Arbeitsmarktsituation in Niedersachsen: Welche Schlussfolgerungen zieht die Landesregierung aus den aktuellen Zahlen vor dem Hintergrund des zunehmenden Fachkräftebedarfs?
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 22.01.2015 - TOP 26.
Antwort von Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr Olaf Lies auf die mündliche Anfrage des Abgeordneten Gerd Ludwig Will (SPD).
Der Abgeordnete Gerd Ludwig Will (SPD) hat gefragt:
Arbeitsmarktsituation in Niedersachsen: Welche Schlussfolgerungen zieht die Landesregierung aus den aktuellen Zahlen vor dem Hintergrund des zunehmenden Fachkräftebedarfs?
Vor wenigen Tagen ließ die Bundesagentur für Arbeit verlauten, dass sich der Arbeitsmarkt trotz geringer wirtschaftlicher Impulse positiv entwickelt habe. Erwerbstätigkeit und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung haben 2014 weiter zugenommen. Nach vorläufigen Angaben des Statistischen Bundesamtes hat die Erwerbstätigkeit 2014 einen neuen Höchststand erreicht. Im Jahr 2014 wird zusammen mit 2012 der niedrigste Stand der Arbeitslosigkeit nach 1991 erreicht.
Auch der regionale Blick auf Niedersachsen ergibt ein positives Bild. Die Zahl der Arbeitslosen in Niedersachsen ist im Vergleich zum Vorjahresmonat um 3,7 Prozent, die Arbeitslosenquote ist von 6,5 Prozent auf 6,2 Prozent gesunken. Die gute Versorgung niedersächsischer Unternehmen mit ausreichend Fachkräften wird für die Standortsicherung immer wichtiger.
Die Zahl der offenen Stellen bewegt sich niedersachsenweit bei 48 785, wobei insbesondere Fachkräfte in den Bereichen Produktion, Gesundheit/Soziales, Verkehr und Handel gesucht werden.
Gleichzeitig verändert der demografische Wandel den Arbeitsmarkt. Nach den Prognosen des statistischen Bundesamtes wird die Zahl der Einwohner im Erwerbsalter bis zum Jahr 2050 deutlich sinken. Die Erwartungen für das Absinken liegen zwischen 22 und 29 Prozent. Die Fachkräftesicherung ist demnach eine der wichtigsten Herausforderungen für die nächsten Jahre.
Der niedersächsische Wirtschaftsminister erklärte am 12. Januar 2015 (Neue Osnabrücker Zeitung, 13. Januar 2015), dass Niedersachsen die Wirtschaftskraft und den Wohlstand ohne eine Zuwanderung nicht halten könne.
Neben Unterbringung und Sprachunterricht wird die Integration von gut ausgebildeten Migrantinnen und Migranten in den Arbeitsmarkt als wesentliche Voraussetzung für die niedersächsische Wirtschaft angesehen.
Ich frage die Landesregierung:
1. Was unternimmt sie, um die vorhandenen Arbeitskräftepotenziale im Land weiter auszuschöpfen, und welche Bedeutung misst die Landesregierung der Zuwanderung aus dem Ausland für die Fachkräftesicherung bei?
2. Was unternimmt die Niedersächsische Landesregierung konkret, um Migrantinnen und Migranten beim neuerdings schnelleren und einfacheren Zugang in den deutschen Arbeitsmarkt beruflich zu integrieren?
3. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung darüber hinaus, um gemeinsam mit der Agentur für Arbeit, den Jobcentern, den Kammern, Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften und Unternehmen den Ausgleich von Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt zu unterstützen und gemeinsam zur Fachkräftesicherung für die Wirtschaft beizutragen?
Der Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr Olaf Lies beantwortete die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Rede von Minister Lies im Plenum:
Die Lage auf dem niedersächsischen Arbeitsmarkt hat sich im zurückliegenden Jahr weiterhin positiv entwickelt. Ende 2014 sind in unserem Land rund 3,9 Millionen Menschen erwerbstätig, fast 2,8 Millionen von ihnen gehen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Das ist ein neues Rekordhoch. Mit 6,2 Prozent liegt die aktuelle Arbeitslosenquote auf dem historisch niedrigsten Stand in einem Dezember seit der Wiedervereinigung. In 12 Landkreisen liegt die Arbeitslosenquote unter 5 Prozent, in 4 Landkreisen sogar unter 4 Prozent, so dass hier nahezu von Vollbeschäftigung gesprochen werden kann.
Die Arbeitsmarktperspektiven sind für das vor uns liegende Jahr weiterhin positiv. Das IAB prognostiziert für Nieder-sachsen im Jahr 2015 eine Stagnation bzw. leichten Rückgang der Arbeitslosen sowie eine weitere Steigerung der Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um 1,7 Prozent. Die positive Lage auf dem Arbeitsmarkt führt vereinzelt jetzt schon zu Fachkräfteengpässen. Die Nieder-sächsische Landesregierung nimmt diese Entwicklung ernst und hat geeignete Maßnahmen ergriffen.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:
1.
Die Ausschöpfung aller Potenziale zur Fachkräftesicherung steht bei der „Fachkräfteinitiative Niedersachsen“ im Vordergrund. Gemeinsam mit Unternehmerverbänden, Kammern und weiteren Arbeitsmarktpartnern setzen wir uns für eine Verbesserung der Beschäftigungsmöglichkeiten von Gruppen ein, für die bisher noch zu viele Benachteiligungen bestehen, die in den Betrieben aber immer dringender als Fachkräfte gebraucht werden. Dazu gehört insbesondere eine stärkere Erwerbsbeteiligung von Frauen, von arbeits-losen Personen, von älteren Beschäftigten und von hier lebenden Migrantinnen und Migranten.
Seit dem Start der Fachkräfteinitiative Niedersachsen am 08.07.2104 sind bereits zahlreiche Maßnahmen angelaufen bzw. umgesetzt worden. So konzipiert die Landesregierung derzeit mit den Industrie- und Handelskammern Veranstaltungen, die geeignet sind, Unternehmen für die Bedeutung des Themas Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu sensibilisieren und zu gewinnen.
Ferner beabsichtigt die Landesregierung in der neuen ESF-Förderperiode 2014 bis 2020 Qualifizierungsmaßnahmen für erwerbssuchende und beschäftigte Frauen sowie für Frauen und Männer im Zusammenhang mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern. Des Weiteren werden Koordinierungsstellen gefördert, die regionale Unternehmen bei der Verbesserung des Angebotes für beschäftigte Frau-en, für mehr Familienfreundlichkeit und für mehr Chancen-gleichheit besonders in männerdominierten Branchen und auf Führungsebenen unterstützen.
Zur Ausschöpfung der Potenziale insbesondere von Älteren haben sich die Landesregierung und ihre Partner zum Ziel gesetzt, bei den Unternehmen in Niedersachsen ein stärkeres Bewusstsein für die Notwendigkeit einer demografiebewussten Personalpolitik zu schaffen. Mit dem Zertifikat „Demografiefest. Sozialpartnerschaftlicher Betrieb“ und dem WOM-Sonderschwerpunkt „Betriebliche Fachkräftesicherung – gesundes und produktives Arbeiten und Altern im Betrieb“ sind bereits erste Maßnahmen angelaufen. Dar-über hinaus wird die Niedersächsische Landesregierung im Juni 2015 gemeinsam mit der Demografieagentur für die niedersächsische Wirtschaft erstmals Unternehmen mit dem Zertifikat „Demografiefest. Sozialpartnerschaftlicher Betrieb“ auszeichnen.
Unser Ziel ist es auch, die Integration von arbeitslosen Personen in den Arbeitsmarkt durch Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsmarktfähigkeit und durch Qualifizierung zu fördern. Hierzu hat die Landesregierung für die neue ESF-Förderperiode 2014 bis 2020 das Programm zur Förderung von Maßnahmen zur Qualifizierung und Arbeitsmarktintegration für Arbeitslose und erwerbsfähige Leistungsberechtigte vorbereitet.
Die Nutzung und Förderung inländischer Potenziale hat sicherlich Vorrang in der Fachkräftesicherung, wird aber mit Blick auf die Folgen des demografischen Wandels nicht ausreichen. Denn der größte und wichtigste Hebel, um das Erwerbspersonenpotenzial zu stabilisieren, ist die Zuwanderung. Ohne Zuwanderung aus dem Ausland würden uns die negativen Auswirkungen einer schrumpfenden Bevölkerung noch viel schneller und härter treffen.
2.
Zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Migrantinnen und Migranten bereitet die Landesregierung derzeit die Novellierung des Niedersächsischen Berufsqualifikationsfeststellungsgesetzes (NBQFG) vor, um eine unabhängige Anerkennungsberatung und ein Angebot für Qualifizierungen vorzubereiten. Ferner läuft noch bis März 2015 ein Modellprojekt zur stärkeren Verankerung einer Anerkennungs- und Willkommenskultur sowie Serviceorientierung bei den kommunalen Ausländerbehörden. Auf Initiative der Landes-regierung wird auch das ESF-BAMF-Programm zur berufs-bezogenen Sprachförderung flächendeckend in Kooperation mit der Niedersächsischen Ärztekammer für ausländische Ärztinnen und Ärzte in Kliniken eingesetzt.
Die Niedersächsische Landesregierung hat darüber hinaus die gesetzlichen Änderungen zur Beschleunigung des grundsätzlichen Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und Geduldete nach Ablauf von drei Monaten aktiv unterstützt. Gleichwohl sieht die Landesregierung, dass sich allein mit der Änderung der Rechtslage allein keine berufliche und gesellschaftliche Integration bewerkstelligen lässt.
Die Niedersächsische Landesregierung begrüßt, dass das seit 2014 an sechs Modellstandorten laufende Pilotprojekt „Early Intervention“ der Bundesagentur für Arbeit und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, voraussichtlich ab April 2015 auch an einem Standort in Niedersachsen umgesetzt wird. Zielsetzung dieses Projektes ist die frühzeitige Arbeitsmarktintegration von Asylbewerbern mit einer hohen Bleiberechtsperspektive.
Allerdings ist die Niedersächsische Landesregierung der Meinung, dass eine flächendeckende Kompetenzerhebung (Profiling) aller Asylbewerber stattfinden muss. Daher habe ich vorschlagen, dieses schon in den niedersächsischen Erstaufnahmelagern zu ermöglichen - und damit sehr zeit-nah nach Ankunft der Flüchtlinge in Deutschland bevor sie auf die Landkreise und Kommunen verteilt werden. Wir beabsichtigen, hierzu ein gemeinsames Projekt mit der Bundesagentur für Arbeit zu initiieren und mit 500.000 Euro aus Landesmitteln zu fördern.
3.
Die Landesregierung hat in der Fachkräfteinitiative Nieder-sachsen gemeinsam mit ihren Partnern eine Vielzahl an weiteren Möglichkeiten identifiziert, die den Ausgleich von Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt unterstützen und zur Fachkräftesicherung für die Wirtschaft beitragen.
Als eine zentrale Möglichkeit zur Fachkräftesicherung wird die Stärkung des Systems der dualen Berufsausbildung gesehen. Ziel des von der Landesregierung initiierten „Bündnis Duale Berufsausbildung“ ist es, die Attraktivität der dualen Berufsausbildung zu steigern und Jugendliche ohne Ausbildungsplatz schneller in eine betriebliche Ausbildung zu bringen.
Ferner ist die Verfügbarkeit von qualifizierten Fachkräften im Kontext der Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) ist für viele Branchen der niedersächsischen Wirtschaft ein wesentlicher Faktor für den Erhalt ihrer Innovations-, Leistungs- und Wettbewerbs-fähigkeit. Wichtiges Ziel der Fachkräftesicherung ist die stärkere MINT-Orientierung entlang der gesamten Bildungskette, von der frühkindlichen, über die schulische, berufliche und akademische Bildung bis hin zur beruflichen Weiterbildung zu verankern.
Daher arbeitet die Landesregierung derzeit auch an einer Erweiterung der Struktur des Niedersachsen-Technikums. Dieses hat sich als Instrument zur Gewinnung von jungen Frauen für den MINT-Bereich bereits im dritten Jahr bewährt und ist mit einer Erfolgsquote von über 90 Prozent sehr erfolgreich.
Für die Landesregierung ist die Fachkräftesicherung aber auch eine Aufgabe, die maßgeblich in den Regionen von den dortigen Akteuren und Arbeitsmarktpartnern organisiert werden muss. Nur durch regionale Initiativen kann den teil-weise erheblichen regionalen Unterschieden insbesondere in Bezug auf die Höhe der Arbeitslosigkeit, die Höhe der Erwerbsbeteiligung, das regional verfügbare Fachkräftepotenzial sowie hinsichtlich der Bildungsstruktur der Erwerbs-personen Rechnung getragen werden. Deshalb beabsichtigt die Landesregierung in der neuen ESF-Förderperiode regionale Fachkräftebündnisse zu unterstützen und Projekte zur Deckung des berufs- und branchenbezogenen Fachkräftebedarfs in den Regionen zu fördern.
Artikel-Informationen
Ansprechpartner/in:
Herr Stefan Wittke
Nds. Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung
Pressesprecher
Friedrichswall 1
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