Zukunftsmodell Ökoliner
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 18.09.2008 - TOP 32
Antwort von Verkehrsminister Walter Hirche auf die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Gabriela König und Jörg Bode (FDP)
Es gilt das gesprochene Wort!
Die Abgeordneten hatten gefragt:
Bereits in der Bilanz zum Pilotprojekt Gigaliner stellte das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr fest, dass Gigaliner einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung des zunehmenden Güterverkehrs und zum Klimaschutz leisten können und daher richtigerweise Ökoliner genannt werden müssten. Mehr als ein Jahr nach dieser Feststellung wird diese Ansicht immer häufiger bestätigt.
So betont beispielsweise eine schwedische Studie die ökologischen Vorteile der Ökoliner. Den Ergebnissen dieser Studie zufolge verringert sich die Zahl der Fahrten durch den Einsatz solcher Fahrzeuge um bis zu 38 %. Die Studie zeigt also, dass die Ökoliner zu einer Effizienzsteigerung im Straßengüterverkehr führen - zwei Ökoliner ersetzen drei herkömmliche Lkw. Aufgrund der verringerten Fahrtenzahl soll es außerdem zu einer Senkung des Treibstoffverbrauch um bis zu 23 % kommen. Gleichzeitig sollen die Betriebskosten um bis zu 26 % sinken.
Wir fragen die Landesregierung:
- Decken sich diese positiven Fakten zum Ökoliner mit der Beurteilung durch die Landesregierung, oder wurden seit der Erstellung der Bilanz zum Pilotprojekt entgegenstehende Erkenntnisse gewonnen?
- Wie ist der aktuelle Stand in der EU-Kommission (EU-Studie)?
- In welcher Form und unter welchen Bedingungen hält die Landesregierung den Einsatz von Ökolinern für empfehlenswert?
Verkehrsminister Walter Hirche beantwortete namens der Landesregierung die Mündliche Anfrage wie folgt:
Anrede,
Die Europäische Union rechnet bis zum Jahr 2030 mit einem Anstieg des Güterverkehrs um ca. 75 Prozent. Gerade vor diesem Hintergrund müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, eine möglichst klimaverträgliche und verkehrssichere Bewältigung dieser Verkehre zu erreichen.
Es besteht Handlungsdruck bei allen Verkehrsträgern. Schiene und Wasserstraße werden einen großen Teil der prognostizierten Steigerungen des Güterverkehrs tragen müssen. Aber es ist bekanntermaßen fraglich, ob diese dazu in der Lage sind. Nach heutigen Maßstäben operiert der Schienengüterverkehr auf den Hauptstrecken bereits an der Kapazitätsgrenze oder hat diese teilweise schon erheblich überschritten.
Auch die heutige Auslastung der Autobahnen auf den Hauptachsen zeigt an, dass der Straßengüterverkehr diese Zuwächse in seiner heutigen Form nicht wird bewältigen können.
Eine Säule der niedersächsischen Verkehrspolitik ist daher die Vernetzung der Verkehrsträger Straße, Schiene und Binnenwasserstraße. Für eine zukunftsorientierte Güterverkehrsabwicklung sind integrierte Transportketten erforderlich. Deshalb ist die weitere Entwicklung des Kombinierten Verkehrs einer der verkehrspolitischen Schwerpunkte. Dieses wird aber nur dann zum Erfolg führen, wenn flankierend im Staßengüterverkehr die Ressourcen optimiert eingesetzt werden. Der Ökoliner ermöglicht zum einen speziell auch in der Kombination mit den anderen Verkehrsträgern (sog. Vor- und Nachlauffahrten) eine wirtschaftlichere und umweltverträglichere Transportkette. Zum anderen zeigen die Praxiserfahrungen auch in anderen europäischen Ländern, dass mit dem ergänzenden Einsatz von Ökolinern ein umweltverträglicheres und wirtschaftlicheres Konzept existiert.
In Schweden, Finnland und den Niederlanden sind die Ökoliner/EuroCombis eingeführt. Dänemark bereitet eine Praxiserprobung vor. Weitere europäische Länder stellen aktuell Überlegungen für entsprechende Feldversuche an.
In den Ländern Baden-Würtemberg und Bayern sind die laufenden Versuche noch nicht beendet. Das Land Thüringen startete zum 1. Februar einen eigenen landesinternen Feldversuch. Auch in Mecklenburg Vorpommern wurde gerade ein neuer Pilotversuch begonnen. Dieser soll die Flughafenhinterlandanbindung des neuen Luftfrachtdrehkreuzes Parchim unterstützen.
Als Ergebnis der Pilotversuche in Niedersachsen und Nordrhein-Westfahlen bleibt festzuhalten:
Erstens: Ökoliner/EuroCombi sind heute in der Lage die gesetzlichen Anforderung für das Befahren von Kreisverkehren/Einmündungen zu 100 % zu erfüllen.
Zweitens: Es wurden Programme zur Fahrerqualifikation entwickelt, die sich sehr stark an den Bedingungen für den Schwerlastverkehr/Gefahrgut und ÖPNV orientieren und auch für normale LKW genutzt werden können
Drittens: Die Nutzfahrzeugindustrie hat Komponenten für aktive und passive Sicherheit entwickelt, die auch für normale LKW genutzt werden können, wie z. B. Kamerasysteme, Stoßdämpfer, die ladungsabhängig reagieren, verbesserte Bremssysteme, Fahrerassistenzsystem etc.
Viertens: Die Nutzer haben freiwillig die erheblich strengeren Auflagen für technische Prüfung der Fahrzeuge im ÖPNV und Schwerlastverkehr und Fahrerqualifikation übernommen.
Fünftens: Verkehrsbeeinträchtigende Situationen sind während der Versuchsabläufe nicht eingetreten.
Diese Fahrzeugkombinationen verfügen im Vergleich zu herkömmlichen LKW über ein um 50% vergrößertes Ladevolumen bei nur geringfügig erhöhtem Kraftstoffverbrauch (ca. 10-15%). Das bedeutet, dass zwei Ökoliner im Idealfall drei herkömmliche LKW ersetzen können. Im niedersächsischen Modellversuch (Begrenzung des Gesamtgewichts auf 40t) konnte der Kraftstoffverbrauch sowie der CO2-Ausstoß um ca. 30% je transportierten Kubikmeter reduziert werden.
Dieses vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
Die überwiegende Anzahl der bisher im In- und Ausland durchgeführten Untersuchungen bestätigen unter ökonomischen, ökologischen sowie sicherheitstechnischen Betrachtungen die von der Landesregierung durch das Pilotprojekt gewonnenen Erkenntnisse.
Untersuchungen mit anderslautenden Erkenntnissen agieren teils mit Annahmen wie z. B. 60 to Gesamtgewicht (Ansatz Niedersachsens 40 to), woraus sich durchaus ein höheres Gefährdungspotential ableiten lässt. Ebenso ist rein rechnerisch der Transport von Gütern zwischen zwei Punkten mit einem ausgelasteten Güterzug in der ökologischen Bilanz vorteilhafter, jedoch in vielen Fällen nicht möglich. Hinzu kommen die notwendigen Zu- und Ablieferungsverkehre.
Zu 2.:
Die EU Kommission hat eine Studie ausgeschrieben, in welcher die Erfahrungen mit diesen Fahrzeugarten untersucht werden. Diese Studie soll ferner die Möglichkeiten eines evtl. Einsatzes in Europa beleuchten sowie Vorschläge dafür nötiger Rechtsänderungen enthalten.
Die Studie wird von vier unabhängigen Instituten aus vier Mitgliedsstaaten der EU erstellt und soll zum Jahresende 2008 vorliegen.Niedersachsen hat die Erkenntnisse des niedersächsischen Pilotprojekts, in die gesamteuropäischen Überlegungen eingebracht und diese den ausführenden Instituten zur Verfügung gestellt.
Die im Juli 2008 in Brüssel vorgestellten vorläufigen Ergebnisse, bestätigen die niedersächsischen Erkenntnisse. Die Studie geht von einem positiven Effekt für Europa aus, wenn diese Fahrzeuge zugelassen würden. Ferner würden sich erhebliche Einsparungen bei der infrastukturellen Erneuerung ergeben, da diese Fahrzeuge durch ihre höhere Anzahl von Achsen die Straßenbeläge geringer verschleißen. Im Falle der Zulassung höherer Gesamtgewichte werden von den Autoren der Studie infrastrukturelle Investitionen für notwendig erachtet.
Im Ergebnis wird eine schrittweise Einführung des Ökoliners/ EuroCombis empfohlen, wobei der Einsatz der Ökoliner allerdings auf bestimmte Strecken und Tageszeiten beschränkt werden sollte. Zur Erhöhung der Verkehrssicherheit gelte es zudem, höhere technische Anforderungen für die Fahrzeuge und eine spezielle Ausbildung für die Fahrer verbindlich vorzuschreiben.
Inhaltlich kann sich die Landesregierung durch die vorläufigen Ergebnisse der EU-Studie bestätigt fühlen.
Zu 3.:
Unabhängig von der Nutzung und Entwicklung der übrigen Verkehrsträger, wie Schiene und Wasserstraße, wird ein Großteil des künftigen Güterverkehrs mittelfristig auf der Straße abgewickelt werden müssen.
Somit erscheint der Einsatz dieser Fahrzeugkategorie u. a. ideal, um Lücken bzw. Engpässe bei anderen Verkehrsträgern auszugleichen. Beispielhaft zu benennen sei z. B. der sich permanent verschärfende "Flaschenhalseffekt" bei den Seehäfen. Hier wird seitens der verladenden Wirtschaft bemängelt, dass die angelieferten Güter nicht in den notwendigen Zeitfenstern aus den Häfen verbracht werden können.
Das modulare Konzept erlaubt die flexible Anpassung der Fahrzeuge an die zur Verfügung stehende Infrastruktur. In Innenstädten machen 25,25 Meter lange Fahrzeug-Kombinationen keinen Sinn. Ihre Stärke liegt in der Langstrecke auf der Autobahn und im Nahverkehr zwischen Gewerbezentren und Hafengebieten.
Auf der längeren Strecke können die spritsparenden Großraum-Lkw eingesetzt werden, während für die Verteilung vor Ort kleinere Einheiten zum Einsatz kommen. In Gewerbe- und Hafengebieten kann mehr Ladung auf weniger Lkw umgesetzt und so die schon heute sehr hohe Lkw-Dichte reduziert werden.
Weiterhin wären viele LKW-Relationen geeignet, zu denen keine Alternative für den Transport auf Schiene oder Wasserstrasse vorhanden ist, soweit die verkehrlichen Randbedingungen dies ermöglichen.
Weitere Potentiale könnten sich in Verbindung mit dem Kombinierten Verkehr KV (Straße/Schiene) ergeben.
Frühere Untersuchungen der Bundesregierung ergaben, dass es in der An-/Ablieferung zur Bahnverladung, im sogen. Straßenvor- und Nachlauf, erhebliche Effizienzpotentiale gibt. Der Straßenanteil nimmt durchschnittlich nur etwa 10 Prozent der Fahrtstrecke ein, verursacht jedoch ca. 50 Prozent der Kosten. Ein Einsatz längerer Fahrzeuge im Vor- und Nachlauf des Kombinierten Verkehrs, welche z. B. drei Container statt bisher zwei zuführen können, würden neben den ökologischen Vorteilen zu einer erheblichen Erhöhung der Wirtschaftlichkeit, somit einer größeren Akzeptanz der Bahnverladung, beitragen.
Vor diesem Hintergrund war und ist es erklärtes Ziel der Landesregierung, durch einen deutschlandweiten Feldversuch, die für eine Einführung dieser Fahrzeuge notwendigen Randbedingungen, in einer umfassenderen Betrachtung definieren zu können.
Artikel-Informationen
erstellt am:
18.09.2008
zuletzt aktualisiert am:
19.03.2010