrophale Konjunktur mit historisch niedriger Nachfrage, eine ungebremste Importflut aus Ländern außerhalb der EU, hohe Energiepreise und fehlende politische Rahmenbedingungen setzen die Wettbewerbsfähigkeit unserer Branche massiv unter Druck. Deshalb ist der heutige Stahldialog in Hannover so wichtig. Wir richten klare Forderungen an Bund und EU: Es braucht entschlossenes Handeln – für einen wirksamen Handelsschutz, bezahlbare Energie, einen funktionierenden CO2-Grenzausgleich und Leitmärkte für emissionsarmen Stahl Made in Germany und EU.“
Stephan Soldanski, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Osnabrück, erklärt: „Unsere Kolleginnen und Kollegen erbringen in den Betrieben Tag für Tag Höchstleistungen. Jetzt ist die Politik am Zug: Sie muss faire Wettbewerbsbedingungen schaffen, eine verlässliche und bezahlbare Energie- und Industriepolitik durchsetzen und die Transformation der Stahlbranche entschlossen fördern. Unterbleiben diese Schritte, stehen nicht nur zehntausende Jobs in der Stahlbranche auf dem Spiel, sondern die industrielle Souveränität Europas insgesamt. Stahl wird auch zukünftig in vielen Bereichen benötigt. Wir müssen alles daransetzen, dass Niedersachsen Stahlland bleibt und wir unsere Arbeitsplätze zukunftssicher machen!“
Benedikt Hüppe, Hauptgeschäftsführer der Unternehmerverbände Niedersachsen e.V. (UVN), sagt dazu: „Die niedersächsische Stahlindustrie ist Fundament vieler Wertschöp-fungsketten – von der Bauwirtschaft bis zur Energieversorgung. Der Niedersächsische Stahldialog setzt dafür ein wichtiges Signal: Entscheidend sind faire Handelsbedingungen und wettbewerbsfähige Energiekosten, nicht zusätzliche Bürokratie. Für Niedersachsen gilt: Nur wenn Stahl- und Bauindustrie gemeinsam gestärkt werden, sichern wir Arbeitsplätze, Transformation und Zukunftsfähigkeit.“
Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer NiedersachsenMetall: „Die Stahlbranche ist ein Grundpfeiler des Industriestandorts Niedersachsen. Sie sorgt für Wertschöpfung in der Autoindustrie, dem Maschinenbau oder der Energietechnik – am Stahl hängen auch in Niedersachsen nicht unerhebliche Teile des Mittelstands. Wenn Niedersachsen ein relevanter Stahlindustrie-Standort bleiben soll, brauchen wir vor allem wettbewerbsfähige Energiepreise. Außerdem müssen wir von den Zieldebatten in der Klima- und Energiepolitik wegkommen, hin zu dem, was betriebs- und volkswirtschaftlich überhaupt realistisch und mit Blick auf unsere Wettbewerbsfähigkeit verantwortbar ist. Immer mehr staatliche Vorgaben werden die drohende Deindustrialisierung nicht aufhalten, im Gegenteil. Damit wirtschaftliche Aktivitäten unter klimafreundlichen Rahmenbedingungen erfolgreich sind, braucht es mehr Marktanreize und weniger Regulierung.“
Der Stahldialog in Hannover gilt als wichtiger Impulsgeber für das von der Bundesregierung angekündigte High-Level-Meeting Stahl („Stahlgipfel“) in den kommenden Wochen. Die heute abgestimmten Positionen werden in die bundesweiten und europäischen Beratungen eingebracht.
Hintergrund:
Der Niedersächsische Stahldialog wurde 2019 von der Landesregierung initiiert und findet seitdem jährlich statt – als Landesergänzung zum Nationalen Stahlgipfel der elf „Stahlallianz“-Bundesländer. Ziel ist der direkte Austausch zwischen Politik, Unternehmen, Gewerkschaften und Verbänden über die Zukunft der Branche.
Teilnehmende sind u. a. die Salzgitter AG, die Georgsmarienhütte GmbH und Benteler Steel/Tube, außerdem IG Metall, NiedersachsenMetall, die UVN, der DGB Niedersachsen, die IHK Niedersachsen sowie die Wirtschaftsvereinigung Stahl.
In Niedersachsen arbeiten rund 10.000 Menschen direkt in der Stahlindustrie und etwa 350.000 in stahlverarbeitenden Betrieben. Mit einem Anteil von knapp 17 Prozent der deutschen Rohstahl-Gesamtproduktion ist Niedersachsen einer der wichtigsten Stahlstandorte Deutschlands.
Artikel-Informationen
erstellt am:
16.09.2025