Modellbeispiel Energiewende
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GEMEINSAME FINANZIERUNG UND ABGABEPFLICHT – DIE QUARTIERSSATZUNG
Beantragen der Quartierssatzung
Für die Quartiersgemeinschaft ist der nächste Meilenstein die Festsetzung des Quartiers nach dem NQG durch eine Satzung. Mit diesem Vorgang wird die finanzielle Grundlage für die Umsetzung der angestrebten Maßnahmen geschaffen, da mit Inkrafttreten der Satzung bzw. des NQG-Quartiers die betroffenen Eigentümerinnen und Eigentümer zu festgelegten Abgaben verpflichtet sind. Die Quartiersgemeinschaft muss den Erlass einer Satzung für die Einrichtung eines Quartiers nach NQG schriftlich bei der Gemeinde beantragen. Der Antrag muss nach § 6 Abs. 3 NQG folgende Informationen und Dokumente enthalten:
- eine grundstücksgenaue Bezeichnung der von der Quartiersgemeinschaft vorgesehenen räumlichen Abgrenzung des Quartiers,
- die Angabe des vorgesehenen Zeitraums für die Erhebung der Abgabe,
- das Maßnahmen- und Finanzierungskonzept sowie
- alle sonstigen Unterlagen, die erforderlich sind, damit die Gemeinde das Vorliegen der Voraussetzungen nach den Absätzen 1 und 2 und § 8 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 beurteilen kann.
§ 6 Abs. 2 NQG verweist darauf, dass die Quartiersgemeinschaft zur Antragsstellung nur berechtigt ist, wenn die Eigentümerinnen und Eigentümer von mindestens 15 Prozent der im vorgesehenen Quartier gelegenen Grundstücke dem Antrag schriftlich zustimmen und die Gesamtfläche dieser Grundstücke mindestens 15 Prozent der Gesamtgrundstücksfläche im Quartier beträgt. Die Gruppe der Eigentümerinnen und Eigentümer umfasst auch Mit-, Wohnungs- oder Teileigentümerinnen und -eigentümer. Ihre Stimme wird gemäß ihres Miteigentumsanteils gewichtet. Stimmt beispielsweise nur eine Eigentumspartei eines Doppelhauses auf einem Grundstück der Antragstellung zu, zählt dies entsprechend nur 50% für das Grundstück. Bei Grundstücken mit Erbbaurecht gelten die Erbbauberechtigten als zustimmungsberechtigte Eigentümerinnen und Eigentümer. Die schriftliche Zustimmung muss nachgewiesen werden. Dafür eignet sich beispielsweise ein Dokument mit kurzer Beschreibung, wofür die Zustimmung gegeben wird, und einer sich anschließenden Liste mit Angabe des Namens und der Meldeadresse der Eigentümerin oder Eigentümers, der genauen Bezeichnung der Immobilie (Adresse, bei einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus mit Angabe des Stockwerks und der Lage z. B. 3. OG, 1. Wohnung rechts), des Datums und der Unterschrift.
Die Gemeinde kann gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 NQG das Quartier durch eine Satzung festlegen, wenn neben den weiteren Voraussetzungen auch die von der Quartiersgemeinschaft vorgesehene räumliche Abgrenzung des Quartiers, der vorgesehene Zeitraum für die Erhebung der Abgabe und das vorgelegte Maßnahmen- und Finanzierungskonzept für quartiersbezogene Aufwertungsmaßnahmen geeignet sind. Außerdem müssen die von der Quartiersgemeinschaft vorgesehenen Maßnahmen mit den städtebaulichen Zielen der Gemeinde übereinstimmen und dürfen öffentliche Belange – z.B. Belange des Umwelt-, Natur- und Denkmalschutzes – nicht beeinträchtigen. Dies sollte vor der Einreichung des Antrags zwischen Quartiersinitiative und Kommune abgestimmt werden.
Gliederung und notwendige Inhalte einer Quartierssatzung
Nach § 7 Absatz 2 NQG ist die Gemeinde für die Fertigung des Entwurfs einer Satzung zuständig. Als Grundlage dient ihr das von der Quartiersinitiative erarbeitete Maßnahmen- und Finanzierungskonzept. Beispielhaft sei hier der Gliederungsvorschlag einer Satzung auf Grundlage des Entwurfs für das NQG-Quartier „Weender Straße / Kornmarkt“ in Göttingen genannt:
§ 1 Geltungsbereich
räumliche Abgrenzung des Quartiers mit Bezeichnung der Flurstücke
§ 2 Aufwertungsmaßnahmen, Kosten, Mittelverwendung
Verpflichtung der Quartiersgemeinschaft, die Regelungen aus dem NQG, der Quartierssatzung sowie des öffentlich-rechtlichen Vertrags mit der Gemeinde zu erfüllen und die quartiersbezogenen Aufwertungsmaßnahmen gemäß des Maßnahmen- und Finanzierungskonzepts umzusetzen
§ 3 Abgabenerhebung
Festsetzung der Abgabenerhebung durch die Gemeinde, Darlegung der Modalitäten zur Mittelauszahlung und -verwaltung
§ 4 Verteilungsmaßstab
Darlegung des angewendeten Verteilungsmaßstabs und -schlüssels (s. u.)
§ 5 Abgabepflichtige und Ausnahmen von der Abgabepflicht
im NQG festgelegt: Benennung der Abgabepflichtigen, Ausnahmen von der Abgabepflicht, Gültigkeit bei Verkauf eines Grundstücks bzw. Immobilie
§ 6 Geltungsdauer
Gültigkeitszeitraum der Satzung, Regelung zur Aufhebung der Satzung, wenn die Quartiersgemeinschaft ihren Pflichten nicht nachkommt
Anlagen
Karte zur Quartiersabgrenzung, Auflistung der einzelnen Grundstücke des Quartiers, Maßnahmen- und Finanzierungskonzept
Mögliche Verteilungsmaßstäbe und -schlüssel
Im Folgenden werden die Verteilungsmaßstäbe für die Abgabe und davon ableitbare Verteilungsschlüssel beispielhaft erläutert.
Grundsätzlich gilt: Die für ein Grundstück zu leistende Abgabe darf insgesamt einen angemessenen Teil des Wertes des Grundstücks nicht überschreiten; die Bemessung des angemessenen Teils soll sich an 15 % des Einheitswertes oder, sofern ein Grundsteuerwert festgestellt ist, an einem entsprechenden Teil dieses Wertes orientieren. Maßgeblich ist der Wert des Grundstücks zum Zeitpunkt des Beschlusses der Satzung (§ 9, Abs. 2 NQG).
Nach § 9 Absatz 3 NQG können drei Verteilungsmaßstäbe für die zu leistenden Abgaben angewendet und miteinander kombiniert werden:
- der für alle Grundstücke nach einem einheitlichen Maßstab bemessene Wert des Grundstücks,
- Dies bezieht sich in Niedersachen aktuell auf den Bodenrichtwert eines Grundstücks. Der Bodenrichtwert ist der durchschnittliche Lagewert für den Boden innerhalb eines bestimmten Bereichs, für den im Wesentlichen gleiche Nutzungs- und Wertverhältnisse vorliegen. Er wird in €/m² angegeben und bezieht sich auf den Quadratmeter Grundstücksfläche eines unbebauten Grundstücks. Für ein NQG-Quartier kann ein einheitlicher Abgabesatz, z. B. 0,5 % des Bodenrichtwerts für alle Grundstücke im Quartier festgelegt werden.
- Ändert sich während des Erhebungszeitraumes der Wert eines Grundstücks, so wirkt sich dies nicht auf die Höhe der Abgabe aus.
2. die Grundstückfläche,
3. die Grundstückslänge an der Erschließungsanlage (§ 127 Abs. 2 BauGB).
- Der Begriff Erschließungsanlage umfasst hier in erster Linie öffentliche Straßen, Wege und Plätze.
In der Praxis kommen meist der Verteilungsmaßstab 1 oder eine Kombination aus 2 und 3 zur Anwendung.
Beispiel: Einfamilienhausgebiet mit homogener Grundstücksstruktur
Der nach einem einheitlichen Maßstab (Bodenrichtwert) bemessene Wert des Grundstücks (Verteilungsmaßstab 1) bietet sich an, wenn die im Quartier liegenden Grundstücke relativ homogen sind, was die Lagevoraussetzungen betrifft und sie entsprechend den gleichen oder ähnlichen Bodenrichtwert aufweisen. Dies ist beispielsweise in einem Einfamilienhausgebiet am Dorf- oder Stadtrand gegeben. Mit dem gewählten Abgabesatz lässt sich die Höhe der Abgabe und damit das zur Verfügung stehende Mittelvolumen für die Maßnahmen steuern.
Beträgt der Bodenrichtwert, wie beispielweise in einer Einfamilienhaussiedlung am Rand Cloppenburgs, 105 €/m2, ist ein Grundstück mit 600 m2 63.000 € wert. Bei einem Abgabesatz von 0,5 % ergibt sich ein Betrag von 3.150 €. Bei einer Laufzeit des NQG-Quartiers von fünf Jahren bedeutet dies eine jährliche Abgabe in Höhe von 630 € für die Eigentümerin oder den Eigentümer. Bei einem Abgabesatz von 0,8 % des Bodenrichtwerts wird ein jährlicher Betrag von 1.008 € fällig. Liegen 30 Grundstücke mit ähnlichen Voraussetzungen im Quartier, kommen für die Quartiersgemeinschaft, je nach Abgabensatz, ein Gesamtbetrag von 90.000 – 150.000 Euro zusammen, die sie für die quartiersbezogenen Aufwertungsmaßnahmen nutzen können. Diesem Bespiel zufolge werden alle Eigentümerinnen und Eigentümer in ähnlicher Höhe finanziell belastet. Wichtig ist demnach, dass von den Maßnahmen alle gleichermaßen profitieren.
Beispiel: Altstadtzentrum mit heterogener Grundstücksstruktur
Mit einer Kombination der Verteilungsmaßstäbe 2 (Grundstücksfläche) und 3 (Grundstückslänge an der Erschließungsanlage) kann einer fairen Verteilung angesichts heterogener Grundstücke in Bezug auf Größe und Lage im NQG-Quartier Rechnung getragen werden, wie es oft in gewachsenen Altstadt- oder Dorfkernstrukturen der Fall ist. Hierfür muss festgelegt werden, in welchem Verhältnis die Verteilungsmaßstäbe verbunden werden. Im folgenden Beispiel hat die Quartiersgemeinschaft einen Gesamtmittelbedarf von 100.000 €, welche über fünf Jahre verteilt von 60 Eigentümerinnen und Eigentümern aufgebracht werden sollen. Die Abgabe setzt sich zu 50 % aus Verteilungsmaßstab „Grundstücksfläche“ und zu 50 % aus Verteilungsmaßstab „Grundstückslänge an der Erschließungsanlage“ zusammen. Bei einem Grundstück (1) mit einer Fläche von 350 m2 und 13 m Länge an der Straßenseite ergibt sich beispielsweise ein Gesamtbetrag von 2.680 €, was für die Eigentümerin oder den Eigentümer eine jährliche Abgabe von 536 € bedeutet. Für ein Grundstück (2) mit ebenfalls 350 m2 Fläche und 20 m Straßenlänge werden 651 € jährlich fällig. Bei einem Grundstück (3) in zweiter Reihe mit 300 m2 aber nur 3 m Straßenseitenlänge beträgt die jährliche Abgabe 337 €. Bei einem Grundstück (4) mit 900 m2 mit 30 m Straßenlänge sind in dem Beispiel für die Eigentümerin oder den Eigentümer 1.162 € jährlich zu leisten.
In dem Beispiel ist die Straßenfront ein ebenso großer Faktor wie die Grundstückgröße. Das kann insbesondere für Geschäftsstraßen eine ausgewogen Abgabenaufteilung sein. So können beispielswiese Läden mit einer großen Schaufensterfront aufgrund ihrer höheren Sichtbarkeit in einem stärkeren Maß von Marketingmaßnahmen, wie einer besonderen Ausgestaltung der Schaufenster, profitieren als Ladeneinheiten in zweiter Reihe oder nur kleinem Schaufenster an der Einkaufsstraßenseite.Es ist zu empfehlen, dass für Eckgrundstücke (5) eine Sonderregelung durch die Quartiersgemeinschaft getroffen wird, damit deren Eigentümerinnen und Eigentümer nicht über Gebühr belastet werden. Hierfür können beispielsweise Regelungen für Eckgrundstücke angewendet werden wie sie bisweilen in Straßenbaubeitragssatzungen zu finden sind. Beispielhaft sei hier auf die der Stadt Braunschweig (vgl. §8 Abs. 1) verwiesen, nach der die anzurechnende Grundstücksfläche durch die Anzahl der öffentlichen Verkehrsanlagen geteilt werden würde. Für Grundstück 5 in der beispielhaften Darstellung würden anstatt 600 m2 lediglich 300 m2 in die Rechnung eingehen. Diese Ermäßigung muss allerdings durch höhere Beiträge der übrigen Eigentümerinnen und Eigentümer ausgeglichen werden. Da Eckgrundstücke besonders von Aufwertungsmaßnahmen wie Schaufensterdekoration oder zusätzlicher Beleuchtung profierten können, sind Vorteile und Belastung für die Eigentümerin oder den Eigentümer gegenüber denen der übrigen Eigentümerinnen und Eigentümer abzuwägen.
Zustimmung der Eigentümerinnen und Eigentümer
Die Gemeinde wird die Quartierssatzung nur erlassen, wenn dem Erlass der Satzung weder die Eigentümerinnen und Eigentümer von mehr als 30 Prozent der im vorgesehenen Quartier gelegenen Grundstücke noch die Eigentümerinnen und Eigentümer von Grundstücken, deren Gesamtfläche mehr als 30 Prozent der Gesamtgrundstücksfläche im Quartier beträgt, schriftlich widersprochen haben. (vgl. § 8 Abs. 1 NQG) Dies verdeutlicht, wie wichtig es ist, die Eigentümerinnen und Eigentümer frühzeitig „ins Boot“ zu holen und die Maßnahmen so ausgewogen zu konzipieren, dass der Mehrwert auch für eine Mehrheit ersichtlich ist. In Härtefällen kann die Gemeinde Eigentümerinnen und Eigentümer von der Abgabe befreien. So wird sichergestellt, dass keine Partei aufgrund eines NQG-Quartiers in finanzielle Not gerät.
Sind die Eigentümerinnen und Eigentümer bzw. Erbbauberechtigten einverstanden und ist das NQG-Quartier von der Gemeinde festgesetzt, kann es endlich losgehen: mit dem Erlass an der Satzung werden vierteljährlich Einnahmen generiert und die Quartiersgemeinschaft kann mit der Durchführung der Maßnahmen beginnen.
Monitoring und Ausblick
Die Quartiersgemeinschaft muss der Gemeinde regelmäßig, mindestens jährlich, über ihren Fortschritt Bericht erstatten. Dies lässt sich gut verbinden mit einer fortlaufenden Prüfung, ob die Maßnahmen die gewünschte Wirkung erzielen und die gesetzten Ziele erreicht werden. Manche Ziele lassen sich anhand von Zahlen leicht überprüfen wie z. B., ob der Publikumsverkehr gestiegen ist oder die Stromkosten gesunken sind. Gegebenenfalls wirken die Maßnahmen eher mittel- oder langfristig. Manche Maßnahmen zeigen erst bei bestimmten, nicht vorhersehbaren Ereignissen ihre Wirkung, z. B. bauliche Investitionen zum Schutz vor Überschwemmung. Hier kann die Definition von Meilensteinen hilfreich sein, um das Voranschreiten zu messen.
Stellt die Quartiersgemeinschaft oder der Aufgabeträger fest, dass die Maßnahmen gar keine oder sogar eine nachteilige Wirkung haben, kann mit einer Korrektur des Maßnahmen- und Finanzierungskonzepts gegengesteuert werden. Sind die Änderungen umfassend, muss ggf. der Prüf- und Beteiligungsvorgang durch die Gemeinde wiederholt werden. Nichtsdestotrotz ist solch eine „extra Runde“ nachhaltiger sowohl im Hinblick auf eine verantwortungsbewusste Mittelverwendung als auch auf die Unterstützung der Eigentümerinnen und Eigentümer als eine negative Bilanz des NQG-Quartiers.
Erweisen sich die Maßnahmen als erfolgreich, so dass die Quartiersgemeinschaft befürwortet, die Vorteile des NQG weiterhin für die Quartiersentwicklung nutzen zu wollen, kann das Gebiet nach Ablauf der Laufzeit für bis zu fünf weiteren Jahren festgesetzt werden. Hierfür ist eine Fortschreibung des ersten Maßnahmen- und Finanzierungskonzepts notwendig, auch wiederholt sich der Genehmigungsprozess durch die Gemeinde. Dieser Vorgang kann unbegrenzt wiederholt werden – es gibt Standortgemeinschaften, z B. „Seltersweg“ in Gießen, die bereits in ihrer vierten Periode sind.