Wie lassen sich Produktpiraterie in Niedersachsen verhindern und der heimische Mittelstand stärken?
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 10.05.2012 - TOP 22. Antwort von Wirtschaftsminister Jörg Bode auf die mündliche Anfrage des Abgeordneten Ernst-August Hoppenbrock (CDU)
Der Abgeordnete Ernst-August Hoppenbrock (CDU) hatte gefragt:
Mit der Hannover-Messe fand Ende April 2012 eine nicht nur für die Industriebranchen wichtige Veranstaltung statt, die jedes Jahr durch ihre Technikneuheiten weltweite Impulse setzt. Internationale wie nationale Unternehmen haben die Möglichkeit genutzt, sich und ihre Produkte einem breiten Publikum zu präsentieren. Dazu gehörten neben den großen niedersächsischen Unternehmen Volkswagen und Continental auch viele mittelständische Unternehmen aus Niedersachsen.
Das diesjährige Partnerland China hat als Wirtschaftskraft unverkennbares Gewicht. Allerdings geraten u. a. asiatische Hersteller immer wieder in die Schlagzeilen im Hinblick auf Fragen zum Schutz des geistigen Eigentums. Vor illegalem Kopieren von Erfindungen, Ideen und Designs und besonders Produktpiraterie muss die niedersächsische und deutsche Industrie als Ganzes daher nachhaltig geschützt werden.
Ich frage die Landesregierung:
- Wie beurteilt die Landesregierung die Problematik der Produktpiraterie?
- Welche Zahlen und Daten liegen der Landesregierung bezüglich der Produktpiraterie in Niedersachsen bzw. zulasten niedersächsischer Unternehmen vor?
- Welche Initiativen wurden und werden zur Eindämmung der Produktpiraterie seitens der Landesregierung und anderer relevanter Akteure ergriffen?
Die Niedersächsische Landesregierung unterstützt zahlreiche Projekte zur Innovationsförderung, denn Innovationen schaffen Arbeitsplätze und sichern Wettbewerbsvorteile, aber sie wecken auch Begehrlichkeiten bei der Konkurrenz und stiften sowohl Firmen als auch andere Staaten häufig zum „Ideenklau“ an.
Die mit Produktpiraterie einher gehenden Verletzungen von Urheber- und Patentrechten schädigen die Innovationskraft der Wirtschaft, führen zu Steuereinnahmeausfällen und kosten letztlich Arbeitsplätze. Der Schaden, der weltweit durch Produktpiraterie entsteht, wird auf einen dreistelligen Milliardenbetrag geschätzt. Die Anzahl der in Deutschland beschlagnahmten Waren hat sich innerhalb der letzten zehn Jahre annähernd verzehnfacht. Hier schlagen die angestiegenen Beschlagnahmungen im Luftverkehr und im Internethandel massiv zu Buche. Allerdings ging der Gesamtwert der aufgegriffenen Waren im Vergleich zum Vorjahr um 14% von knapp 96 Mio. Euro auf rund 82,6 Mio. Euro zurück. Ausgehend vom Warenwert wird die „Hitliste“ der Schmuggelware von persönlichen Gegenständen wie Uhren, Handtaschen und Sonnenbrillen angeführt.
Nach Schätzungen des Instituts der deutschen Wirtschaft werden in Deutschland rund 70.000 Arbeitsplätze durch Produkt- und Markenpiraterie bedroht oder sogar vernichtet. Allein der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) beziffert in seiner aktuellen Studie „Produktpiraterie 2012“ den Schaden für seine Branche auf 7,9 Mrd. Euro im Jahr, was einen Anstieg um 24% gegenüber 2009 bedeutet.
Seit dem Wegfall der EU-Binnengrenzen zum 01. Januar 1993 konzentrieren sich die Kontrollen auf das Inland. Zuständig sind vorrangig die Zollbehörden des Bundes. Die Niedersächsische Landesregierung sieht ein wichtiges Handlungsfeld vor allem auch in der Prävention. Unternehmen müssen sich systematisch vor Ausspähung schützen. Dazu ist es notwendig, das Gefahrenbewusstsein bei den Unternehmen zu schärfen.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
Niedersächsische Unternehmen verzeichnen mit ihren Spitzentechnologien in der Automobilbranche oder im Bereich der Laser- und Sensortechnik, um nur einige zu nennen, große Erfolge, werden damit aber auch Zielscheibe fremder Nachrichtendienste und von Konkurrenzfirmen. Die größte Bedrohung für deutsche Wirtschaftsunternehmen, Forschungseinrichtungen und Behörden geht nach Aussage des vom Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport veröffentlichten Verfassungsschutzberichts 2011 von „Elektronischen Angriffen“ auf Computersysteme und mobile Kommunikation aus. Der von der KPMG veröffentlichten „e-Crime-Studie 2010“ zufolge war ein Viertel der befragten Unternehmen in den letzten drei Jahren von Internetkriminalität betroffen. Die Systeme der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) sind im Unternehmensalltag selbstverständlich geworden, doch die Sicherheitskonzepte weisen häufig eklatante Lücken auf. Die Auswirkungen von Hackerangriffen reichen neben Imageschäden vom Ausspionieren der Kundendaten und der Betriebsgeheimnisse bis hin zu Erpressung. Es bedarf weiterhin gezielter Aufklärungskampagnen, um die Risiken bewusst zu machen und Abwehrmaßnahmen aufzuzeigen.
Zu 2.:
Ein Einfallstor für gefälschte Waren ist in Niedersachsen neben dem allgemein steigenden Internethandel der Hannover Airport. In Niedersachsen hat der Zoll im vergangenen Jahr zahlreiche Waren wegen des Verdachts der Verletzung von gewerblichen Schutzrechten zunächst vorläufig sichergestellt. Die Liste der begehrten Objekte wird von Kleidung und Bekleidungszubehör angeführt (240 Fälle). Dabei wurde eine Gesamtmenge von 3.254 Einzelteilen mit einem Warenwert in Höhe von rund 140.000 Euro sichergestellt. Grundsätzlich wird der Wert der Original-Markenware zugrunde gelegt. Mit 204 Beschlagnahmungen liegen Sport- und andere Schuhe (insgesamt 16.386 Paare zu einem Wert von über einer halben Million Euro) auf Platz 2, dicht gefolgt von Spielen und Spielzeug einschließlich elektronischer Spielekonsolen, die in 147 Fällen einbehalten wurden (73.736 Teile mit einem Wert von über 120.000 Euro). Ebenfalls hoch im Kurs standen Uhren (85 Fälle, 314 Uhren, Wert: rund 100.000 Euro), Mobiltelefone (60 Fälle, 376 Telefone, Wert über 50.000 Euro) sowie Parfums und Kosmetik (57 Fälle, 165 Teile, Wert ca. 5.000 Euro), um nur die „Highlights“ zu nennen. Weniger häufig, dafür aber wesentlich gefährlicher sind Arzneimittelplagiate (5 Fälle, 332 Präparate) und Fälschungen von Kfz-Zubehör und Bauteilen (26 Fälle, 5.804 Teile, Wert: fast: 60.000 Euro), vor allem wenn zusätzlich Verstöße gegen grundlegende Bestimmungen der Produktsicherheit oder technische Sicherheitsstandards festgestellt werden.
Der Vollständigkeit halber muss erwähnt werden, dass sich nicht bei allen Beschlagnahmungen der Verdacht der Marken- oder Produktpiraterie erhärtet. Erfahrungsgemäß handelt es sich jedoch in der Mehrzahl der Fälle tatsächlich um gefälschte Produkte oder sog. Parallelimporte.
Hier gilt es, das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Gefährdung durch Marken- und Produktpiraterie zu schärfen, denn vielfach wird der Schmuggel gefälschter Waren als Kavaliersdelikt empfunden.
Bei dem Thema Wirtschaftsspionage liegt der Gedanke an die industriellen Fachmessen in Hannover nahe. In diesem Bereich zeichnet sich jedoch in den letzten Jahren eine erfreuliche Entwicklung ab, denn die regelmäßigen Zollbeschauungen verliefen weitgehend unauffällig. Nach Aussagen der Staatsanwaltschaft Hannover ist die ohnehin bereits geringe Anzahl an Patentverletzungsverfahren im Bereich der Messen sogar so weit zurückgegangen, dass die Höhe der in den letzten drei Jahren verursachten Schäden pekuniär kaum messbar ist. Die Staatsanwaltschaft sieht hier einen direkten Zusammenhang zu dem Einsatz der von der chinesischen Regierung entsandten Mediatoren. Diese werden im Rahmen des EU-China-Projekts zum Schutz der geistigen Eigentumsrechte (IPR 2) zur Vermeidung von Patentverletzungsverfahren direkt auf den Messen tätig.
Zu 3.:
Da die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität nur gelingen kann, wenn alle Parteien an einem Strang ziehen, sind das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr ebenso wie das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport und das Niedersächsische Justizministerium in der Lenkungsgruppe der „Sicherheitspartnerschaft gegen Wirtschaftskriminalität in Niedersachsen“ vertreten. Die im Jahr 2000 gegründete Sicherheitspartnerschaft gegen Wirtschaftskriminalität widmet sich Themen wie der Wirtschaftsspionage, IT-Sicherheit sowie Marken- und Produktpiraterie.
Die Prävention von Produktpiraterie ist eine wichtige Aufgabe des Wirtschaftsschutzes des niedersächsischen Verfassungsschutzes. Der Wirtschaftsschutz fungiert als Partner und konkreter Berater der Unternehmen zur Vermeidung von Wirtschaftskriminalität. Dabei stehen insbesondere technologieintensive Unternehmen im Fokus. Wie aus dem aktuellen Verfassungsschutzbericht hervorgeht, konnte der Wirtschaftsschutz in seiner bislang 12-jährigen Tätigkeit im Bereich nachrichtendienstlicher Spionageabwehr mehr als 5.000 Unternehmen mit sicherheitsrelevanten Informationen dienen.
Branchenübergreifend engagieren sich namhafte Unternehmen aus verschiedensten Branchen im „Aktionskreis gegen Produkt- und Markenpiraterie e.V.“ (APM) für den Schutz geistigen Eigentums. Über den Aktionskreis sind Informationen für Unternehmen abrufbar, die Maßnahmen aufzeigen, wie Unternehmen ihr geistiges Eigentum wirksam vor Produkt- und Markenpiraterie schützen können.
Die deutsche Wirtschaft macht darüber hinaus gegen Produkt- und Markenpiraterie mit der branchenübergreifenden Informationsplattform „Original ist genial“ mobil. Das Online-Portal nennt u.a. Beispiele für einschlägige Fälle und nennt Anlaufstellen für Betroffene.
Artikel-Informationen
erstellt am:
11.05.2012