Sondererlaubnis für Edeka und Tengelmann: Bleiben Verbraucher, Landwirte, Wettbewerb und Marktwirt-schaft auf der Strecke?
Plenum 19. Februar 2016 - Mündliche Anfragen - Frage 49
Abgeordnete Jörg Bode, Hermann Grupe, Gabriela König, Jan-Christoph Oetjen und Horst Kortlang (FDP)
Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr namens der Landesregierung
Vorbemerkung der Abgeordneten
Die Fusion von Edeka und Kaiser’s Tengelmann beschäftigt seit Monaten Behörden und Politik. Anfang April 2015 hat das Kartellamt die Übernahme von 451 Tengelmann-Supermärkten durch Edeka untersagt. Ende April 2015 beantragten die beiden Lebensmittelhandelskonzerne eine Ministererlaubnis. Im August 2015 kam die Monopolkommission zu dem Schluss, dass die Gemeinwohlvorteile die mit der Fusion einhergehenden Wettbewerbsbeschränkungen nicht aufwiegen. Die Monopolkommission riet Bundeswirtschaftsminister Gabriel davon ab, eine Ministererlaubnis zu erteilen.
Seit Oktober 2015 wird eine Ministererlaubnis erwartet, und im Januar 2016 stellte Bundeswirtschaftsminister Gabriel unter Auflagen eine Ministererlaubnis für die Fusion in Aussicht. Seitdem reißt die Kritik an dieser Vorentscheidung nicht ab, und der Mitbewerber Rewe, der ebenfalls und freiwillig den Erhalt der 16 000 Arbeitsplätze zugesagt hat, kündigt bereits eine Klage gegen eine sich abzeichnende Ministererlaubnis an.
Zu den Kritikern einer Fusion von Edeka und Tengelmann zählen die beiden genannten Behörden, Juristen, Verbraucherschützer, Bauernverbände sowie Wirtschaftsforscher und Wirtschaftsjournalisten.
Hauptkritikpunkte sind eine Verschlechterung des Wettbewerbs (u. a. bei der Preisbildung und im Angebot) bzw. eine Marktkonzentration bei Edeka (u. a. Intensivierung des Verdrängungswettbewerbs im Lebensmitteleinzelhandel), langfristig negative Effekte für die Arbeitsplatzsicherheit bei Edeka aufgrund von Überschneidungseffekten der Supermarktfilialen, Wertschöpfungsverluste in der Landwirtschaft (Erzeugerpreis versus Verbraucherpreis), negative Auswirkungen auf das Kartellrecht sowie eine Schwächung der Verbrauchermacht durch Reduzierung der Einkaufsalternativen vor Ort.
1. Wie beurteilt die Landesregierung die sich abzeichnende Fusion von Edeka und Tengelmann und die damit einhergehende Marktkonzentration im Lebensmitteleinzelhandel insbesondere unter den Gesichtspunkten Wettbewerb, Preisbildung und Marktmacht aus Sicht von Verbrauchern und Herstellern respektive Landwirten?
Die Landesregierung bedauert, dass der Bundeswirtschaftsminister beabsichtigt, eine Ministererlaubnis mit Maßgaben zu erlassen. Schon jetzt ist die Marktmacht der großen Lebensmitteleinzelhändler gegenüber der Ernährungswirtschaft, darunter auch vielen mittelständischen Unternehmen in Niedersachsen, bedenklich. Edeka und auch Rewe sind in den vergangenen Jahren an verschiedenen Zusammenschlüssen als Erwerber beteiligt gewesen.
Eine zusätzliche Ausweitung der Marktführerschaft würde dazu führen, dass zum Nachteil von Mitbewerbern noch bessere Preis- und Lieferkonditionen als bisher ausgehandelt werden können.
Die Landesregierung beobachtet die massiven Konzentrationsbestrebungen im Lebensmitteleinzelhandel mit Sorge..
Insbesondere ist zu befürchten, dass es durch diesen Konzentrationsprozess zu Einbußen beim regionalen und lokalen Handel mit seiner gewachsenen Struktur der ortsnahen Grundversorgung kommen wird, denn neue Filialen des Marktführers entstehen in der Regel in Kommunen mit mehr als 10.000 Einwohnern, in Kommunen mit weniger als 5.000 Einwohnern ist er grundsätzlich nicht vertreten. Von einem möglichen Arbeitsplatzabbau in den Tengelmann-Filialen ist Niedersachsen nicht betroffen.
Die hohe Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel hat auch negative Wirkungen auf die Landwirtschaft, da die Strukturen in der Ernährungswirtschaft und diejenigen im Lebensmitteleinzelhandel gegenüber der Landwirtschaft eine deutlich höhere Konzentration aufweisen. Der hohe Konzentrationsgrad des Lebensmitteleinzelhandels auf der Absatzseite ist mit einer unverhältnismäßig hohen Nachfragemacht auf der Beschaffungsseite, d. h. direkt gegenüber der Ernährungswirtschaft und damit indirekt auch gegenüber der Landwirtschaft verbunden. Der Preisdruck für die Landwirtschaft, der gerade auch aktuell vorliegt, ist sowohl im Hinblick auf die aktuelle Einkommenssituation in den Unternehmen als auch hinsichtlich seiner Auswirkungen auf den Strukturwandel in der Landwirtschaft und die damit einhergehenden negativen Folgen für eine multifunktionale Landwirtschaft und damit auch für die Lebensfähigkeit der ländliche Räume nicht hinzunehmen. Die Verbraucher profitieren hier zwar einerseits von den o. g. Markt- und Wettbewerbsverhältnissen, da hierdurch in Deutschland gegenüber vergleichbaren EU-Ländern relativ niedrige Verbraucherpreise für Lebensmittel vorliegen. Andererseits sehen viele Verbraucher aber die vorgenannten negativen Wirkungen des Preisdrucks sehr kritisch. Auch unter Hinweis auf diese Wirkungen wird eine weitere Konzentration des Lebensmitteleinzelhandels negativ bewertet und ist die von Edeka angestrebte Übernahme von Tengelmann abzulehnen.
2. Hat die Landesregierung beim Bundeswirtschaftsminister in irgendeiner Form in dieser Sache und im Sinne der Landwirte und Verbraucher interveniert, oder beabsichtigt sie, dies in den kommenden Tagen oder Wochen zu tun?
Der Niedersächsische Wirtschaftsminister Lies hat sich in einem Schreiben am 27.07.2015 an den Bundeswirtschaftsminister gewandt und auf die mittelbaren nachteiligen Folgen einer Ministererlaubnis auch für Niedersachsen hingewiesen und gebeten, die Entscheidung des Bundeskartellamtes nicht durch eine Ministerentscheidung zu revidieren. Schon jetzt sei die Marktmacht der großen Lebensmitteleinzelhändler gegenüber der Ernährungswirtschaft, darunter auch vielen mittelständischen Unternehmen in Niedersachsen, bedenklich. Folgen dieses ausgeübten Preisdrucks seien auch in den prekären Arbeitsbedingungen in der niedersächsischen Fleischindustrie zu sehen. Die Landesregierung habe sich zum Ziel gesetzt, für die dort Beschäftigten bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen.
3. Welchen Stellenwert haben ein fairer Wettbewerb in der sozialen Marktwirtschaft sowie eine Stärkung der Verbraucher- und Erzeugermacht gegenüber der Marktmacht einiger riesiger Handelskonzerne bei der Landesregierung?
Die Landesregierung setzt sich für die Sicherstellung einer wohnortnahen und vielfältigen Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln durch ein flächendeckendes Filialnetz, auch im ländlichen Bereich, ein.
Fairer Wettbewerb und faire Arbeitsbedingungen haben für die Landesregierung einen hohen Stellenwert und in jedem Fall Vorrang vor den Wirtschaftsinteressen des Marktführers.
Aus Sicht der Landesregierung ist grundsätzlich ein ausgewogenes Kräfteverhältnis zwischen den Marktbeteiligten eine Grundvoraussetzung für das Funktionieren einer sozialen Marktwirtschaft, sowohl im Hinblick auf die im Wettbewerb stehenden Unternehmen als auch auf die Verbraucher. Das Vorliegen einseitiger, marktbeherrschender Positionen widerspricht diesem Ziel.
Artikel-Informationen
erstellt am:
19.02.2016
Ansprechpartner/in:
Pressesprecher: Christian Haegele und Sabine Schlemmer-Kaune