19. Vor Ort dagegen, im Land dafür - Wie glaubwürdig ist die SPD beim Fracking?
Plenum 5. Juni 2015 - Mündliche Anfragen
Abgeordneter Karsten Heineking (CDU)
Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr namens der Landesregierung
Vorbemerkung des Abgeordneten
Die Harke berichtet in dem Artikel „Fracking in Regierung umstritten“ über die widersprüchlichen Aussagen, die Wirtschaftsminister Lies (SPD) und der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion, Grant Hendrik Tonne, zu Fracking treffen. So wird der Minister wie folgt zitiert: „Diese Erdgasförderung muss weiter möglich sein, wenn auch unter Berücksichtigung sehr viel strengerer Umweltschutzauflagen sowie maximal transparenter Genehmigungsverfahren.“
Hingegen hatte Tonne als Bürgermeister die Gemeinde Leese zur „frackingfreien Gemeinde“ erklärt. In dem Artikel wird er mit folgendem Satz zitiert: „Wir können auf Fracking selbst aus wirtschaftlichen Erwägungen komplett verzichten. Ich wünschte mir, dass der Bundestag das Fracking-Verbot konsequent beschließt.“
Vorbemerkung der Landesregierung
Erdgas kann als leistungsstarker und flexibler Energieträger einen wichtigen Beitrag zur erfolgreichen Umsetzung der Energiewende leisten. Mit einem Anteil von 20,5 Prozent am Primärenergieverbrauch (Quelle: AG Energiebilanzen e.V., März 2015) ist Erdgas derzeit nach den Mineralölprodukten der zweitwichtigste Energieträger im Energiemix der Bundesrepublik Deutschland. Bei der Wärmeerzeugung ist Erdgas der mit Abstand wichtigste Energieträger. So wurde im Jahr 2013 rund 45 Prozent der Raumwärme mit Erdgas erzeugt.
Mit einem Anteil von rund 10 Prozent im Jahr 2014 trägt die heimische Erdgasproduktion nach wie vor zur Deckung des bundesweiten Erdgasbedarfes bei. Dieser Anteil ist seit Jahren stark rückläufig, da die produzierenden Lagerstätten einem natürlichen Förderrückgang unterliegen. Noch vor 20 Jahren lag der Versorgungsanteil aus heimischer Erdgasproduktion bei 25 Prozent. Erschwerend kommt hinzu, dass die Weiterentwicklung bestehender Erdgasfelder nicht in dem erforderlichen Maße stattfinden konnte, um den Förderrückgang zu kompensieren. Um den bestehenden und mittelfristig zu erwartenden Erdgasbedarf zu decken, ist ein Anstieg der Importabhängigkeiten unvermeidbar.
Nach Angaben des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle wurden im Jahr 2014 rund 37 Prozent des in Deutschland verbrauchten Erdgases aus Russland importiert. Damit ist Russland der wichtigste Erdgaslieferant Deutschlands gefolgt von den Niederlanden (26 Prozent), Norwegen (22 Prozent) und sonstigen Lieferländern wie Dänemark und Großbritannien, mit einem Anteil von rund 4 Prozent. Es ist davon auszugehen, dass insbesondere der russische Importanteil künftig anwachsen wird, da Russland über große Erdgasreserven verfügt und die Förderung noch steigern kann. Diese Entwicklung birgt jedoch unkalkulierbare Risiken, die sich auf die Versorgungssicherheit und Preisstabilität in Deutschland auswirken können. Ebenso bleibt die Frage offen, welche Umweltstandards bei der Erdgasförderung in Russland zu beachten sind. Nicht zuletzt die geopolitischen Entwicklungen im Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine zeigen, dass eine Diversifizierung der Erdgasversorgung auf verlässliche Bezugsquellen notwendig ist. Die umweltverträgliche Nutzung heimischer Ressourcen kann hierzu einen Beitrag leisten. Zudem arbeiten EU, Bund und Länder an einer Verbesserung der Energieeffizienz, Energieeinsparung und Steigerung des Anteils der Erneuerbaren Energien. Niedersachsen leistet dazu einen wichtigen Beitrag.
1. Ist das Fracking nach Ansicht der Landesregierung aus wirtschaftlichen Gründen komplett verzichtbar?
Nach Angaben des Landesamtes für Bergbau, Energie und Geologie betragen die nachweislich bekannten Erdgasreserven in Deutschland derzeit rund 88,5 Mrd. m³ (davon 87,6 Mrd. m³ in Niedersachsen). Gemessen an der Jahresfördermenge ergibt sich damit eine statische Reichweite der Reserven von 8,8 Jahren.
Zusätzlich werden im Bereich von konventionellen Erdgaslagerstätten weitere Förderpotenziale von rund 110 Mrd. m³ prognostiziert (allein 90 Mrd. m³ in sogenannten Tight-Gas-Lagerstätten). Sofern diese Potenziale wirtschaftlich genutzt werden könnten, würde sich die statische Reichweite der Erdgasförderung (bei gleichbleibender Fördermenge) mehr als verdoppeln. Die Erdgasförderung aus diesen sehr dichten, tief im geologischen Untergrund liegenden Sandsteinlagerstätten ist in den vergangenen Jahrzehnten mit hydraulischem Druck (Fracking) verstärkt worden, um eine Förderung zu ermöglichen. Ein Verzicht auf den Einsatz der Frac-Technologie hat zur Folge, dass diese volkswirtschaftlich bedeutenden Energiereserven nicht erschlossen werden können.
Angesichts der einleitend dargestellten Bedeutung von Erdgas, der steigenden Importabhängigkeit und der jahrzehntelangen Erfahrungen bei der Förderung von Erdgas aus sehr tiefliegenden Sandsteinlagerstätten hält die Landesregierung eine Nutzung dieser Energieressource aus volkswirtschaftlicher Sicht für sinnvoll wenn die Förderunternehmen strenge Umweltauflagen einhalten.
Im Übrigen wird auf die Vorbemerkungen verwiesen.
2. Unterstützt die Landesregierung den Wunsch des Abgeordneten Tonne nach einem Frackingverbot durch den Bundestag?
Ein pauschales Verbot der Frac-Technologie wird von der Landesregierung, wie der Stellungnahme zu den aktuellen Referentenentwürfen der Bundesregierung zur Neugestaltung des Rechtsrahmens zur Anwendung dieser Technologie (BR-Drs. 143/15 vom 01.04.2015) zu entnehmen ist, nicht gefordert. Der zweckgebundene Einsatz dieser Technologie bei der Erdöl- und Erdgasförderung oder der Geothermiegewinnung führt zu unterschiedlichen Risiken, die unter Berücksichtigung der geologischen und hydrogeologischen Ausgangsbedingungen sowie des prioritären Grund- und Trinkwasserschutzes detailliert zu beurteilen sind.
Vor diesem Hintergrund ist nach Einschätzung der Landesregierung eine Differenzierung zwischen konventionellen und unkonventionellen Kohlenwasserstoffvorkommen vorzunehmen, zumal unterschiedliche Lagerstättentypen, deren Lage und das darauf aufbauende spezifische Frac-Konzept einen großen Einfluss auf die Risikobeurteilung und die damit verbundene Gefährdungsabschätzung bewirken.
Nach Einschätzung der Landesregierung begründen die nach mehr als 320 Frac-Maßnahmen zur Erschließung von konventionellen Förderlagerstätten in Niedersachsen gesammelten Erfahrungen kein Totalverbot der Technologie. Entscheidend hierbei ist, dass derartige Vorhaben erst nach einem transparenten Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung und einer umfassenden Prüfung möglicher Auswirkungen auf die Umwelt erfolgen dürfen.
Hingegen lehnt die Landesregierung die Anwendung der Frac-Technologie in unkonventionellen Lagerstätten (Schiefergas) ab. Ausschlaggebend für diese Entscheidung sind vor allem nicht abschätzbare Risiken.
Im Übrigen wird auf die Vorbemerkungen verwiesen.
3. Welche Möglichkeiten hat ein ehrenamtlicher Bürgermeister, auf die Genehmigungsverfahren Einfluss zu nehmen, um seine Gemeinde „frackingfrei“ zu halten?
Basierend auf den Forderungen Niedersachsens sehen die von der Bundesregierung vorgelegten Entwürfe zur Änderung der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben für Frac-Maßnahmen zur Aufsuchung und Gewinnung von Erdöl und Erdgas die Einführung eines obligatorischen Planfeststellungsverfahrens mit Umweltverträglichkeitsprüfung und Öffentlichkeitsbeteiligung vor.
Im Rahmen dieses förmlichen Verwaltungsverfahrens hat die betroffene Gemeinde, wie bei anderen Planfeststellungsverfahren auch, die Möglichkeit, bestehende Bedenken und Hinweise ins Genehmigungsverfahren einzubringen. Die Planfeststellungsbehörde entscheidet anschließend unter Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens, sodass auch die Stellungnahme der betroffenen Gemeinde entsprechend zu berücksichtigen ist.
Da der Gesetzentwurf im Bundestag noch beraten wird, kann keine abschließende Aussage erfolgen.
Artikel-Informationen
erstellt am:
05.06.2015
zuletzt aktualisiert am:
08.06.2015