Nach welchen Kriterien verwendet die Landesregierung wissenschaftliche Erkenntnisse?
Plenum 19. Februar 2016 - Mündliche Anfragen - Frage 62
Abgeordnete Horst Kortlang und Almuth von Below-Neufeldt (FDP)
Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr namens der Landesregierung
Vorbemerkung der Abgeordneten
Die Landesregierung hat in einer Unterrichtung vom 29. Januar 2016 (Drucksache 17/5078) auf den Beschluss des Landtages vom 16. Juli 2015 erklärt, den Einsatz der Fracking-Technologie in unkonventionellen Lagerstätten in Niedersachsen abzulehnen. Begründet wurde dies mit Verweis auf die Aussagen unterschiedlicher wissenschaftlicher Gutachten. Die Gutachten werden von der Landesregierung nicht benannt. Es gibt zahlreiche nationale wie internationale Studien (z. B. UBA 2, Acatech, NIKO 2), welche zu einem positiven Ergebnis in Bezug auf die Anwendung der Fracking-Technologie in unkonventionellen Lagerstätten kommen. Die Studie des Umweltbundesamtes (UBA 2) zeigt auf, dass die Verwendung der Fracking-Technologie unter bestimmten Voraussetzungen absolut beherrschbar sei, und empfiehlt wissenschaftlich begleitete Erprobungsmaßnahmen zur Gewinnung weiterer Erkenntnisse. Zu diesem Ergebnis kommt auch die Acatech Studie. Ein generelles Verbot von Hydraulic Fracturing in unkonventionellen Lagerstätten sei auf Basis wissenschaftlicher und technischer Fakten nicht begründet, und die Technik könne unter strengen Sicherheitsstandards verwendet werden.
Vorbemerkung der Landesregierung
Die Landesregierung befasst sich seit mehreren Jahren sehr intensiv mit dem Einsatz der Fracking-Technologie. In diesem Zusammenhang nutzt die Landesregierung eine Vielzahl an Erkenntnisquellen (u.a. Fach- und Sachexpertise der niedersächsischen Bergbehörde sowie der staatlichen geologischen Dienste, Fachgutachten unabhängiger wissenschaftlicher Institutionen sowie Praxiserfahrungen der Industrie), um die Chancen und Risiken dieser Technologie bei der Erschließung von Kohlenwasserstoffvorkommen in Niedersachsen gewissenhaft bewerten zu können.
Im Gegensatz zu dem in Niedersachsen seit vielen Jahrzehnten praktizierten Einsatz der Fracking-Technologie in konventionellen Lagerstätten sind bei der Nutzung in unkonventionellen Lagerstätten jedoch veränderte Rahmenbedingungen zu beachten, die sich hauptsächlich aufgrund der weniger tiefen Lage sowie der vergleichsweise hohen Anzahl an Bohrungen und Frac-Behandlungen bei einer wirtschaftlichen Erschließung ergeben. Unerlässlich sind dabei der Erhalt von sauberem Grund- und Trinkwasser sowie der Schutz des Menschen und der Natur, Aspekte, die für die Landesregierung stets prioritär vor Eingriffen in den geologischen Untergrund behandelt werden.
Nach Einschätzung der Landesregierung fehlen nach wie vor grundlegende und vor allem belegbare Informationen zur technischen Beherrschbarkeit der Fracking-Technologie in unkonventionellen Vorkommen und den damit verbundenen Umweltrisiken, so etwa hinsichtlich Auswirkungen auf das Grundwasser und den tiefen Untergrund, Böden, Umwelt und Natur, einschließlich möglicher Folgen für den ländlichen Raum und die Lebensumwelt der Bürgerinnen und Bürger. Solange diese Risiken und Auswirkungen nicht zweifelfrei kalkuliert werden können, ist ein Einstieg in die Förderung von unkonventionellem Erdgas mittels Fracking nicht akzeptabel.
1. Ist der Landesregierung die Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) mit dem Titel „Schieferöl und Schiefergas in Deutschland, Potenziale und Umweltaspekte“ vom Januar 2016 bekannt (http://www.bgr.bund.de/DE/Themen/Energie/Downloads/Abschlussbericht_13MB_Schieferoelgaspotenzial_Deutschland_2016.pdf?__blob=publicationFile&v=5)? Wenn ja: In welcher Form wurden die Ergebnisse dieser Studie bei der Positionsfindung der Landesregierung berücksichtigt?
2. Liegt der Landesregierung die Studie der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften mit dem Titel „Hydraulic Fracturing, Eine Technologie in der Diskussion“ vom Juli 2015 (http://www.acatech.de/fileadmin/user_upload/Baumstruktur_nach_Website/Acatech/root/de/Publikationen/Stellungnahmen/acatech_Hydraulic_Fracturing_WEB.pdf) vor? Wenn ja: In welcher Form wurden die Ergebnisse dieser Studie bei der Positionsfindung der Landesregierung berücksichtigt?
3. Ist der Landesregierung die Studie des Umweltbundesamtes mit dem Titel „Umweltauswirkungen von Fracking bei der Aufsuchung und Gewinnung von Erdgas insbesondere aus Schiefergaslagerstätten“ vom Juni 2014 (http://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/378/publikationen/texte_53_2014_umweltauswirkungen_von_fracking.pdf) bekannt? Wenn ja: In welcher Form wurden die Ergebnisse dieser Studie bei der Positionsfindung der Landesregierung berücksichtigt?
Die Fragen 1. bis 3. werden aufgrund Ihres Sachzusammenhanges gemeinsam beantwortet.
Der Landesregierung sind die o.g. Studien der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften sowie des Umweltbundesamtes zum Einsatz der Fracking-Technologie und der damit verbundenen Risiken bekannt.
Sowohl die Ergebnisses des UBA-Gutachtens als auch der Acatech-Studie sind unmittelbar in die Haltung der Landesregierung (siehe Drs. 17/5078 vom 02.02.2016), die im Rahmen des laufenden Gesetzgebungsverfahrens auf Bundesebene zur Neuregulierung der Fracking-Technologie vertreten wird, eingeflossen. Der im Januar 2016 bekannt gewordene Abschlussbericht der BGR zur Abschätzung potentieller Schieferöl- und Schiefergasressourcen in Deutschland und Umweltaspekten beim Fracking wird zurzeit von der Landesregierung noch im Detail bewertet.
Hierzu ist bereits heute anzumerken, dass die Schwerpunkte der BGR-Studie vor allem auf der Prognose der in Deutschland vorhandenen Schiefergas- und Schieferölpotentiale sowie auf der Beurteilung von unterirdischen Risiken bei der Erschließung dieser Ressourcen (unterirdischer Stofftransport, Rissausbreitung, induzierte Seismizität) liegen. Dabei wird jedoch nur auf Teilaspekte der Gesamtheit von Risiken beim Einsatz der Fracking-Technologie modellhaft eingegangen. Konkrete Informationen, die einen sicheren und praxisrelevanten Umgang mit der Fracking-Technologie in unkonventionellen Lagerstätten belegen könnten, sind nicht Gegenstand dieser Untersuchungen.
Darüber hinaus identifizieren andere unabhängige Studien zu den Umweltauswirkungen der Frac-Technologie (Exxon[1], UBA[2], NRW[3], SRU[4]) deutliche Informations- und Wissensdefizite bei der Erschließung von unkonventionellen Lagerstätten. Beispielsweise gilt es zu klären, wie das Verhalten und die langfristige Wirkung der eingesetzten Chemikalien im Untergrund zu bewerten ist, welche wirksamen Monitoringstrategien zur Überwachung der Technologie einzusetzen sind und wie die Aufbereitung und Entsorgung der zurückgeförderten Flüssigkeiten (Flowback und Lagerstättenwasser) umweltgerecht erfolgen kann. Weitere offene Fragestellungen betreffen die sichere und effektive Vermeidung von möglichen Schadensfällen (z.B. Eintrag von Frac-Chemikalien ins Grundwasser durch mangelhaften Umgang auf dem Betriebsplatz, unkontrollierter Aufstieg von Erdgas durch fehlerhafte Bohrlochzementation).
Vor diesem Hintergrund sieht die Landesregierung keine zwingenden Anhaltspunkte, um sich in ihrer Gesamtabwägung und der daraus resultierenden ablehnenden Haltung gegenüber der Fracking-Technologie in unkonventionellen Lagerstätten neu zu positionieren.
[1] http://dialog-erdgasundfrac.de/sites/dialog-erdgasundfrac.de/files/Ex_Risikostudie_Fracking_120518_webansicht.pdf
[2] http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdf-l/4346.pdf
[3] http://www.umwelt.nrw.de/umwelt/pdf/gutachten_fracking_nrw_2012.pdf
[4] http://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2012_2016/2013_05_AS_18_Fracking.pdf?__blob=publicationFile
Artikel-Informationen
erstellt am:
19.02.2016
Ansprechpartner/in:
Pressesprecher: Christian Haegele und Sabine Schlemmer-Kaune