Niedersächsisches Landesvergabegesetz
Rede des Niedersächsischen Wirtschaftsministers Walter Hirche
Sitzung des Niedersächsischen Landtags am 09.04.2008, TOP 12 und 13
- Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Landesvergabegesetzes
Gesetzentwurf der Fraktion der SPD - Einführung eines Mindestlohns in das Landesvergabegesetz
Antrag der Fraktion DIE LINKE
Es gilt das gesprochene Wort!
Beide vorgelegten Anträge zum Landesvergabegesetz gehen ins Leere, denn der Europäische Gerichtshof hat - wie Sie wissen - am Donnerstag letzter Woche entschieden, dass die Tariftreueregelung des niedersächsischen Landesvergabegesetzes nicht mit dem europäischen Recht vereinbar ist. Diese Regelung verstößt gegen den Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs nach Artikel 49 des EG-Vertrages.
Ich möchte ganz kurz nochmals in Erinnerung rufen, worum es im vorliegenden Rechtsstreit geht. Das Land hatte 2003 Bauaufträge beim Bau der Justizvollzugsanstalt Rosdorf vergeben. Vertragsgegenstand war auch die Verpflichtung, dass der Unternehmer seinen Arbeitnehmern tarifgemäße Entgelte zahlt. (Tariftreueerklärung nach dem Landesvergabegesetz). Diese galt auch für eingesetzte Nachunternehmer. Für den Fall eines Verstoßes gegen die Tariftreueerklärung war u.a. eine Vertragstrafe in Höhe von 1% des Auftragswertes für jeden schuldhaften Verstoß bei mehreren Verstößen waren bis zu 10% des Auftragswertes als Vertragstrafe vereinbart worden. Der von dem Auftragnehmer eingesetzte Nachunternehmer verstieß gegen die Tariftreueerklärung, da er seinen Arbeitnehmern Entgelte zahlte, die erheblich unter dem einzuhaltenden Tarif lagen.
Das Land machte eine Vertragsstrafe in Höhe von 10 % des Auftragsvolumens geltend. Das Landgericht Hannover wies die Klage des Landes dazu ab. Das mit der Berufung befasste OLG Celle legte im Vorabentscheidungverfahren nach Artikel 234 des EG-Vertrages dem EuGH die Frage vor, ob die Tariftreueregelung mit dem Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der EU vereinbar sei.
Zu den Ausführungen des EuGH im Wesentlichen:
- Er hat ausdrücklich festgestellt, dass auch das Landesvergabegesetz an den Voraussetzungen der Entsenderichtlinie zu messen ist, obwohl es nicht die Entsendung von Arbeitnehmern regelt.
- Der Lohnsatz des Baugewerbetarifvertrages ist nicht nach den Regeln der europäischen "Entsenderichtlinie" festgelegt worden. Die Entsenderichtlinie gilt für alle Arbeitnehmer, die im Rahmen eines Dienstleistungsauftrages in einem anderen Land der Europäischen Union arbeiten. Sie garantiert, dass bestimmte Mindestarbeitsbedingungen (wie z.B. Arbeitszeit, Mindestentlohnung und Urlaubsansprüche) des Gastlandes, in dem der Auftrag ausgeführt wird, für alle entsendeten Arbeitnehmer gelten. Diese Mindestarbeitsbedingungen können durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften und/oder durch für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge festgelegt werden. Dies ist aber im vorliegenden Fall nicht geschehen. Der Baugewerbetarifvertrag ist nicht für allgemein verbindlich erklärt worden. Die Tariftreueerklärung musste nur bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zugrunde gelegt werden. Sie erfasste aber nicht private Aufträge. Daraus folgt also: Der Tarif ist nicht allgemeinverbindlich und kann deshalb auch nicht als Mindestbedingung im Sinne der Entsende-Richtlinie angesehen werden.
- Es ist den Mitgliedsstaaten verwehrt, grenzüberschreitende Dienstleistungen von Bedingungen abhängig zu machen, die über den Mindestschutz der Entsenderichtlinie hinausgehen. Weitergehende Bedingungen unterbinden oder behindern den freien Dienstleistungsverkehr und sind auch nicht durch das Ziel des Arbeitnehmerschutzes gerechtfertigt. Der EuGH betont, es sei nicht nachvollziehbar, warum nur Arbeitnehmer bei öffentlichen Aufträgen, nicht aber Arbeitnehmer bei privaten Aufträgen den Schutz des Lohnsatzes des Baugewerbetarifvertrages bedürfen. Im Übrigen sieht der EuGH auch keine Gefährdung der Leistungsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme in Deutschland, wenn der Lohnsatz des Baugewerbetarifs nicht zugrunde gelegt wird.
Soweit zu dem Urteil des EuGH. Für die Praxis der öffentlichen Vergaben in Niedersachsen bedeutet dies, dass ab sofort die Tariftreueerklärung des Landesvergabegesetzes bei öffentlichen Aufträgen nicht mehr gefordert werden darf.
Zusammen mit dem Finanz- und dem Innenminister habe ich bis zur Aufhebung der beanstandeten Regelungen im Landesvergabegesetz vorläufig klarstellende Empfehlungen für die öffentlichen Vergabestellen in Niedersachsen herausgegeben:
- Bei allen neuen Bauvergabeverfahren ist auf die Tariftreueerklärung zu verzichten.
- Bei Vergabeverfahren, die zum Zeitpunkt der EuGH-Entscheidung noch nicht abgeschlossen waren, sind – abhängig vom jeweiligen Verfahrensstand - angemessene Lösungen zu finden, die dem jeweiligen Verfahrensstand entsprechen.
Wir werden sorgfältig zusammen mit dem Finanzministerium und dem Innenministerium prüfen, wie mit den europarechtskonformen Regelungen im Landesvergabegesetz (z.B. Wertung unangemessen niedriger Angebote, durch die Bieter beizubringende Unterlagen) zu verfahren ist.
Aus meiner Sicht bietet sich an, das Gesetz aufzuheben und die nicht beanstandeten Regelungen in andere geeignete Vorschriften aufzunehmen.
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Artikel-Informationen
erstellt am:
10.04.2008
zuletzt aktualisiert am:
19.03.2010