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Insolvenzrecht

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 20.02.2009 - TOP 29


Die Abgeordneten Ursula Helmhold und Enno Hagenah (GRÜNE) hatten gefragt:

Immer wieder berichten Medien über Insolvenzverwalter, die erfolgreich ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter insolventer Unternehmen auf Rückzahlung ihrer Löhne und Gehälter verklagen. Das ARD-Magazin FAKT spricht von einem "flächendeckenden Problem". Zuletzt strahlte Report München am 26. Januar 2009 einen Beitrag aus, der sich mit den ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der zahlungsunfähigen Firma Maintaldruck in Oberfranken beschäftigte. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hatten monatelang loyal mit Urlaubs- und Teilgehaltsverzicht sowie Überstunden für ihren angeschlagenen Betrieb in der Hoffnung gekämpft, dessen Fortbestand zu sichern. Jetzt fordert der Insolvenzverwalter bis zu 12 500 Euro von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zurück und beruft sich dabei auf geltendes Recht: Laut § 130 Insolvenzordnung (InsO) können Zahlungen, die bis zu drei Monate vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind, anfechtbar sein. Löhne und Gehälter können danach zum Schuldnervermögen gehören. Zugleich soll es einer Arbeitnehmerin/einem Arbeitnehmer eines Unternehmens mit Zahlungsschwierigkeiten verwehrt sein, zu kündigen und im Anschluss Arbeitslosengeld I zu erhalten. Laut den ehemaligen Mitarbeitern von Maintaldruck hätte die zuständige Arbeitsagentur im Falle einer Kündigung eine dreimonatige Auszahlungssperre verhängt. Als Begründung soll die Arbeitsagentur angegeben haben, dass der Betrieb Maintaldruck fortbesteht, so lange das Insolvenzverfahren noch nicht beantragt ist. Damit sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter faktisch dem Risiko ausgesetzt, bis zu einem Vierteljahr kein Geld zu erhalten und gegebenenfalls eine Privatinsolvenz beantragen zu müssen. Auch das Insolvenzgeld (§ 183 Drittes Buch Sozialgesetzbuch) bietet in den bekannten Fällen keinen ausreichenden Schutz: Ausschließlich die Monatsgehälter in den drei Monaten vor dem Insolvenzantrag werden erstattet, nicht jedoch ausstehende Löhne, die sich auf die Zeit davor beziehen. Bislang haben Initiativen im Bundestag (Petition 4-16-07-311-009819 und Kleine Anfrage Drs. 16/6297) nicht dazu geführt, das Einkommen von Arbeitnehmern durchgehend zu schützen. Das Bundesjustizministerium sieht keinen Handlungsgrund, spricht in seiner Antwort (Drs. 16/6488) von Einzelfällen und möchte "die weitere Entwicklung in diesem Bereich" lediglich beobachten.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Welche Fälle von Rückzahlungsforderungen an ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter insolventer Firmen sind der Landesregierung speziell in Niedersachsen bekannt?

2. Wie beurteilt die Landesregierung den Umstand, dass laut Insolvenzordnung das unternehmerische Risiko auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übertragen werden kann und damit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unverschuldet trotz Insolvenzgeldes unzureichend geschützt und ohne Einflussmöglichkeit das Missmanagement ihrer Arbeitgeber mitzutragen haben?

3. In welcher Weise bringt sich die Landesregierung im Bund ein, um das Einkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durchgehend zu sichern - z. B. über eine Ausdehnung des Insolvenzgeldes, eine Änderung der InsO oder aber durch eine Aufhebung der ALG-I-Sperre bei Beschäftigten von Unternehmen mit Zahlungsschwierigkeiten?

Wirtschaftsminister Dr. Philipp Rösler beantwortete namens der Landesregierung wie folgt:

Im Jahr 2008 ist die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Niedersachsen nach vorläufiger Schätzung mit rund 2.400 auf den niedrigsten Stand seit 2001 gesunken. In diesem Zusammenhang wurden bei den niedersächsischen Arbeitsagenturen insgesamt rund 14.500 Anträge auf Insolvenzgeld gestellt.

Nach § 183 SGB III haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld. Dieses wird für Arbeitsentgelt gezahlt, das für die letzten drei Monate vor dem Insolvenzereignis (nicht dem Insolvenzantrag, wie es in der Anfrage heißt) vom Arbeitgeber nicht geleistet wurde.

Geleistete Lohnzahlungen innerhalb der letzen 3 Monate vor Beantragung des Insolvenzverfahrens sind grundsätzlich ebenfalls geschützt. Ansprüche von Insolvenzverwaltern auf Rückzahlungen können sich nur auf solches Arbeitsentgelt beziehen, das in den letzten 3 Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Arbeitgeber gezahlt worden ist, sich aber auf Arbeitsleistungen bezieht, die vor der 3-Monatsfrist erbracht worden sind – wenn es sich also um ehemals gestundetes Arbeitsentgelt handelt. Dies folgt unmittelbar aus der wichtigen insolvenzrechtlichen Grundidee der Gläubigergleichbehandlung und kommt bundesweit nur in Einzelfällen vor.

Es besteht aber keinesfalls ein Zwang des Insolvenzverwalters zur Anfechtung und Rückforderung. Die Anfechtung steht vielmehr nach § 129 Insolvenzordnung im pflichtgemäß auszuübenden Ermessen des Insolvenzverwalters.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von insolvenzbedrohten Unternehmen sind durch das deutsche Recht mehrfach geschützt: Pünktliche Zahlungen des Arbeitsentgelts können durch den Insolvenzverwalter grundsätzlich nicht mehr angefochten werden. Diese sind als sogenannte Bargeschäfte gemäß § 142 Insolvenzordnung abgesichert. Nach einem Insolvenzereignis werden Arbeitsentgeltansprüche zu Masseverbindlichkeiten und gehören damit zumindest zu den privilegierten Forderungen. Schließlich lindern das Insolvenzgeld sowie das Arbeitslosengeld I die Not der von einer Unternehmensinsolvenz betroffenen Menschen: Etwa mit der sog. Gleichwohlgewährung nach § 143 Abs. 3 SGB III erhalten die Betroffenen das Arbeitslosengeld I entgegen der sonst bei bestehenden Ansprü-chen auf Arbeitsentgelt eingreifenden Ruhensvorschrift.

Dieses vorausgeschickt, werden die Fragen namens der Landesregierung wie folgt beantwortet:

Zu 1:
Der Landesregierung liegen insoweit keine Erkenntnisse vor.

Zu 2:
Die Landesregierung teilt nicht die Einschätzung der Fragesteller, dass aufgrund der bestehenden Rechtslage und Rechtsprechung das unternehmerische Risiko auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übertragen werden kann. Die Landesregierung begrüßt grundsätzlich die Bereitschaft von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durch flexible Lösungen zur Stabilisierung ihres Unternehmens beizutragen. Diese sollte jedoch angesichts der bestehenden Rechtslage und Rechtsprechung unter Beachtung der jeweiligen Unternehmenssituation einen angemessenen Umfang wahren.

Zu 3:
Die im Jahr 1999 in Kraft getretene Insolvenzordnung und die gesetzlichen Regelungen zum Insolvenzgeld haben sich aus Sicht der Landesregierung insgesamt bewährt. Die Landesregierung sieht aktuell keinen Handlungsbedarf, um die bestehenden Regelungen zum Insolvenzgeld, der Insolvenzordnung oder die Regelungen zu Sperrfristen für den Bezug von Arbeitslosengeld I zu ändern. Sie begrüßt jedoch die Ankündigung der Bundesregierung, die weitere Entwicklung in diesem Bereich aufmerksam zu beobachten.

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Artikel-Informationen

erstellt am:
20.02.2009
zuletzt aktualisiert am:
19.03.2010

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